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Inklusion in NRW: Positive Schulentwicklung

Für Bildungseinrichtungen wie die Kettelerschule in Bonn ist Inklusion eine Erfolgsgeschichte. Sie zeigt, dass gemeinsamer Unterricht die Schulentwicklung positiv beeinflussen kann. Dennoch herrscht in NRW flächendeckend Frust, weil sich viele Lehrkräfte alleingelassen fühlen.

Bonn-Dransdorf ist das, was man früher einen Problemstadtteil genannt hätte. Heute ist dieses Etikett politisch nicht mehr korrekt, weil es stigmatisierend wirkt. Deshalb sprechen die Behörden lieber von einer besonderen „sozialräumlichen Situation mit besonderem Erneuerungsbedarf“. Für die einzige Grundschule in Dransdorf kommt es am Ende auf dasselbe raus: Sie liegt mitten im sozialen Brennpunkt. Gestern, heute – und morgen auch noch.

„Etwa ein Viertel der 200 Kinder hat sonderpädagogischen Förderbedarf“, sagt Schulleiterin Christina Lang-Winter. Als sie vor rund zehn Jahren als Lehrerin an die Kettelerschule kam, war sie geschockt über die Bedingungen, unter denen das Kollegium arbeiten musste. „Jeder kämpfte für sich: Lehrkräfte, Kinder, Eltern. Fast alle Schülerinnen und Schüler gingen nach der Grundschule auf die Haupt- oder die Sonderschule. Sie erlebten ihre Schulzeit als permanentes Scheitern.“
Die Pädagogin mit dem kurzen blonden Haar wirkt heute sehr zufrieden, wenn sie über die Entwicklung „ihrer“ Schule spricht. Vom Frust der Anfangsjahre ist nichts übrig geblieben. Der positive Wandel hängt maßgeblich mit einer inklusiven Schulentwicklung zusammen. Während genau das vielen Schulen in NRW gerade zu schaffen macht, hat der Prozess der Kettelerschule gut getan. „Sicher hätten wir die Schule mit guter Organisation auch ohne gemeinsamen Unterricht positiv verändern können“, resümiert Lang-Winter. „Aber dann wären heute nur Kinder an der Schule, die ins Regelsystem passen. Und das wäre sehr schade.“

Die ersten Schritte hin zum gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Beeinträchtigung ging die Ganztagsgrundschule bereits in den 1990er-Jahren. „Es gab eine Integrationsklasse, die aus der Not heraus geboren wurde“, erzählt Lang-Winter. „Etwa die Hälfte der Schüler hatte offiziell sonderpädagogischen Förderbedarf, aber auch in den anderen Klassen gab es viele Kinder, die Hilfe brauchten. Wir waren de facto so etwas wie eine Förderschule – aber ohne die entsprechende fachliche Unterstützung.“

Jakob-Muth-Inklusions-Preis

Seitdem hat sich viel verändert an der Schule, die 2013 den Jakob-Muth-Preis für Inklusion erhalten hat. Die Kinder werden heute jahrgangsübergreifend in acht Lernfamilien unterrichtet. Hier arbeiten Sonder- und Regelschulpädagogen mit Schulassistenten sowie Erziehern Hand und Hand. Unterstützung gab und gibt es von der Stadt und der Bonner Montag-Stiftung.

Ein Teil der Kinder wird nicht zielgleich unterrichtet. Lehrerinnen und Lehrer versuchen, die Entwicklung des Einzelnen zu sehen – nicht die Leistung des Schülers gemessen am Klassendurchschnitt. Dieses Konzept zieht mittlerweile auch Kinder aus bildungsnahen Familien außerhalb des Stadtteils an. Die Übertrittsquoten auf die weiterführenden Schulen haben sich nach Angaben der Schulleitung völlig verändert: Der Anteil der Gymnasialschüler hat sich mehr als verdoppelt. Deutlich gestiegen ist auch der Anteil der Realschüler sowie jener Kinder, die zu einer Gesamtschule wechseln.

Die Kettelerschule ist längst nicht die einzige in NRW, die enorm von der Inklusion profitiert. Aber diese Positiv-Beispiele sind bisher nicht die Regel, sondern eher Ausnahmen. Dabei hat das Bundesland in den vergangenen Jahren viel dafür getan, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Vor zwei Jahren verabschiedete die rot-grüne Regierung den Aktionsplan „Eine Gesellschaft für alle – NRW inklusiv“. Seit dem neuen Schuljahr haben Eltern von Mädchen und Jungen mit Beeinträchtigungen einen Rechtsanspruch darauf, dass ihr Kind die Regelschule besuchen kann – soweit sind längst nicht alle Länder.

Teures Doppelsystem

Dennoch hat sich die Zahl der Förderschulen nicht nennenswert verringert – und das Doppelsystem aus Spezial- und allgemeinbildenden Schulen kostet viel Geld. Da wundert es nicht, dass Land und Kommunen heftig darüber stritten, wer denn nun welchen Anteil an den Inklusionskosten tragen solle. Erst im Frühjahr einigte sich die Landesregierung mit dem Städte- und Gemeindebund auf einen Kompromiss. Demnach will das Land die Kommunen mit rund 175 Millionen Euro bei der Inklusion unterstützen. Im Gegenzug verzichten diese vorerst auf Klagen gegen das Inklusionsgesetz der Landesregierung. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ist zufrieden und lobt den finanziellen Kraftakt bei knapper Haushaltslage: „Insgesamt belaufen sich die Investitionen in den nächsten Jahren auf mehr als eine Milliarde Euro.“

Lehrerverbände beklagen dennoch unisono, dass der gemeinsame Unterricht unterfinanziert sei und die Schulen nicht ausreichend vorbereitet worden seien (siehe Kasten). Die GEW-Forderung nach maximal 20 Schülern (darunter fünf mit Förderbedarf) sowie einem Team aus je einer Förder- und einer Regellehrkraft verhallt bislang ungehört. Zwar hat Schulministerin Löhrmann zugesagt, bis 2017 rund 3 200 zusätzliche Lehrerstellen zu schaffen. Die GEW sowie Bildungsökonomen gehen jedoch von einem viel höheren Personalbedarf aus, wenn das gemeinsame Lernen in NRW eine Erfolgsgeschichte werden soll – und zwar nicht nur an Vorzeige-Einrichtungen wie der Kettelerschule in Bonn-Dransdorf, sondern flächendeckend.