Was müssen angehende Lehrerinnen und Lehrer lernen, um
inklusive Schule gestalten zu können?
Bei der daran anschließenden Podiumsdiskussion der Fachtagung setzten sich neben Irene Demmer-Dieckmann die Bremer Lehrerin Sheila Beringer, Prof. Dr. Vera Moser, Erziehungswissenschaftlerin an der Humboldt-Universität zu Berlin, Ryan Plocher, Referendar an einer Schule im Berliner Bezirk Neukölln, sowie Sabine Reich, Senatsverwaltung für Berlin, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin und Berichterstatterin der Kultusministerkonferenz für Lehrerbildung, mit der Frage auseinander, was angehende Lehrerinnen und Lehrer lernen müssen, um inklusive Schule gestalten zu können.
Dabei wurde das Spannungsfeld zwischen gewünschter und erlebter Schule sichtbar. E sei schwierig, so Sheila Beringer, den Kindern gerecht zu werden – sowohl den „starken“ als auch den „schwachen“ Schülerinnen und Schülern. Lehrerinnen und Lehrer würden heute vor allem zu Einzelkämpfern ausgebildet. Auf dem Podium wurde deutlich, dass gerade für eine gelingende inklusive Schule das Arbeiten in multiprofessionellen Teams besonders wichtig erscheint. Die Fragen, wie diese Teams zusammengesetzt sind, welche Rollen die einzelnen Fachpersonen tragen und konkret, wie die Sonderpädagogik weiter zu entwickeln ist, sind dabei zentrale aber bisher weitgehend ungeklärte Fragen. Ob wir überhaupt über Inklusion reden können, wenn wir im Kern noch immer ein gegliedertes, selektives Schulsystem haben, wandte Irene Demmer-Dieckmann ein. Die Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen dürften nicht zum „Hilfslehrer“ des Regellehrers werden, so Sabine Reich.
Vera Moser betonte, dass Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen lebenslaufbezogene Studienmotivationen aufwiesen und einen stärker individualisierenden Blick aufwiesen, der in der inklusiven Schule in multiprofessionellen Teams besonders hilfreich sein könne. Ryan Plocher forderte eine deutlich bessere Vernetzung der ersten und zweiten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden. Aus dem Auditorium wurden vielfach niedrigschwellige Hilfs- und Unterstützungsangebote für die Lehrkräfte eingefordert. Zudem müsse auch das Arbeiten in multiprofessionellen Teams gelernt werden. Schulentwicklung fange schon in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung an, hieß es weiter.
In seinen Schlussfolgerungen formulierte Dr. Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW, vier Schritte für die inklusionsgerechte Weiterentwicklung der Lehrerinnen- und Lehrerbildung, die er aus der Tagung mitnehme. Als erstes lasse sich festhalten, dass Vielfalt und Diversität von niemandem mehr in Frage gestellt werde, sondern es vielmehr darum gehe, wie sie gestaltet werde. „Vielfalt ist kein Hindernis, sondern eine Stärke für unsere Bildungseinrichtungen“, so Keller, der im GEW-Vorstand federführend für das Zukunftsforum Lehrer_innenbildung verantwortlich ist. Die GEW gehe dabei von einem breiten Inklusionsbegriff aus, dessen verschiedene Dimensionen von Vielfalt von einem Bildungskonzept getragen werden müssen, hob er erneut hervor. Zweitens, stellte Keller fest, sei Inklusionspädagogik auch eine Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer.
Die weltweite Dachorganisation der Bildungsgewerkschaften, die Bildungsinternationale, habe sich dazu in ihrer Erklärung zum Berufsethos der Lehrkräfte und anderer im Bildungsbereich Beschäftigter ausdrücklich bekannt. Inklusion müsse drittens in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung verankert werden. Und das nicht additiv, sondern es müsse sich durch das Curriculum aller drei Phasen der Lehrer_innenbildung durchziehen, also in Studium, Referendariat bzw. Vorbereitungsdienst sowie in der Fort- und Weiterbildung.
Viertens und letztens könne nicht oft genug betont werden, dass es Inklusion und eine inklusionsgerechte Lehrerinnen- und Lehrerbildung „nicht zum Nulltarif“ gäbe, mahnte Keller. Lehrerinnen und Lehrer, aber auch die Lehrenden an den Hochschulen, in den Studienseminaren und die Studierenden und Referendarinnen und Referendare müssten aktiv unterstützt werden und bestmögliche Rahmenbedingungen für ihre Arbeit bekommen. Dabei dürfen auch Themen wie Betreuungsrelationen, Beschäftigungsbedingungen und Fortbildungsangebote nicht ausgeklammert werden.
Ohne eine aktive Unterstützung durch Bund und Länder seien die Reformen zu schwer zu bewältigen. Sonderprogramme wie die von Bund und Ländern gestartete „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ könnten eine notwendige Reform in der Breite nicht ersetzen. Es werde daher höchste Zeit, das Kooperationsverbot im Grundgesetz durch ein Kooperationsgebot zu ersetze, so Keller abschließend.
Text: Isabel Carqueville
Fotos: Kay Herschelmann