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Rechtsruck

„Kinder sind nicht Problemverursacher“

Dort, wo AfD und NPD bei Eltern gut ankommen, macht sich das auch im Kita-Alltag bemerkbar. Erzieherinnen und Erzieher stellt das vor Herausforderungen. Ziel ist, die Entscheidungsfreiheit der Kinder zu stärken.

Seit die neonazistische Kleinstpartei „Der III. Weg“ im Plauener Stadtteil Haselbrunn ihr „Bürgerbüro“ eröffnete und mit 20 Aktivisten zuzog, ist die Stadt im Vogtland in Aufruhr. Die Rechten haben Zulauf. Von „besorgten Bürgern“, die kein Problem damit haben, bei Demos wie jener, die am 9. März auf dem zentralen Klostermarkt stattfand, zusammen mit Hitler-Fans gegen „Ausländergewalt“ zu demonstrieren. Von Jugendlichen, die finden, dass in ihrer Stadt endlich etwas geboten wird und die offenbar leicht zu indoktrinieren sind: „Eine Lehrerin in Haselbrunn sagte mir kürzlich, dass sich Schüler mit ‚Heil Hitler‘ von ihr verabschiedet hätten“, berichtet die Plauener Pädagogin Doritta Korte.

Wie vielerorts in Sachsen gibt es auch im Vogtland verfestigte Neonazistrukturen, zum Teil in zweiter Generation. Beim „III. Weg“ arbeiten sie daran, dass die dritte Generation größer als die erste und die zweite wird. In der Haselbrunner Straße, unweit des Bürgerbüros, hängen an den Laternenmasten Aufkleber vom „III. Weg“, am Aufgang zur Kita „Mäuseburg“ steht „Asylflut stoppen“. Korte ist Vorsitzende des Vereins „Colorido“, der sich für die Integration Geflüchteter einsetzt. Bei der Bundestagswahl hatte sie sich als Wahlhelferin registrieren lassen. In ihrem Wahllokal, einer Kita in Haselbrunn, holte die NPD 16, die AfD 33 Prozent. Bundesweit gab es Hunderte Wahllokale, in denen die AfD auf ähnlich hohe Ergebnisse kam.

„Wir achten darauf, dass die Kinder selbst Entscheidungen treffen und lernen, nicht mit dem Strom zu schwimmen.“ (Grundschullehrerin)

Da überrascht es nicht, dass der Rechtsruck auch Erzieherinnen und Erzieher vor Herausforderungen stellt. Wie in einer Kita unweit von Halle, in der bereits das jüngste Kind einer völkisch-nationalistischen Familie so indoktriniert ist, dass es große Probleme gibt, und die Mutter verkündete: „Mein Kind soll nicht neben einem Ausländer sitzen.“ Oder in dem Städtchen im ländlichen Raum, in dem Kita und Grundschule versuchen, den Kindern auch als Gegenentwurf zu den Prägungen aus dem Elternhaus den Wert von Vielfalt sowie Entscheidungsfreiheit zu vermitteln. „Wir achten darauf, dass die Kinder selbst Entscheidungen treffen und lernen, nicht mit dem Strom zu schwimmen“, berichtet eine Grundschullehrerin.

„Die Eltern, die ihre Kinder hier in die Kita oder Grundschule bringen, agitieren nicht – es gibt hier ja auch kaum ausländische Kinder. Aber sie lassen durchblicken, dass sie das auch gut so finden. An ihren Tätowierungen erkennt man, wo sie politisch hingehören.“ Oder in einer anderen Kita, in 150 Kilometern Entfernung, in der ein Kind aus einer Reichsbürger-Familie für Probleme sorgt. Der Fünfjährige, der kognitiv einen Entwicklungsrückstand von einem Jahr hat, definiert Kinder gemäß einem Freund-Feind-Schema. Sprüche wie „Du gehörst nicht hierher“, sind an der Tagesordnung. Eines seiner Lieblingsspiele ist, andere Kinder „abzuschieben“. Kein Wunder, dass kein anderes Kind mit ihm spielen will.

Insgesamt also keine einfache Gemengelage für die Kita, sagt die Diplom-Sozialarbeiterin Eva Prausner, als sie mit dem Fall konfrontiert wird. Prausner leitet das Projekt „ElternStärken“, das seit 2008 vom Land Berlin gefördert wird. Solche Fälle stellten die fachliche Arbeit vor ein „Dilemma“: „Die Kinder sind nicht die Problemverursacher. Aber durch ihr ausgrenzendes Verhalten geraten sie selbst in Konflikt mit Kindern und Fachkräften in der Kita.“

„Aufgabe der Erzieherinnen und Erzieher ist es, abwertende Anteile zu delegitimieren und das Kind gleichzeitig in seinem Recht auf Schutz, Anerkennung und Inklusion zu stärken.“ (Eva Prausner)

Aus ihrer Beratung kennt Prausner viele ähnliche Beispiele: Kinder, die nicht mit anderen Kindern spielen wollen, weil deren dunklere Haut „dreckig“ sei; Kinder, die andere fragen, wann sie endlich „nach Hause“ gehen und damit ein anderes Land meinen. „Alle Kinder nehmen wahr, dass es Unterschiede zwischen ihnen und anderen Kindern gibt. Diese Vielfalt zu respektieren, ist ein wichtiges Bildungsziel“, sagt Prausner. Bedenklich sei, wenn Verschiedenheit zu ausgrenzendem Verhalten führe, oder dazu, dass eine abwertende Sprache benutzt wird und Kinder in ihrer Identität angegriffen werden. „Je nach Einzelfall muss herausgefunden werden, ob Kinder Vorurteile ihrer Eltern übernehmen“, so Prausner.

Die Berliner Sozialarbeiterin unterscheidet zwischen einer „vorurteilsmotivierten“ Meinung und einem rechtsextremen Weltbild, das Vorstellungen von der grundsätzlichen Ungleichwertigkeit der Menschen oder positive Bezüge zum Nationalsozialismus beinhaltet. Doch beides kann dazu führen, dass Kinder nicht unvoreingenommen und frei auf andere zugehen können. „Damit ist die Kita gefordert“, sagt Prausner. „Aufgabe der Erzieherinnen und Erzieher ist es, abwertende Anteile zu delegitimieren und das Kind gleichzeitig in seinem Recht auf Schutz, Anerkennung und Inklusion zu stärken.“ Hier seien Eltern wichtige Kooperationspartner. Auch sie stellt fest, dass rechte Ideologien gesellschaftsfähiger geworden sind. „Da heißt es dann: ‚Was ich sage, wird auch im Parlament so gesagt‘.“ Glücklicherweise machten dann jedoch oft andere Eltern solche Einstellungen zum Thema.

Auch in Jena waren Eltern alarmiert, als sie erfuhren, welchen politischen Hintergrund eine der Erzieherinnen in „ihrer“ Kita hatte. Das blenden die Kritiker gerne aus, die behaupten, die Kündigung von Riccarda W. (Name geändert) sei ein Fall von Sippenhaft gewesen. Sie ist die Frau von Ralf W., der 2018 in den NSU-Prozessen wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt worden war. Denn die Taten ihres Mannes waren nicht der Grund für ihre Kündigung. Vielmehr war die Erzieherin Kassenprüferin des NPD-Kreisverbands und wollte sich nicht von der Weltanschauung der Partei distanzieren; der Arbeitgeber sah darin einen Verstoß gegen das „humanistische Leitbild“ der Einrichtung und kündigte.

Im Fall eines rechtsextremen Horterziehers hat die Stadt Mannheim eine Kündigung ausgesprochen, weil dieser in rechter Szenekleidung bei einer NPD-Demo mitmarschiert war. Das Arbeitsgericht erklärte die Kündigung für rechtens. An einer sächsischen Hochschule wurde eine Studentin der Sozialen Arbeit exmatrikuliert, weil ihr Verbindungen ins NSU-Umfeld nachgewiesen wurden.

Überhaupt sind Vorwürfe der Gesinnungsschnüffelei eher Wahlkampfgeklingel. Denn es geht nicht darum, AfD-Sympathisanten aus dem Beruf zu treiben. Worum es allerdings durchaus geht, ist dafür Sorge zu tragen, dass alle Kinder gleich behandelt werden – unabhängig von Herkunft oder Religion. Nicht nur das Thüringer Kita-Gesetz schreibt Einrichtungen ins Stammbuch, dass „insbesondere (…) Toleranz und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen, Kulturen und Lebensweisen (…) gefördert werden“ sollen.

 

Ignorieren bringt nichts

Während es juristisch also durchaus eine Handhabe gibt, um rechte Agitatoren vom Erzieherberuf fernzuhalten, ist es deutlich schwieriger, auf Eltern und deren Kinder einzuwirken. Kinder entwickeln ihr Werteschema erst noch, sie testen vieles aus, auch Grenzen. Zuweilen hilft es schon, wenn das Personal einen Perspektivwechsel einfordert („Stell dir mal vor, DU würdest von einem Kind ...“). Andere Einrichtungen haben gute Erfahrungen mit Bildungsveranstaltungen zum Thema Rechtsradikalismus gemacht. In Gesprächen mit den Eltern empfiehlt sich, auf Anklagen zu verzichten, aber deutlich zu machen, welche Folgen das Verhalten des Kindes im Kita-Alltag hat. Auch das Entwerfen eines Leitbildes für die Einrichtung kann hilfreich sein, um den Fachkräften Rückendeckung zu geben. Wenn die Hausordnung das Tragen rechter Szeneklamotten verbietet, genügt gegenüber den Eltern ein entsprechender Hinweis.

Eines aber ist klar: Ignorieren bringt nichts. Denn Kinder, die andere abwerten, fühlen sich bestärkt, wenn das nicht sanktioniert wird. „Die entsprechenden Eltern bekommen oft auch ordentlich Gegenwind“, weiß Prausner. „Viele Eltern wollen ja auf keinen Fall, dass ihr Kind in solch einem Klima aufwächst.“ Mut und Optimismus sind also angebracht. Denn in einem offenen, respektvollen Klima, in dem positive Werte vorgelebt werden, lässt sich vieles zum Positiven beeinflussen. Auch Kinder, deren Eltern merkwürdige Ansichten vertreten.