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Vorbereitungsdienst in der Coronapandemie

„Krasse Erschöpfungszustände“

Wie lernen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst derzeit, Unterricht zu gestalten und ihren Schulalltag zu organisieren? Die Coronapandemie stellt die Ausbildungsbedingungen auf den Kopf – und macht das Referendariat noch stressiger.

Die ausfallende Praxiserfahrung während der Coronapandemie lässt sich nur schwer ausgleichen.

Der Vorbereitungsdienst ist für angehende Lehrkräfte gerade eine sehr einsame Angelegenheit. Wer während der Corona-Pandemie in die zweite Phase seiner Ausbildung gestartet ist, hat bisher noch keinen normalen Schulbetrieb kennengelernt. Stattdessen viele leere Klassenzimmer, Onlinestudienseminare, Quarantäne, schwer erreichbare und teils überforderte Kolleginnen und Kollegen. Und über all dem schwebt die Sorge, was das final für die eigenen Prüfungen bedeutet.

Als Stefanie Spiegler im Sommer 2020 ihr Referendariat an der Clay-Schule in Berlin-Neukölln begann, ging schon ihr Einstand unter, weil die Debatte um das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes alles dominierte. „Ich habe immer noch Schwierigkeiten, mich in diesem Wust der Corona-Aufgeregtheit in die Schulorganisation einzufinden“, sagt die 29-Jährige, die Sport und Chemie in der 9., 10. und 11. Klasse unterrichtet. Mit dem zweiten Lockdown wechselte die Integrierte Sekundarschule (ISS) wieder in den digitalen Fernunterricht, „seitdem bin ich noch isolierter“. Ansprechpartnerinnen und -partner gibt es zwar, aber: „Ich habe das Gefühl, dass alle Lehrkräfte so unter Druck stehen, dass meine Fragen eine zusätzliche Last wären“, sagt Spiegler, die auch im Personalrat für Lehramtsanwärter*innen in der GEW Berlin (PRLAA) aktiv ist.

„Die Schülerinnen und Schüler kennen mein Gesicht eigentlich gar nicht. Nach den ersten Wochen war ich ja nur noch mit Maske in der Schule.“ (Judith Schwarz)

Persönliche Kontakte fehlen auch Katharina Liebs, die ihren Vorbereitungsdienst seit Mai 2020 an der Carl-von-Weinberg-Schule in Frankfurt am Main absolviert. „Der Start war ein Schock, weil an der Schule alles leer war. Nur die Abschlussklassen kamen im Wechselmodell“, erinnert sich die 28-Jährige, die an der Integrierten Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe Mathe und Sport in der 8., 11. und 12. Klasse unterrichtet. „Von den 30 Sportkollegen kenne ich immer noch nicht alle.“ Liebs vermisst außerschulische Veranstaltungen wie Feste, Konzerte oder Wettkämpfe, um nicht nur zum Kollegium, sondern auch zu den Kindern und Jugendlichen einen engeren Draht zu bekommen.

„Die Schülerinnen und Schüler kennen mein Gesicht eigentlich gar nicht. Nach den ersten Wochen war ich ja nur noch mit Maske in der Schule“, sagt Judith Schwarz (31), die seit August an der Gemeinschaftsschule Grüner Campus Malchow in Berlin Spanisch und Geografie in den Klassen 7, 9 und 11 gibt. Dabei seien Mimik und nonverbale Kommunikation doch so wichtig: „Unsere Arbeit sollte auf Beziehungsebene erfolgen, die muss man aber erst aufbauen.“

Vieles an Technik ist für alle neu

Auf die Konzeption und Gestaltung von Fernunterricht fühlte sich keine der drei gut vorbereitet. „Mit den digitalen Unterrichtsmöglichkeiten bin ich ähnlich überfordert wie ältere Kolleginnen und Kollegen“, sagt Liebs. Die an ihrer Schule genutzte Videokonferenzsoftware Big Blue Button und die Lernplattform Schulportal seien auch für sie neu gewesen. Zusammen mit anderen Lehrkräften im Vorbereitungsdienst testete sie die Tools in den Weihnachtsferien privat, alle unterrichteten sich gegenseitig. Da die Studienseminare schon vor den Schulschließungen via Microsoft Teams stattfanden, konnte sie auch daraus Erfahrungen in den Unterricht übernehmen.

Die Unterstützung durch die Seminare scheint derweil unterschiedlich: Teils werden die Gestaltung von Onlineunterricht und Videokonferenzen ausführlich behandelt, und die Leitungen gehen auf die Wünsche der Teilnehmenden ein, teils werden Inhalte und Tipps als recht theoretisch und unkonkret empfunden.

„Man könnte so viel ausprobieren, wird aber total ausgebremst.“ (Katharina Liebs)

Die ausfallende Praxiserfahrung lässt sich ohnehin nur schwer ausgleichen. „Die ganze Erziehungsarbeit fällt weg, alles, was neben der Vermittlung des Unterrichtsstoffs stattfindet“, betont Schwarz. „Im Präsenzunterricht lernt man ja auch Dinge wie Klassenraum-Management und Beziehungsarbeit.“ Selbst wie man eine Pausenaufsicht führt, muss geübt werden. „Wer bin ich an dieser Schule als Lehrerin überhaupt?“, formuliert Spiegler die Frage, auf die sich derzeit schwer eine Antwort finden lässt. Liebs beobachtete in ihrer Hospitationszeit pandemiebedingt nur Frontalunterricht und stellt nun fest: „Mein Bild von Unterricht ist, glaube ich, etwas verfälscht, weil ich methodisch nicht viel Abwechslungsreiches gesehen habe.“

In ihrem Fach Sport ist es nicht nur im Fernunterricht, sondern generell wegen der Abstandsregeln besonders schwierig, Unterricht zu gestalten. „Man könnte so viel ausprobieren, wird aber total ausgebremst. Coole neue Ideen wie Parkour lassen sich nicht umsetzen“, erklärt Liebs. „Im Unterrichtsbesuch kann man ja auch nicht immer das gleiche Thema machen – das frustriert.“

„Bei einigen sind schon krasse Erschöpfungserscheinungen zu beobachten.“ (Stefanie Spiegler)

Ohnehin sind Unterrichtsbesuche in Corona-Zeiten mit einem erhöhten Arbeitspensum und Stresslevel verbunden. Da sich oft erst kurzfristig entscheidet, ob die Stunde im Präsenzunterricht oder per Videokonferenz abläuft oder möglicherweise alternativ ein theoretisches Kolloquium stattfindet, müssen vorab mehrere Szenarien vorbereitet werden. „Ich kenne jemanden, der wusste zwei Stunden vor dem Unterrichtsbesuch immer noch nicht, wie dieser durchgeführt werden sollte. Da fehlt der Blick darauf, was das emotional für uns bedeutet“, kritisiert Liebs.

„Die Unterrichtsbesuche sind jetzt sehr theoretisch“, sagt die ebenfalls im PRLAA aktive Schwarz. „Ich schreibe einen Entwurf für eine Stunde, die nie stattfindet – und muss mir hypothetische Schülerreaktionen überlegen. Das ist total schwierig – ich habe ja noch kaum erlebt, wie die Schülerinnen und Schüler reagieren könnten.“ Die 31-Jährige hofft, dass Präsenzunterricht wieder der Normalfall ist, wenn ihr zweites Staatsexamen ansteht. „Man hat die Kinder und Jugendlichen dann meist auf seiner Seite, die sind in Prüfungssituationen unfassbar entgegenkommend.“

Aktuell schieben die Referendarinnen Gedanken an den Examenstag noch an die Seite. „Wäre ich jetzt im zweiten Semester und hätte im Mai Prüfungen, wäre das anders“, betont Spiegler. „Diejenigen, die das betrifft, sind am härtesten getroffen, weil sie zwei Mal im Lockdown waren und am wenigsten Unterrichtspraxis bekommen haben.“ Aber auch eine Kollegin aus ihrem Studienseminar war wegen der psychischen Belastung bereits krankgeschrieben. Spiegler plädiert dafür, im Vorbereitungsdienst psychologische Betreuung anzubieten. „Bei einigen sind schon krasse Erschöpfungserscheinungen zu beobachten.“

Schreiben an die KMK

Auch die GEW sorgt sich um die Nachwuchslehrkräfte: Alarmiert von Berichten über sehr unterschiedliche Anforderungen und Prüfungsbedingungen in den Ländern schickte die Vorsitzende Marlis Tepe ein Schreiben an die Kultusministerkonferenz (KMK), in dem die Gewerkschaft zehn Vorschläge formuliert. Dazu zählt die Forderung, Schulschließungen und veränderte Ausbildungsbedingungen bei den Examensprüfungen zu berücksichtigen. Dabei sollten auch alternative Prüfungsformate eingesetzt werden. Diese Prüfungsbedingungen sollten in allen Bundesländern anerkannt werden. Anträge auf Verlängerung des Vorbereitungsdienstes oder die Verschiebung von Prüfungen und Lehrproben müssten kulant behandelt werden. Nach dem Vorbereitungsdienst sollte es Unterstützung in Form einer begleiteten Berufseingangsphase geben.

GEW-Schulexpertin Ilka Hoffmann betont: „Die Referendarinnen und Referendare dürfen auf keinen Fall Nachteile haben. Wir müssen alles tun, damit sie ihre Ausbildung erfolgreich abschließen können. Wir brauchen alle diese jungen Menschen in der Schule. Der Lehrkräftemangel ist schon groß genug.“

Spiegler, Schwarz und Liebs sind derweil trotz der erschwerten Bedingungen optimistisch und betonen unisono: „Es ist schwierig, es gibt viele Herausforderungen, aber wir machen jetzt das Beste daraus.“ Spiegler glaubt zudem: „Man erwirbt Kompetenzen in Krisensituationen, die man im Lehrberuf auf jeden Fall benötigt. Wenn wir das geschafft haben, wird ein Elterngespräch ein Klacks werden.“

Die Richtschnur für die Maßnahmen in der Schule sollen nach Ansicht der GEW die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts sein. Dafür schlägt die GEW ein Fünf-Punkte-Programm vor:

5-Punkte-Programm zum Gesundheitsschutz an Schulen
Ab der 5. Klasse muss das gesellschaftliche Abstandsgebot von 1,5 Metern gelten. Dafür müssen Klassen geteilt und zusätzliche Räume beispielsweise in Jugendherbergen gemietet werden.
Um die Schulräume regelmäßig zu lüften, gilt das Lüftungskonzept des Umweltbundesamtes. Können die Vorgaben nicht umgesetzt werden, müssen sofort entsprechende Filteranlagen eingebaut werden.
Die Anschaffung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler muss endlich beschleunigt werden. Flächendeckend müssen eine datenschutzkonforme digitale Infrastruktur geschaffen und IT-Systemadministratoren eingestellt werden. Zudem müssen die Länder Sofortmaßnahmen zur digitalen Fortbildung der Lehrkräfte anbieten.
Für die Arbeitsplätze in den Schulen müssen Gefährdungsanalysen erstellt werden, um Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler besser zu schützen.
Transparenz schaffen: Kultusministerien und Kultusministerkonferenz müssen zügig ihre Planungen umsetzen, wöchentlich Statistiken auf Bundes-, Landes- und Schulebene über die Zahl der infizierten sowie der in Quarantäne geschickten Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler zu veröffentlichen. „Wir brauchen eine realistische Datenbasis, um vor Ort über konkrete Maßnahme zu entscheiden“, sagte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe. 

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten ändern muss.