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Immer mehr alte Menschen auf Grundsicherung angewiesen

"Wenn die Rentenbeiträge nicht über 22 Prozent im Jahr 2030 steigen sollen, wird das Niveau in der Gesetzlichen Rentenversicherung weiter sinken." Dies prognostiziert die Professorin für Sozialpolitik, Ute Klammer, in der "E&W".

Foto: Pixabay / CC0

Wie hoch unsere Rente ausfällt, ergibt sich aus unserem Lebensverlauf und dessen rentenrechtlicher Bewertung. In unserer Forschung konnten wir sieben biografische Dimensionen identifizieren, die zu nicht ausreichendem Alterseinkommen beitragen können: Die Erwerbs-, Familien-, Gesundheits-, Bildungs-, Vorsorge- und Migrationsbiografie sowie sonstige biografische Risikoelemente. Zu den Gruppen, die heute von niedrigen eigenständigen Alterseinkommen betroffen sind, gehören familienorientierte Frauen, zugewanderte Menschen, aber auch "umbruchsgeprägte" Ostdeutsche. Auffallend ist zudem das hohe Risiko Selbstständiger, die bislang mehrheitlich nicht pflichtversichert sind.

Ende 2015 waren rund 536 000 Seniorinnen und Senioren auf Leistungen der Grundsicherung im Alter angewiesen; dies entsprach "nur" 3,1 Prozent der Bevölkerung im Rentenalter. Die Armutsrisikoquote von Rentnerinnen und Rentnern liegt gegenwärtig in Deutschland deutlich unter der von Kindern. Doch hieraus zu schließen, dass kein Handlungsbedarf im Bereich der Alterssicherung bestünde, wäre fatal. Schon jetzt ist zu beobachten, dass die Zahl alter Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, zunimmt.

Wenn die Rentenbeiträge nicht über 22 Prozent im Jahr 2030 steigen sollen, wird das Niveau in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) weiter sinken; hinzu kommt, dass mit dem Übergang zur nachgelagerten Besteuerung ein wachsender Anteil unseres Alterseinkommens steuerpflichtig sein wird. Die Verheißungen kapitalgedeckter Renten aus betrieblicher Alterssicherung und privater Vorsorge haben im Zeitalter von Finanzmarktkrisen und Niedrigzinsniveau einen Dämpfer erlitten – ganz abgesehen davon, dass diese "zweite und dritte Säule" der Alterssicherung die Einkommensungleichheit nicht verringert, sondern weiter vergrößert.

Selbstständige in die GRV einbeziehen

Künftig ist mit zusätzlichen Risikogruppen zu rechnen, darunter Frauen und Männer mit langjähriger prekärer Beschäftigung und gebrochenen Erwerbsverläufen sowie Geringverdienende. Sie sind nicht nur von den Rentenkürzungen seit 2001 betroffen, sondern auch von den Umbrüchen am Arbeitsmarkt und Veränderungen der Familienformen. Um Altersarmut effektiv zu bekämpfen, ist daher eine umfassende soziale Lebenslaufpolitik vonnöten. Neben guten Startchancen durch eine solide Bildung sind die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zentral: Den besten Schutz vor Altersarmut bietet eine durchgängige Erwerbsbiografie mit einem Einkommen, das nicht nur den Lebensunterhalt deckt, sondern auch den Aufbau ausreichender Rentenanwartschaften ermöglicht.

Wir müssen begreifen: Erwerbsformen und Löhne, die keinen Beitrag zur Alterssicherung ermöglichen, sind nicht nachhaltig. Sie verschärfen das Risiko der Altersarmut und belasten über die steuerfinanzierte Grundsicherung kommende Generationen. Wesentlich sind daher weitreichende Investitionen in Bildung und Weiterbildung, eine strengere Regulierung atypischer Beschäftigungsformen, flexible Arbeitszeitmodelle und adäquate Löhne. Darüber hinaus sollten schlecht abgesicherte Gruppen wie Selbstständige in die GRV einbezogen und diese schrittweise zu einer universalistischen Bürgerversicherung ausgedehnt werden. Nur wenn man alle Erwerbstätigen zur Vorsorge gemäß ihrer Leistungsfähigkeit über den Lebensverlauf verpflichtet, sind Ausgleichsmechanismen zugunsten von Fürsorgeleistungen, Niedrigeinkommmensbeziehern u.a. zu begründen.

Stärkung der betrieblichen Alterssicherung? Gerne! Problematisch wäre es jedoch, die Entgeltumwandlung in betrieblichen Sicherungssystemen mit einer weiteren Rentenbeitragsbefreiung von Erwerbseinkommen anzureizen: Diese Vorsorgeformen sind häufig rein arbeitnehmerfinanziert. Zudem sinken mit den ausfallenden GRV-Beiträgen auch die individuellen Rentenansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wenn man ein Loch stopfen will, sollte man es vorher nicht vergröße

Prof. Ute Klammer, Professorin und Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen. Foto: Arnd Drifte