Zum Inhalt springen

Covid-19 in den USA

Lehrerinnen und Lehrer sind wahre Helden

In allen 50 Bundesstaaten der USA sind die Schulen geschlossen. Was bedeutet das für die Lehrerinnen und Lehrer? Rob Weil, amerikanischer Gewerkschaftssekretär, gibt Antworten.

Foto: pixabay.com / CC0

Zur Zeit sind in allen 50 Bundesstaaten der USA die Schulen geschlossen oder es wurden entsprechende Empfehlungen gegeben. In Bundesstaaten, die dezentraler organisiert sind, kann die Regierung nur Empfehlungen aussprechen. Aktuell ist davon auszugehen, dass die Schulen in 19 Bundesstaaten bis zum Ende des Schuljahres geschlossen bleiben. Ein Interview mit Rob Weil, Gewerkschaftssekretär bei der Amerikanischen Bildungsgewerkschaft AFT (American Federation of Teachers), zur Situation an Schulen in den USA in Zeiten der Corona-Pandemie.

  • Hermann Nehls: Wie ist die Lage an den allgemeinbildenden Schulen in den USA?

Rob Weil: Alles ist sehr inkonsistent, chaotisch und durcheinander. Die Lehrerinnen und Lehrer geben in Anbetracht ihrer eingeschränkten Möglichkeiten ihr Bestes. Einige Schulen sind besser mit Computern ausgestattet und haben bereits mehr Erfahrungen mit Online-Lernmethoden als andere. Allerdings fehlt vielen besonders gefährdeten Schüler*innen schon der Zugang zu grundlegendsten Technologien. Im Moment sehen wir eine sehr ungleiche Verfügbarkeit von Lehrangeboten in den Vereinigten Staaten.

  • Nehls: Gibt es Unterschiede zwischen den Bundesstaaten?

Weil: Wohlhabendere Bundesstaaten können sich eine bessere Ausstattung der Schulen leisten. Der größte Unterschied besteht jedoch zwischen Stadtrandgebieten und Städten sowie ländlichen Regionen. Ähnlich wie bei der Armutsverteilung in den Vereinigten Staaten, die sich in Städten und ländlichen Regionen konzentriert, zeigt sich hier auch bei der Bildung die größte Ungleichheit. Diese Unterschiede sind deutlich größer als die Unterschiede zwischen einzelnen Bundesstaaten.

  • Nehls: Was sind die größten Herausforderungen für Schüler*innen und Lehrpersonal?

Weil: Schüler*innen in Regionen zu erreichen, in denen die technischen Voraussetzungen fehlen. Die Teilnahme an einer Videokonferenz oder schon alleine das Verschicken einer E-Mail sind schwerlich möglich, wenn es keinen Computer oder Internet gibt. Ein anderes großes Problem betrifft Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Bedarfen. Pädagogische Angebote für diese Schülerinnen und Schüler lassen sich kaum Online bewerkstelligen.

  • Nehls: Gibt es Unterstützung der Schulleitung, um diese Probleme zu lösen? 

Weil: Das ist sehr unterschiedlich. An einigen Orten arbeiten die Schulleitungen mit ganzer Kraft daran, den Lehrkräften die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Anderen Schulleitungen fällt es nicht so leicht. Sie versuchen herauszufinden, wie sie den Lehrer*innen helfen können, auch wenn es am Ende nicht immer hilfreich ist. Selbst wenn es den Lehrerinnen und Lehrern an Ausstattung fehlt, tun sie alles, was ihnen möglich ist – nicht zuletzt was den zeitlichen Einsatz angeht. Niemand war auf diese Situation vorbereitet. Doch es gibt Schulen, die besser und andere, die weniger gut darauf eingestellt waren. Wir haben Schulen, denen fehlen einfach die Ressourcen, um Lehrer*innen zu unterstützen. Wir müssen feststellen, dass jetzt nach vier Wochen viele Schulen damit beginnen, neue Regeln aufzustellen. Wir sind in einer zweiten Phase des Home-Learnings angekommen. Am Anfang haben alle einfach nur getan was sie konnten. Die Lehrer*innen haben tolle Arbeit geleistet. Was wir jetzt sehen ist der Versuch, Abläufe zu standardisieren. Von den Schulleitungen werden Pläne verfasst, die die Lehrerinnen und Lehrer befolgen sollen.

  • Nehls: Welche Rolle spielen Lehrkräfte bei der Bewältigung der Corona-Krise in den Kommunen?

Weil: Im ganzen Land werden Lehrerinnen und Lehrer als wahre Helden gesehen, weil sie alles tun, um mit ihren Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu bleiben, sie weiterhin für das Lernen zu begeistern und ihnen zu helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden, die sich ihnen stellen. Das gilt nicht nur für das pädagogische Personal, sondern auch für andere Beschäftigte an Schulen, die z.B. Mahlzeiten für von Armut betroffene Kinder zubereiten.

  • Nehls: Was genau bedeutet das? Die Kinder kommen an die Schulen und erhalten dort Mahlzeiten?

Weil: Die Schulen in den Vereinigten Staaten sind bei Weitem die größten Einrichtungen, die Essen zubereiten und Millionen von Kindern verpflegen, auch während der Pandemie. Jeden Tag sorgen sie dafür, dass Mädchen und Jungen aus sozial schwachen Haushalten Essen bekommen. Diese Aufgabe haben Schulen immer schon wahrgenommen, es war normal und wurde nie besonders hervorgehoben. In der Pandemie wird dies nun viel stärker thematisiert. Der Großteil der Schulangestellten geht wie bisher weiterhin jeden Tag zur Arbeit. Das Essen wird zubereitet, und verpackt, sodass die Leute es sich abholen können. Sie kommen mit dem Auto oder zu Fuß zur Schule. Es wird nicht vor Ort verzehrt, die Menschen betreten die Schule auch nicht. Alles spielt sich auf dem Schulparkplatz ab.

  • Nehls: Was heißt es für die Lehrkräfte, wenn die Schulen geschlossen sind? Erhalten Sie weiter Gehalt?

Weil: Die festangestellten Lehrerinnen und Lehrer werden bezahlt. Es wird von ihnen erwartet, mit den Schülerinnen und Schüler in Kontakt zu bleiben, sich zu vernetzen und den Unterricht trotz geschlossener Schulgebäude so gut wie möglich fortzuführen. Aushilfslehrkräfte oder nicht festangestellten Lehrkräfte wurden oftmals entlassen.  Andere Schulangestellte, die auf Stundenbasis angestellt sind, befinden sich in einer schwierigeren Situation. Einige werden bezahlt, andere nicht. Das hängt von der Situation vor Ort ab. Unsere Schulen sind staatlich, doch viele Bundesstaaten erlauben den Schulen, sich selbstständig zu verwalten. Wir haben 15.000 Schulbezirke, die alle unterschiedlich damit umzugehen.

  • Nehls: Bekommen sie dann Arbeitslosengeld?

Weil: Sie können Arbeitslosenunterstützung beantragen. Das ist jedoch momentan sehr schwierig. Es gibt aktuell 26 Millionen Arbeitslose in den USA, aber das sind nur die bereits registrierten. Ich denke, die tatsächliche Zahl ist wesentlich höher. Jeden Tag hört man Geschichten von Leuten, die stundenlang am Telefon saßen, um sich arbeitslos zu melden und einfach nicht durchgekommen sind.

  • Nehls: Die AFT hat in den letzten Monaten und Jahren durch Streiks wichtige Erfolge erzielt. Welche Möglichkeiten hat die AFT, in der jetzigen Situation Forderungen durchzusetzen?

Weil: Im Moment sind wir durch die landesweiten Vorschriften zum Abstandsgebot (Social Distancing) eingeschränkt. Wir können natürlich keine Zusammenkünfte auf den Straßen organisieren, das ist derzeit nicht möglich. Online-Petitionen und Arbeit im Netz dagegen schon. Die American Federation of Teachers verfolgt ihre Ziele auch in Zeiten der Pandemie sehr konsequent. Dabei sind wir eine Organisation, die nicht nur Lehrkräfte repräsentiert. Wir sind auch die zweitgrößte Gewerkschaft für Pflegekräfte in den USA. Die Probleme der Gesundheitsversorgung sind unseren Mitgliedern ein großes Anliegen. Wir sind sehr besorgt um unsere Kolleginnen und Kollegen im medizinischen Bereich.

  • Nehls: Vielen Dank für das Gespräch!

Rob Weil ist Mathematiklehrer und hat zwanzig Jahre an einer Sekundarschule in Colorado unterrichtet. Seit 2001 arbeitet er als Gewerkschaftssekretär beim Vorstand der American Federation of Teachers in Washington.

Hermann Nehls ist Gewerkschaftssekretär beim DGB Bundesvorstand in Berlin und war von 2014 bis 2017 Sozialreferent an der Deutschen Botschaft in Washington.

����������������������������������������������������������������
Rob Weil ist Gewerkschaftssekretär bei der AFT in den USA (Foto: Manfred Brinkmann).