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Koalitionsvereinbarungen aus Wissenschaftsperspektive

Nach den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben sich CDU und FDP sowie in Schleswig-Holstein zusätzlich Bündnis 90/Die Grünen auf die Bildung von Regierungskoalitionen verständigt.

Auch wenn die von vielen befürchtete Kehrtwende in der Wissenschaftspolitik nicht eingeleitet wird, drohen Rückschritte. Zwar führt entgegen mancher Befürchtungen keine der Regierungen allgemeine Studiengebühren ein. Doch Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen folgt dem Beispiel von Grün-Schwarz in Baden-Württemberg und möchte Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländerinnen und -Ausländer einführen. Das "Baden-Württemberg-Modell" hat soeben erst der GEW-Gewerkschaftstag in Freiburg einer scharfen Kritik unterzogen. Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW, hat die Gebührenpläne in Stuttgart und Düsseldorf scharf kritisiert: "In einer Zeit, in der wir nötiger denn je weltoffene Hochschulen brauchen, ist eine Ausländer-Campus-Maut das ganz falsche Signal!"

Kehrt Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen zurück zum "Hochschulfreiheitsgesetz" aus der Ära Rüttgers/Pinkwart? Das ist eine der größten Sorgen, die Studierende und Hochschulbeschäftigte im Westen umtreibt. Unter Rot-Grün hatte das "Hochschulzukunftsgesetz" in den letzten Jahren die schlimmsten Fehler dieser Ära korrigiert. Die Hochschulen behielten ein hohes Maß an Autonomie, aber der Staat stellte sich seiner Verantwortung für die Entwicklung des Hochschulwesens. Reformbereite Hochschulen konnten innovative Mitbestimmungsmodelle einführen. Der nach dem Vorbild des von der GEW vorgelegten Herrschinger Kodex "Gute Arbeit in der Wissenschaft" mit Hochschulleitungen, Personalvertretungen und Gewerkschaften vereinbarte Rahmenkodex "Gute Beschäftigungsbedingungen für das Hochschulpersonal" setzte Impulse für bessere Beschäftigungsbedingungen und verlässlichere Karrierewege.

Tatsächlich ist in der Koalitionsvereinbarung von CDU und FDP für Nordrhein-Westfalen von einem "weiterentwickelten Hochschulfreiheitsgesetz" die Rede. Die Hochschulen sollen "von zentraler Steuerung durch das Land" und "von unnötigem bürokratischen Aufwand" "befreit" werden. Es ist zu befürchten, dass die unter Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) eingeleiteten Entwicklungen hin zu einer demokratischeren Hochschule mit faireren Beschäftigungsbedingungen abgebrochen werden.

Allerdings möchte Schwarz-Gelb in Düsseldorf nicht alle Ergebnisse der rot-grünen Hochschulpolitik in Frage stellen. Das Landesprogramm zur Etablierung neuer Karrierewege zur Fachhochschulprofessur soll fortgeführt, die Tenure Track-Professur etabliert werden. Im Abschnitt "Karrierewege und -optionen" ist indes von einem "Wissenschaftstarif" die Rede, mit dem "eine dem Wissenschaftssystem gerecht werdende Vergütung" von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geschaffen werden soll. Dies soll im Rahmen einer Initiative der Kultusministerkonferenz erreicht werden. Dass Tarifverträge nicht unter den Ministerinnen und Ministern, sondern mit den Gewerkschaften als Interessenvertretungen der Beschäftigten ausgehandelt werden müssen, wird auch Schwarz-Grün in Düsseldorf noch lernen müssen. "Ambitionierte Ziele – bedenkliche Instrumente – Leerstellen", zu dieser Gesamteinschätzung der schwarz-gelben Koalitionsvereinbarung kommt die Landesvorsitzende der GEW Nordrhein-Westfalen, Dorothea Schäfer.

Nicht ganz spurenlos scheint die Beteiligung der Grünen an der "Jamaika"-Koalition in Schleswig-Holstein zu erfolgen. Nicht nur, weil mit Hochschulen und Hochschulstädten Konzepte zur "klimaneutralen Hochschule" erarbeitet werden sollen. Auch Ansätze für eine Stärkung der Mitbestimmung der in den Hochschulgremien vertretenen Statusgruppen (Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer, Studierende, wissenschaftliche und administrativ-technische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter) sind im Koalitionsvertrag zu finden. Diese sollen künftig ein Vetorecht ausüben können, wenn sie einstimmig einen Beschluss ablehnen. Darüber hinaus sei eine paritätische Mitbestimmung der Statusgruppen "denkbar", heißt es wörtlich. Ob "denkbar" auch "machbar" heißt, wird die Regierungsarbeit in Kiel zeigen.

Im Übrigen setzt die Koalition stark auf Bundesratsinitiativen, mit denen Veränderungen der Politik auf Bundesebene angestoßen werden sollen. Auf diese Weise sollen etwa die "prekäre Beschäftigungssituation des wissenschaftlichen Mittelbaus verbessert" oder ein "elternunabhängiges BAföG" durchgesetzt werden. Dabei hätte das Land selbst über die Landeshochschulgesetzgebung den größten Gestaltungsspielraum, wenn es denn wirklich die Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen stabilisieren und Karrierewege verlässlicher ausgestalten möchte. "Trotz positiver Punkte eher rückwärtsgewandtes Gesamtbild", lautet daher auch das Urteil der Landesvorsitzenden der GEW Schleswig-Holstein, Astrid Henke.

Fazit: In beiden Ländern drohen Rückschritte, aber ein Rollback ist keineswegs vorprogrammiert. Beide Koalitionsvereinbarungen enthalten auch Ansätze für eine fortschrittliche Wissenschaftspolitik, insbesondere was etwa die Reform der Karrierewege und die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen angeht. Beide Regierungen stellen eine Verbesserung der Grundfinanzierung der Hochschulen in Aussicht. Letztlich sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch Studierende gefragt, die Regierungen in Düsseldorf und Kiel bis 2022 mit konstruktiven Vorschlägen und kritischen Protesten so unter Druck zu setzen, dass sie die vorhandenen Handlungsspielräume nutzen. Die GEW-Landesverbände in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind darauf gut vorbereitet.