Zum Inhalt springen

Impfdebatte

Ja zur Spritze, nein zur Pflicht

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will Impfen mit Strafen erzwingen. Fachleute sind allerdings skeptisch, ob dadurch der Immunschutz gegen Krankheiten wie Masern verbessert werden kann.

Foto: mauritius images/Yanadjana/Alamy

Es beginnt mit leichtem Fieber, Schnupfen und trockener Husten können dazukommen. Wenn das Fieber steigt und sich hinter den Ohren ein roter Hautausschlag zeigt, ist die Diagnose klar: Masern. Eine Impfung verhindert die Infektion, die meist im Kindesalter auftritt. Eine flächendeckende Immunisierung könnte die Krankheit ausrotten. Aber über die Frage, ob die Spritze zur Pflicht werden soll und welche Rolle Kitas und Schulen dabei spielen, tobt ein heftiger und teilweise ideologischer Streit. Auch in der GEW herrscht keine einheitliche Meinung. Trotz Bedenken von Fachleuten legte Gesundheitsminister Spahn im Juli einen erweiterten Gesetzentwurf vor, der den Masernschutz mit Bußgeldern und Nachweisen erzwingen will.

Masern entstehen durch das „Trennungstrauma, wenn die Kinder in die Kita kommen“, durch Impfungen würden Kinder autistisch – wer im Internet zum Thema recherchiert, stößt schnell auf Thesen, die weit vom wissenschaftlichen Stand entfernt sind. Der ist nämlich eindeutig: „Masern sind eine gefährliche Infektionskrankheit, die sich mit einem gut verträglichen Impfstoff vermeiden lässt“, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Ethikrats von Ende Juni. Auch ärztliche Vereinigungen weisen darauf hin, dass Todesfälle durch Masern nachgewiesen sind, Todesfälle durch Impfungen jedoch nicht.

So scheint Spahns Vorstoß einleuchtend: Damit „Kinder wirksam vor Masern geschützt werden“, soll die Impfung zur Pflicht werden. Im Juli beschloss das Kabinett, dass Eltern ab kommenden März bis zu 2.500 Euro Bußgeld zahlen müssen, wenn die Immunisierung fehlt. „Nichtgeimpfte Kinder können vom Besuch des Kindergartens ausgeschlossen werden. Nichtgeimpftes Personal darf in Gemeinschafts- oder Gesundheitseinrichtungen keine Tätigkeiten aufnehmen“, teilt das Ministerium mit. Kitas und Schulen sollen die Impfpässe oder Atteste prüfen. Doch es gibt Bedenken, pädagogische wie medizinische.

„Die allermeisten Mütter und Väter lassen ihre Kinder impfen. Es gibt einen breiten Konsens, dass Masernschutz einen hohen Rang hat.“ (Katharina Queisser)

„Dass pädagogisches Personal so eine Kontrollfunktion ausübt, ist ein No-Go“, sagt Björn Köhler, im GEW-Vorstand für den Bereich Kita verantwortlich. „Das Verhältnis zu Eltern baut auf Vertrauen auf, Kontrollen durch das Kita-Personal können der Erziehungspartnerschaft zuwiderlaufen.“ Zudem bestehe ein „Recht des Kindes auf Bildung“ bereits im Vorschulalter. So steht die Gewerkschaft zum Masernschutz, hält aber wenig von der Pflicht.

Impfzwang habe sich nicht bewährt, lautete ein Fazit der 6. Nationalen Impfkonferenz, die im April in Hamburg stattfand. Frankreich und Italien hätten trotz der Pflicht zum Pieks schlechtere Quoten als Deutschland, und eine staatliche Verordnung könnte die Skepsis vergrößern. Ole Wichmann, Impfexperte des Robert-Koch-Instituts, erklärte, warum er die Idee für „nicht sinnvoll“ hält: Heute seien die meisten Kleinkinder geimpft, während es bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Lücken gebe. Statt die Kleinsten zu kontrollieren, sollten die Großen aufgeklärt werden. Der Ethikrat verweist auf moralische und juristische Fragen nach körperlicher Unversehrtheit und Elternrechten und gibt zu bedenken, dass es eine Einschränkungen der Berufsfreiheit bedeutet, wenn vor dem Job eine Impfung als Hürde steht.

Kita-Experte Köhler nennt noch ein praktisches Problem: „Wer als Kind Masern hatte, ist zwar immun, müsste diesen Status aber nachweisen.“ Dazu müsste eigens eine Untersuchung stattfinden. Wer die Kosten dafür trägt, gehört zu den offenen Fragen. Ja zum Schutz, nein zum Zwang, sagt auch die Elternschaft: „Die allermeisten Mütter und Väter lassen ihre Kinder impfen. Es gibt einen breiten Konsens, dass Masernschutz einen hohen Rang hat“, sagt Katharina Queisser, eine Sprecherin der Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege. Die Zahl „radikaler Gegner“ schätzen sie und Co-Sprecherin Katja Wegner-Hens auf „2 bis 4 Prozent“.

Ähnliche Zahlen nennt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BgZA): Die erste Spritze gegen Masern, Mumps und Röteln erhalten 97 Prozent der Kinder eines Jahrgangs – nur 93 Prozent werden erneut geimpft. Damit rutscht der Grad der „Durchimpfung“ unter 95 Prozent. Doch erst ab diesem Wert lässt sich eine Krankheit ausmerzen.

„Ich wünsche mir eine neutrale und fachliche Beratung durch die Gesundheitsämter.“ (Erni Schaaf-Peitz)

Allerdings verweigert nur eine sehr kleine Gruppe der Eltern die zweite Spritze bewusst. Meist wird diese Impfung verschoben, vergessen oder aus medizinischen Gründen zurückgestellt: „Meine eigenen Kinder sind besonders empfindlich, also verlängern wir auf Rat des Arztes die Spanne zwischen den Impfungen“, sagt Wegner-Hens. Eine Verschiebung auf ärztlichen Rat wird laut Kabinettsbeschluss weiter möglich sein, dennoch sehen die Eltern ein Grundproblem: „Wenn das Kind bei der Anmeldung die erste Impfung hat, welche Erzieherin wird und darf prüfen, ob der zweite Termin stattgefunden hat?“, fragt Queisser. Fände eine solche Überprüfung statt, sei es aber undenkbar, ein bereits aufgenommenes Kind wegzuschicken: „Schließlich geht es um Beziehungsaufbau.“

Erstmal gelassen zu bleiben, rät Erni Schaaf-Peitz. Seit fast 40 Jahren leitet sie eine kommunale Kita in Rheinland-Pfalz. Masern hat sie als Kind gehabt, ihre eigenen Kinder haben die Krankheit noch als „normal“ durchlebt. Inzwischen hat sie seit Jahren keinen Fall mehr gesehen – bundesweit erkrankten zuletzt im Jahr rund 400 Menschen, 2002 waren es noch rund 4.600.

Die Erzieherin plädiert für „Sachlichkeit und Aufklärung“: Eltern müssten sich in ihren Sorgen ernst genommen fühlen. „Das ist eine Frage der Haltung in der Kita – wie geht man um mit solchen Themen?“ Eine Kontrolle durch die Einrichtung lehnt auch sie ab. „Ich wünsche mir eine neutrale und fachliche Beratung durch die Gesundheitsämter.“ Wichtig sei zudem, dass regelmäßig an die zweite Impfung erinnert werde.

Im Herbst muss der Spahn’sche Gesetzentwurf den Bundestag passieren. Möglich, dass sich dann noch etwas am Wortlaut ändert. Schließlich, sagt ein Berliner Bonmot, kommt kein Gesetz so aus dem Parlament heraus, wie es hinein gekommen ist.