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Koalitionsvereinbarung von Union und SPD unter der Lupe

Viereinhalb Monate nach der Bundestagswahl haben sich CDU, CSU und SPD auf einen Koalitionsvertrag zur Bildung einer neuen Bundesregierung geeinigt. Noch müssen die Parteimitglieder der SPD in einer Mitgliederbefragung zustimmen.

Foto: hanohiki / Stockphoto
Foto: hanohiki / Stockphoto

GEW-Vorsitzende Marlis Tepe sprach von „kleinen Schritte in die richtige Richtung“. In das Koalitionspapier hätten mehr bildungspolitische Themen Eingang gefunden als bei den Jamaika-Gesprächen. Der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, hat die wissenschaftspolitischen Vereinbarungen einer möglichen Neuauflage der Großen Koalition unter die Lupe genommen.

Hochschulpakt: Nicht nur verstetigen, sondern aufstocken

Die GEW hat die politischen Parteien wiederholt aufgefordert, die Weichen für den Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung der Hochschulen zu stellen – auch um die Grundlagen für mehr Dauerstellen für Daueraufgaben in Forschung, Lehre und Wissenschaftsmanagement zu schaffen. Union und SPD haben nun vereinbart, die Bundesmittel für den Hochschulpakt zu verstetigen. Alle sieben Jahre sollen die Förderkriterien mit Ländern und Hochschulen ausgehandelt werden. Dabei sollen die Qualität von Forschung und Lehre sowie die Berufschancen der Studierenden im Mittelpunkt stehen. Neu aufgenommen haben Union und SPD gegenüber ihrem Sondierungsergebnis, dass dabei auch „im Sinne guter Arbeit Kontinuität und Verlässlichkeit wichtige Kritierien“ sein sollen.

Andreas Keller: „Die Verstetigung des Hochschulpakts, mit dem in der Fläche Studienplätze finanziert werden, ist nichts anderes als der überfällige Einstieg des Bundes in die Grundfinanzierung der Hochschulen – ein wichtiger Durchbruch! Allerdings darf der Hochschulpakt nicht zu einem Wettbewerb werden, sondern muss den Hochschulen Planungssicherheit geben. Mit dem neuen Förderkriterium ‚Gute Arbeit’ haben Bund und Länder künftig ein Instrument an der Hand, den Anteil der Dauerstellen an Hochschulen zu erhöhen. Eine bloße Verstetigung reicht jedoch nicht aus: Wir brauchen eine deutliche Aufstockung des Hochschulpakts, um den Numerus clausus zu bekämpfen und die Betreuungsrelationen zu verbessern. Betrüblich ist, dass sich Union und SPD nicht zur Fortsetzung der Beteiligung des Bundes am Hochschulbau durchringen konnten. 2020 werden die dafür bereitstehenden Kompensationsmittel entfallen – ein Problem nicht nur für die finanzschwachen Länder. Die geplante Förderung der Forschungs(daten)infrastruktur ist dafür ein schwaches Trostpflaster.“

Gute Arbeit in der Wissenschaft: Enormer Handlungsbedarf

Apropos „Arbeit in der Wissenschaft“. Unter dem Druck der GEW haben sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag doch noch dazu bekannt, „den wichtigen Weg für gute Arbeit in der Wissenschaft“ fortzusetzen. Im Sondierungspapier musste dazu noch Fehlanzeige gemeldet werden. Die Koaliton möchte die Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auswerten, „um Karrierewege in der Wissenschaft attraktiv zu halten“.

Andreas Keller: „Es ist blanker Zynismus, wenn CDU, CSU und SPD davon ausgehen, Karrierewege in der Wissenschaft müssten nur attraktiv ‚gehalten’ werden. Wenn neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befristet sind und die Hälfte der Arbeitsverträge nicht einmal ein Jahr läuft, ist der Handlungsbedarf enorm: Wir brauchen Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindeststandards für Zeitverträge und verlässliche Karrierewege! Es reicht nicht aus, die ohnehin bereits im Gesetz verankerte Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2020 abzuwarten – dann wird die Wahlperiode schon wieder fast vorbei sein. Da sich viele Arbeitgeber mit der Umsetzung des Gesetzes schwer tun und nach Schlupflöchern suchen, muss die Evaluation vorgezogen und schnell über Nachjustierungen des Gesetzes entschieden werden.“

Sachgrundlose Befristung: Auch die Wissenschaft in den Blick nehmen

Einen Verhandlungserfolg hat die SPD indes beim Thema sachgrundlose Befristung erzielt. „Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Künftig sollen Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne sachlichen Grund soll nur noch maximal 18 statt bislang 24 Monate zulässig sein. Ob die Großkoalitionäre dabei auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Blick hatten, ist jedoch unklar.

Andreas Keller: „Formal ist auch eine Befristung nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz sachgrundlos – auch wenn sie seit 2016 zur Förderung der Qualifizierung zu erfolgen hat. Die Absenkung der Befristungsquote auf maximal 2,5 Prozent wäre vor diesem Hintergrund ein radikales Ansinnen. Realistisch ist davon auszugehen, dass sich die Vereinbarungen in erster Linie auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz beziehen. Da viele Wissenschaftsarbeitgeber seit der Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes auf die sachgrundlose Befristung nach diesem Gesetz ausweichen, könnten entsprechende Änderungen gleichwohl helfen, das Befristungsunwesen in Hochschule und Forschung einzudämmen. Wenn es irgendwo einen Missbrauch mit dem Befristungsrecht gibt, dann an Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Dem darf die Regierung nicht tatenlos zusehen, sondern muss den Befristungsmissbrauch unterbinden!“

BAföG: Reform muss schneller kommen

Keine Konkretisierung gab es bei den Vereinbarungen von Union und SPD zur Ausbildungsförderung nach dem BAföG. Dieses soll ausgebaut, seine Leistungen „deutlich verbessert“ werden, heißt es im Koalitionsvertrag wie bereits zuvor beim Sondierungsergebnis. Ziel ist eine „Trendumkehr“ bis 2021. Darüber hinaus haben sich CDU, CSU und SPD vorgenommen, die Schaffung studentischen Wohnraums, auch von Wohnheimplätzen, zu fördern.

Andreas Keller: „Eine BAföG-Reform ist überfällig. Es müssen wieder mehr Studierende, Schülerinnen und Schüler mit höheren Fördersätzen gefördert werden. Insofern ist die Einigung von Union und SPD, das BAföG auszubauen und zu verbessern, ein richtiges und wichtiges Signal. Allerdings hat der BAföG-Beirat der Bundesregierung vor kurzem eine rasche Anhebung von Bedarfssätzen und Freibeträgen im hohen einstelligen bis zweistelligen Bereich gefordert. Dafür reicht weder der im Finanzplan eingestellte Betrag von einer Milliarde Euro aus noch eine Trendwende erst zur nächsten Bundestagswahl. Die Vorbereitung einer BAföG-Reform gehört vielmehr ins 100-Tage-Programm der neuen Regierung. Zu begrüßen ist die Ankündigung der Koalition, endlich wieder in die studentische Wohnraumförderung einzusteigen. Eine gute Nachricht für alle Studierenden, die keinen bezahlbaren Wohnraum mehr finden.“

Tenure-Track-Programm: Bedarf auch an Fachhochschulen

Das Tenure-Track-Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses wurde bereits 2017 gestartet. Es geht auf einen Vorschlag der GEW im Köpenicker Appell von 2013 zurück. Bis 2032 sollen 1.000 Tenure-Track-Professuren an Universitäten gefördert werden. Das Programm wird in der Koalitionsvereinbarung nicht erwähnt, allerdings soll eine Initiative gestartet werden, um Karrierewege zur Fachhochschulprofessur attraktiv zu gestalten.

Andreas Keller: „Das vom Bund finanzierte Tenure-Track-Programm hat bereits jetzt wichtige Impulse gesetzt: Viele Universitäten haben gleichsam über Nacht Personalentwicklungskonzepte erarbeitet, die über die geförderte Professur hinaus wirken und für verlässliche Karrierewege sorgen können. Leider haben Union und SPD weder eine Aufstockung noch eine gleichstellungspolitische Ausgestaltung des Programms ausgehandelt. Richtig ist aber, im Sinne eines ‚Tenure Track Professional’ auch die Fachhochschulen zum Zuge kommen zu lassen. Dafür hat sich die GEW in ihrer Wittenberger Erklärung 2016 stark gemacht.“

Exzellenzstrategie und Co: Chance zum Kurswechsel verpasst

Exzellenzstrategie, Qualitätspakt Lehre, Qualitätsoffensive Lehrerbildung usw. Die Große Koalition setzt die Programmfinanzierung in der Wissenschaft fort und baut sie weiter aus. In Zukunft soll wohl ein Programm im Bereich der Digitalisierung (Förderung von Lehr- und Lernplattformen) dazu kommen, so der Koalitionsvertrag. Exzellenz wird von CDU, CSU und SPD gar zum „Leitelement in der Wissenschaftspolitik“ erklärt. Über die Exzellenzstrategie hinaus sollen daher Maßnahmen zur Gewinnung internationaler Spitzenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie zur Förderung ausgewählter Hochschulinstitute aufgelegt werden. Der Pakt für Forschung und Innovation, mit dem Bund und Länder nicht nur die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, sondern auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzieren, soll weiterhin Jahr für Jahr um drei Prozent aufgestockt werden. Diesen Aufwuchs will der Bund weiterhin allein tragen.

Andreas Keller: „Während der Hochschulpakt zwar verstetigt, aber nicht aufgestockt werden soll, wollen Union und SPD die Exzellenzstrategie ausbauen und den Pakt für Forschung weiter wachsen lassen. Das heißt aber auch: Jahr für Jahr werden immer mehr Exzellenzgelder und Drittmittel ins Hochschulsystem gespült, während die Grundfinanzierung stagniert. Das bedeutet: noch mehr Wettbewerbsdruck an den Hochschulen und mehr Zeitverträge. Hier hat die Große Koalition die Chance zum Kurswechsel verpasst: Nicht die Projektgelder und Drittmittel, sondern die Grundhaushalte der Hochschulen müssen deutlich ansteigen – sonst gerät die Hochschulfinanzierung aus dem Gleichgewicht. Positiv ist indes das Vorhaben von Union und SPD, die Programmpauschalen, mit denen Overhead-Kosten der Hochschulen für die Durchführung von Drittmittelprojekten getragen werden, von 22 auf 30 Prozent zu erhöhen. Allerdings wird diese Erhöhung erst für 2025 angestrebt – zu diesem Zeitpunkt wird schon die übernächste Regierung im Amt sein.“

Gleichstellung: Wer versagt, fliegt aus der Förderung

CDU, CSU und SPD möchten die Rahmenbedingungen dafür verbessern, dass Frauen vermehrt Führungspositionen in Hochschulen und Forschungseinrichtungen übernehmen, indem sie Wissenschaftseinrichtungen zu einer Steigerung des Frauenanteils nach dem „Kaskadenmodell“ verpflichten. Das Kaskadenmodell geht auf eine Empfehlung des Wissenschaftsrats zurück und sieht vor, dass der Frauenanteil entsprechend des Frauenanteils der vorhergehenden Qualifikationsstufe entspricht. Beispielsweise muss der Anteil der Professorinnen so erhöht werden, dass er dem Anteil der Habilitandinnen und Juniorprofessorinnen entspricht. Die Einhaltung von Gleichstellungsstandards sowie die Vorlage von Gleichstellungskonzepten mit verbindlichen Zielgrößen sollen Kriterien für die Förderung von Wissenschaftseinrichtungen werden. Das Professorinnenprogramm soll fortgesetzt und erneuert werden.

Andreas Keller: „Meint es die Große Koalition ernst mit dieser Ansage, könnte sie zu einem Durchbruch in der Gleichstellung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden. Ob Hochschulpakt, Exzellenzstrategie oder Pakt für Forschung und Innovation: Gefördert werden sollen nur noch Einrichtungen, die die Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen nachweislich verbessern. Das wäre ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem bereits jetzt im Rahmen des Pakts für Forschung und Innovation bestehende Monitoring-System: Wer bei der Gleichstellung versagt, könnte in Zukunft aus der Förderung fallen.“

Hochschulzulassung: Bund ist gefragt

Was fehlt? Eine Antwort der Großen Koalition auf das Zulassungschaos an deutschen Hochschulen. Semester für Semester bleiben in Numerus-clausus-Studiengängen Studienplätze unbesetzt. Außerdem hat das Bundesverfassungsgericht im Dezember 2017 das geltende Zulassungsrecht für verfassungswidrig erklärt und die Hochschulauswahlverfahren beanstandet. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich lediglich der Hinweis, dass der Bund die Länder bei der Novellierung der Hochschulzulassung zum Medizinstudium „begleiten“ wolle.

Andreas Keller: „Das Karlsruher Numerus-clausus-Urteil hat deutlich gemacht, dass die Hochschulen und die Länder damit überfordert sind, das Grundrecht auf freie Hochschulzulassung durchzusetzen und allen Studienberechtigten faire Zulassungschancen zu eröffnen. Der Bund muss daher endlich von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch machen und ein Bundes-Zulassungsgesetz erlassen.“