Zum Inhalt springen

Mammutaufgabe Inklusion

Deutschland ist noch weit davon entfernt, das Inklusionsziel der UN-Konvention zu erfüllen. Die Fortschritte in den Ländern sind derweil unterschiedlich: Während Bremen und Schleswig-Holstein schon weit gekommen sind, hinken Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hinterher.

Bildungsforscher Klaus Klemm

Mit dem Beitritt zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN) 2009 hat sich Deutschland verpflichtet, alle Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderungen gemeinsam zu unterrichten. Damals war den wenigsten klar, dass sich das Land damit auf ein Großprojekt eingelassen hat. Dieses Projekt verändert nicht nur die Struktur des Schulsystems. Es zwingt Schulen auch dazu, den Unterricht umzukrempeln.

Nun wird die Umsetzung gerne als Erfolgsgeschichte erzählt: Vor der Unterschrift unter die UN-Konvention lernten 89 000 Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam mit Gleichaltrigen ohne diesen Förderbedarf, bis 2015 hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Ein genaueres Hinsehen trübt dieses Bild jedoch: 2008 war bei sechs Prozent aller Schülerinnen und Schüler in deutschen Schulen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert worden  – 4,9 Prozent von ihnen besuchten Förderschulen, 1,1 Prozent allgemeinbildende Schulen. Bis 2015 reduzierte sich der Anteil in Förderschulen auf 4,4 Prozent. Im gleichen Zeitraum erhöhte er sich in den Regelschulen auf 2,7 Prozent.

So steht einem minimalen Schülerrückgang um 0,5 Prozentpunkte in Förderschulen ein deutlich größerer Anstieg um 1,6 Prozentpunkte der Kinder mit Förderbedarf in allgemeinen Schulen gegenüber. Diese Zahlen verdeutlichen: Förderschulen konnten sich nach wie vor behaupten. Festzuhalten bleibt: Auch nach sieben Jahren ist Deutschland weit davon entfernt, das Inklusionsziel der UN-Konvention zu erfüllen. Ein Blick in die Bundesländer zeigt allerdings, dass Bremen und Schleswig-Holstein auf dem Weg dorthin schon weit gekommen sind, während Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz noch eine lange Strecke vor sich haben.

"Eltern mit Kindern in Inklusionsklassen bringen den Lehrkräften hohe Wertschätzung entgegen."

 

Dafür, dass der Anteil „exklusiv“ unterrichteter Schülerinnen und Schüler bundesweit im Schnitt kaum zurückgegangen ist, zugleich aber der Anteil inklusiv Lernender stark zugenommen hat, gibt es eine einfache Erklärung: Bei Kindern, die bereits in allgemeinen Schulen lernen, wird verstärkt ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert. Diese Entwicklung trug zwar kaum zum Abbau der Förderschulen bei, hat aber gleichwohl eine positive Seite: Die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern, die ehemals sonderpädagogische Einrichtungen besuchten, führte in den Regelschulen dazu, generell Mädchen und Jungen aus dem unteren Leistungsbereich stärker zu beachten.

Eine aktuelle Bildungsstudie belegt dies: Eltern mit Kindern in Inklusionsklassen bringen den Lehrkräften hohe Wertschätzung entgegen. Sie beschreiben den Unterricht durchgängig positiver als es Mütter und Väter tun, deren Kinder keine inklusiven Schulen besuchen. Aus Elternsicht erkennen und fördern Pädagoginnen und Pädagogen, die inklusiv unterrichten, demnach die Stärken der Kinder mehr als die nicht inklusiver Schulen: Sie setzen häufiger neue Unterrichtsmethoden ein, tun mehr dafür, dass auch Lernschwächere mitkommen und sprechen sich untereinander stärker ab. Bei der Unterrichtsentwicklung wirkt also Inklusion!

Derartige Erfolgsmeldungen geben all denen Recht, die von der Politik fordern, die pädagogischen Vorleistungen der Lehrerinnen und Lehrer angemessen zu honorieren. Zu Recht kritisieren die Schulen, dass sie sich zwar der Mammutaufgabe Inklusion stellen, Länder und Schulträger aber nicht bereit seien, im erforderlichen Umfang in die dazu notwendigen Personal- und Sachressourcen zu investieren. In der Regel reicht die Personalzuweisung nicht einmal aus, kleinere Klassen zu bilden oder wenigstens in einem Drittel des Unterrichts zwei Lehrkräfte einzusetzen. Das muss sich ändern.