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Tarifrunde TVöD 2020

Kein Anlass für falsche Bescheidenheit

Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben ihre Forderungen für die Tarifrunde Bund und Kommunen beschlossen. Sie sind Ergebnis einer intensiven Mitgliederdiskussion und sollen trotz der Corona-Einschränkungen durchgesetzt werden.

Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst Bund und Kommunen 2018 brachte den Beschäftigten eine Erhöhung der Gehälter um durchschnittlich 7,5 Prozent. (Foto: Kay Herschelmann)

Landauf, landab lässt sich die Stimmung unter den GEW-Mitgliedern so zusammenfassen: „Erst wurden wir beklatscht, jetzt wollen die Arbeitgeber uns eine Klatsche verpassen.“ Denn die haben schon vor Verhandlungsbeginn angekündigt, dass sie eine Nullrunde, bestenfalls mit Inflationsausgleich, anstreben – und zwar für mehrere Jahre! Die Empörung ist groß und damit auch die Entschlossenheit, für eine Gehaltssteigerung zu kämpfen, in der sich die öffentliche Anerkennung für die gute Arbeit der Beschäftigten im Entgelt widerspiegelt. Die Forderung lautet: 4,8 Prozent, mindestens jedoch 150 Euro mehr Gehalt.

Deshalb steht die Entgeltforderung in dieser Tarifrunde noch deutlicher im Zentrum der Auseinandersetzung als in „normalen“ Runden. Aber wie entwickelt man eine vernünftige Lohnforderung in Krisenzeiten? Normalerweise würden sich die Gewerkschaften die Entwicklung der Preise und der gesamtwirtschaftlichen Produktivität anschauen, sprich „was es zu verteilen gibt“. Mit dieser müssen die Löhne (mindestens) im Gleichschritt steigen, sonst geht die Schere zwischen Löhnen und Profiten immer weiter auseinander. Das nennt man den verteilungsneutralen Spielraum. Besser noch: Die Gewerkschaften versuchen, die Schere ein Stück weit zu schließen. Das nennt man Umverteilung.

Lohnpolitik gegen die Krise

In den vergangenen zehn Jahren ist es den Gewerkschaften gelungen, die Gehälter im öffentlichen Dienst so zu erhöhen, dass es zu spürbaren Reallohnsteigerungen kam und der verteilungsneutrale Spielraum in etwa ausgeschöpft worden ist. Langfristig bleibt aber das Ziel, eine echte Umverteilung zugunsten der Beschäftigten zu erreichen, denn die Spanne zwischen Arbeitseinkommen und Unternehmensgewinnen ist noch immer viel zu groß.

Doch 2020 ist nichts normal. Die Zukunftsaussichten sind so ungewiss wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Wirtschaftsforschungsinstitute machen zwar weiterhin Prognosen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, weisen aber nachdrücklich darauf hin, dass dies derzeit eine Rechnung mit extrem vielen Unbekannten sei. Anfangs gingen die meisten Institute noch davon aus, dass der wirtschaftliche Einbruch schon nächstes Jahr wieder aufgeholt werden könnte. Inzwischen (Stand Ende Juli) gehen die Schätzungen eher von zwei bis drei Jahren aus, aber auch nur, wenn kein zweiter Lockdown kommt. Auf dieser Grundlage lassen sich weder die Preisentwicklung noch die Steuereinnahmen halbwegs verlässlich vorhersagen. Und die Rohstoffpreise, darunter Heizöl und Benzin, fahren weltweit schon seit Jahren Karussell.

Dieses Jahr ist auch nichts normal mit Blick auf den Ablauf einer Tarifrunde. Nach wie vor gelten Einschränkungen für Reisen und große Versammlungen. Und wie erklärt man den Bürgerinnen und Bürgern, dass wenige Monate nach dem Lockdown ausgerechnet im öffentlichen Dienst gestreikt werden muss? Vor diesem Hintergrund erschien es den Gewerkschaften vernünftig, „auf Sicht“ zu fahren und mit den Arbeitgebern eine kurz laufende Vereinbarung bis Anfang nächsten Jahres abzuschließen. Damit hätten sie einen Tarifkampf im Herbst 2020 vermieden. Dieser Aufschub sollte aber nicht von den Beschäftigten durch Lohnverzicht erkauft, sondern zum Beispiel durch eine Sonderzahlung kompensiert werden. Doch die Arbeitgeber haben völlig andere Ideen. Sie wollen keinen Aufschub und erst recht nicht dafür zahlen. Sie wollen möglichst schnell einen Tarifvertrag, der mehrere Jahre läuft und wenig kostet. „Planungssicherheit“ nennen sie das – in Zeiten, in denen eigentlich nichts längerfristig planbar ist!

Verantwortung des öffentlichen Dienstes

Das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat im Juni eine Empfehlung für die Lohnpolitik in der Krise vorgelegt. Das IMK lässt sich dabei vom Grundgedanken leiten, dass die Lohnpolitik die Krise nicht verstärken sollte, sondern als stabilisierender Faktor wirken muss. Das gelingt, wenn sich die Lohnentwicklung am langfristigen Trend der Produktivitätsentwicklung sowie an der von der Europäischen Zentralbank avisierten „Zielinflationsrate“ von knapp unter zwei Prozent orientiert. Das ist in Firmen, die gerade mit der Insolvenz kämpfen, nicht durchzusetzen.

Umso größer ist die Verantwortung des öffentlichen Dienstes, der solchen Marktrisiken nicht ausgesetzt ist. Klar, wenn die Einnahmen auf breiter Front wegbrechen, muss auch eine Lohnerhöhung über öffentliche Schulden finanziert werden. Aber angesichts der riesigen Konjunkturprogramme, die jetzt – zu Recht – aufgelegt werden, um die Folgen der Krise abzumildern und die Konjunktur wieder anzukurbeln, ist das zumutbar und vernünftig. Auch für die Kommunen wurde ein umfangreiches Rettungspaket aufgelegt, mit dem der Bund die Einnahmeausfälle und Mehrausgaben ausgleicht. Um den öffentlichen Dienst zukunftssicher zu machen und weil Lohneinkommen überwiegend in den Konsum fließen und so die Binnennachfrage steigern, müssen davon auch die rund 1,5 Millionen Tarifbeschäftigten im kommunalen öffentlichen Dienst profitieren. Das ist gerade angesichts stark rückläufiger Exporte eine wichtige Säule der Wirtschaft.

Mehr Geld für alle

Es besteht also kein Anlass für falsche Bescheidenheit. Trotzdem ist ein Arbeitskampf mitten in der Krise kein Spaziergang. Gerade in den Kitas, die über Monate geschlossen oder nur im Notbetrieb waren, sind die Hemmungen groß, den Kindern und Eltern jetzt weitere Einschränkungen zuzumuten.

Doch was ist mit der Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe? Die GEW hatte sich in einer tarifpolitischen Konferenz im Mai 2019 darauf vorbereitet, 2020 den nächsten Schritt zu gehen, um die Eingruppierung der Kolleginnen und Kollegen im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst zu verbessern. Das bleibt auch weiter das Ziel. Aufgrund der schwierigen Gesamtlage hat die GEW-Tarifkommission jedoch entschieden, im Herbst 2020 zunächst eine Einkommenserhöhung für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst durchzusetzen. Denn die Arbeitgeber haben schon angedeutet, dass sie sich unterschiedliche Lohnsteigerungen für verschiedene Sparten vorstellen. Sie wollen die Beschäftigten spalten! Dem müssen Gewerkschaften und Beschäftigte entgegenhalten, dass der gesamte öffentliche Dienst systemrelevant ist. Er lässt sich nicht spalten! Das Thema Aufwertung werden die Gewerkschaften nach der Tarifrunde mit Nachdruck wieder auf die Agenda setzen.

Arbeitszeit angleichen

Ein Thema darf 30 Jahre nach der deutschen Einheit aber nicht fehlen: die vollständige Angleichung der Arbeitszeit in den östlichen Bundesländern an das Westniveau! Nach wie vor arbeiten die Beschäftigten im Tarifgebiet Ost des kommunalen öffentlichen Dienstes pro Woche eine Stunde länger als ihre West-Kolleginnen und -Kollegen. Damit muss endlich Schluss sein. Die Gewerkschaften fordern 39 Stunden einheitlich im gesamten Geltungsbereich des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD).

Es sind herausfordernde Zeiten. Die Arbeitgeber haben die Beschäftigten und die Gewerkschaften herausgefordert. Diese Herausforderung nimmt der gesamte öffentliche Dienst an und zeigt, dass er mit neuen, kreativen Aktionsformen kämpfen kann.