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Koalitionsvertrag unter der Lupe

Nach einem nächtlichen Verhandlungsmarathon haben sich CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag zur Bildung der nächsten Bundesregierung verständigt.

Die Vorsitzende der GEW, Marlis Tepe, hat in einer ersten Stellungnahme den fehlenden bildungspolitischen Gestaltungswillen im Koalitionsvertrag bemängelt und Nachbesserungen in der laufenden Wahlperiode eingefordert.
Der vollständige Koalitionsvertrag kann z. B. auf der Homepage der CDU abgerufen werden. Das Kapitel zu Bildung und Forschung ist ab Seite 26 zu finden. Noch müssen die Gremien der Parteien sowie die Mitglieder der SPD in einem Mitgliedervotum zustimmen.

Wie ist die Koalitionsvereinbarung aus der Perspektive der Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ihren Beschäftigten, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie und Studierenden zu beurteilen?

„Jahrzehnt der Hochschulen“?

CDU, CSU und SPD haben sich viel vorgenommen. Schon während der Verhandlungen hatten Politikerinnen und Politiker von einem „Jahrzehnt der Hochschulen“ gesprochen, das die Große Koalition ausrufen werde. Im Text der Koalitionsvereinbarung wird nun die Rolle der Hochschulen „im Zentrum des Wissenschaftssystems“ unterstrichen. Im Zentrum der Wissenschaftspolitik solle daher die Aufgabe stehen, ihnen „verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit“ zu geben. „Wir werden in den nächsten vier Jahren seitens des Bundes den Hochschulen mehr Geld zur Grundfinanzierung zur Verfügung stellen“, wird vollmundig versprochen.

Kooperationsverbot: Auch für Hochschulen keine Lockerung

Das klingt viel versprechend, aber die Antwort auf die Frage, wie das erreicht werden soll, bleiben die Koalitionsparteien schuldig. Auch wenn das Kooperationsverbot für die Hochschulen einige Schlupflöcher aufweist: Nach wie vor verbietet das von der letzten GroßenKoalition 2006 überarbeitete Grundgesetz (Föderalismusreform) dem Bund, die Länder auf Dauer und in der Fläche in der Hochschulfinanzierung zu unterstützen. Sogar die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau wurde abgeschafft, die Zweckbindung der übergangsweise vom Bund bereit gestellten Kompensationsmittel läuft 2014 aus, ab 2020 entfallen sie ganz. Auf eine Verfassungsänderung zur Aufhebung oder wenigstens Lockerung des Kooperationsverbots haben sich CDU, CSU und SPD jedoch gerade nicht verständigt, obwohl sie über die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat verfügen.

Erhalt und Fortsetzung der Exzellenzinitiative

Was dem Bund bleibt, um sich an der Hochschulfinanzierung zu beteiligen, sind zeitlich begrenzte Bund-Länder-Pakte. Immer neue Pakte, die Verlängerung vorhandener Pakte – das ist aber gerade nicht das, was wir brauchen, um zu einer verlässliche, nachhaltigen Finanzierung der Hochschulen zu kommen. Dass inzwischen 90 Prozent der 160.000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen einen Zeitvertrag haben, ist auch eine Folge davon, dass die Hochschulen immer mehr über befristete Pakte finanziert werden, während deren Grundfinanzierung durch die Länder stagniert, teilweise sogar, wie zuletzt in Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen oder Sachsen-Anhalt, massiv gekürzt wird. Die Exzellenzinitiative loben die Koalitionsparteien aber dafür, dass sie „in sehr erfolgreicher Art und Weise eine neue Dynamik in das deutsche Wissenschaftssystem“ gebracht habe. CDU, CSU und SPD möchten sie daher „erhalten und ausbauen“.

Verlängerung von Hochschulpakt und Pakt für Forschung und Innovation

Immerhin soll der 2015 auslaufende Hochschulpakt, der für zusätzliche Studienplätze sorgt, um eine dritte Phase verlängert werden. Wie dringend notwendig nicht nur eine Verlängerung, sondern auch ein Ausbau des Hochschulpakts wäre, zeigt die gestrige Meldung des Statistischen Bundesamts, wonach die Zahl der Studierenden an deutschen Hochschulen mit über 2,6 Millionen ein Allzeithoch erreicht hat. Mit dem Hochschulpakt sollen künftig Hochschulen, die „mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss führen“, besonders gefördert werden, der Hochschulzugang beruflich Qualifizierter soll verbessert werden. Verlängert werden soll auch der Pakt für Forschung und Innovation, der weiterhin für wachsende Budgets der außerhochschulischen Forschungseinrichtungen sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft sorgen wird.

„Planbare und verlässliche Karrierewege“

Ein ganzer Abschnitt des Koalitionsvertrags trägt die Überschrift „Planbare und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft“. Der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse habe in der Wissenschaft „ein Maß erreicht, das Handlungsbedarf entstehen lässt“, heißt es dort. Das lässt hoffen: Die beharrliche Kampagne der GEW für den „Traumjob Wissenschaft“, mehr als 10.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Templiner Manifests, zahlreiche Initiativen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor Ort in den Ländern, Hochschulen und Forschungseinrichtungen und zuletzt der Köpenicker Appell mit Vorschlägen für ein 100-Tage-Programm der neuen Bundesregierung haben die Koalitionsparteien nicht unbeeindruckt gelassen.

Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes

Nachdem die letzte Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen noch strikt ausgeschlossen hatte, haben sich CDU, CSU und SPD jetzt auf eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes verständigt. Der Inhalt der Gesetzesnovelle ist offen, und der Hinweis, mit der Novellierung sollten Aktivitäten der Wissenschaftsorganisationen „flankiert“ werden, klingt noch sehr defensiv – insbesondere angesichts des gescheiterten Versuchs der Hochschulrektorenkonferenz, sich freiwillig zur einem „Orientierungsrahmen“ zu verpflichten. Aber: Die Änderung des Gesetzes steht jetzt auf der Agenda des neuen Bundestages und die GEW wird alles tun, damit die Novelle Rahmenbedingungen für berechenbare Karrierewege und stabile Beschäftigungsbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen schafft.

Vereinbarungen mit Wissenschaftsorganisationen

Darüber hinaus kündigen die Regierungsparteien an, dass der Bund „im Rahmen seiner Förderung und bei Vereinbarungen zu neuen Instrumenten auf angemessene Laufzeiten der Anstellungsverträge achten“ wird. Der Pakt für Forschung und Innovation soll dafür genutzt werden, um mit den Wissenschaftsorganisationen „konkrete Ziele beispielsweise zur Gleichstellung, Nachwuchsförderung und zu mehr Kooperation“ zu vereinbaren. Darüber hinaus möchte der Bund zur Durchsetzung von Chancengleichheit im Wissenschaftssystem in Vereinbarungen über Förderinstrumente „die Einhaltung von Gleichstellungsstandards und die Festlegung konkreter Ziele für mehr Frauen in Führungspositionen“ verankern. Damit hat die Koalition schon zwei von drei Impulsen des Köpenicker Appells der GEW aufgegriffen: die Novellierung desWissenschaftszeitvertragsgesetzes und eine aktive Vergabepolitik in der Forschungsförderung. Darauf werden wir zurückkommen!

Studis gehen leer aus: keine BAföG-Reform

Eine bittere Pille haben auch die 2,6 Millionen Studentinnen und Studenten zu schlucken. Noch während der Koalitionsverhandlungen hatten die Verhandlungsführerinnen für Bildung und Wissenschaft, Johanna Wanka (CDU) und Doris Ahnen (SPD), eine „spürbare Erhöhung“ von Bedarfssätzen und Freibeträgen des Bundesausbildungsausförderungsgesetzes (BAföG) angekündigt. Darüber hinaus sollte es strukturelle Verbesserungen – Förderung von Teilzeitstudien, bessere Rahmenbedingungen für die Förderung von Masterstudiengängen – geben. Davon findet sich im Koalitionsvertrag nichts mehr. Das umstrittene Deutschlandstipendium hingegen soll – mit der Zielmarke von zwei Prozent aller Studierenden – fortgesetzt werden. Große Koalition – große Enttäuschung für alle Studierenden, die bei ihrer Studienfinanzierung auf das BAföG angewiesen sind.