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Hessen beschließt per Volksabstimmung Schuldenbremse – „Magerstaat“ droht

Die Schuldenbremse ist alles andere als generationengerecht. Im Gegenteil: Sie wird dazu führen, dass sich die Bildungsstandards künftiger Generationen verschlechtern. Darauf weist die GEW hin. Experten geben der Gewerkschaft Recht.

Es sind düstere Prognosen, die der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne aufstellt. Die Schuldenbremse, die die Hessen mit der Volksabstimmung Ende März endgültig beschlossen haben, werde bald schon die Bildungspolitik beeinflussen. Von weiteren Kürzungen sei auszugehen. Am Ende drohe der „Magerstaat": „Einen Ausbau der Ganztagsangebote und mehr individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen wird es dann nicht mehr geben", sagte der GEW-Vorsitzende kürzlich bei einer Tagung der GEW in Kassel. Die Schuldenbremse sei in Wahrheit eine Bildungsbremse.

Mit seiner klaren Position war Thöne bei der Veranstaltung mit dem Titel „Nachhaltige Finanzpolitik für gute Bildung - Nein zur Schuldenbremse" nicht alleine. Der hessische GEW-Vorsitzende Jochen Nagel geht etwa davon aus, dass sich der nun beschlossene Passus in der Verfassung auch an den Hochschulen bemerkbar machen wird. Wenn die Länder keine neuen Schulden machen dürften, müssten sie auf größere Investitionen verzichten. Was dann passiere, ist für Nagel absehbar. Die öffentliche Hand werde private Investoren suchen, die dann im Zuge der oft kritisierten Public-Private-Partnership-Modelle etwa neue Uni-Institute bauen. Damit verlören die Länder an Einfluss an den Hochschulen. Oder aber, es gebe zwar weiterhin Geld für Universitäten und Fachhochschulen, „das dann aber durch Studiengebühren eingenommen werden muss".

Einnahmen verbessern

Vor rund zweieinhalb Jahren habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Bildungsgipfel in Dresden das Ziel verkündet, künftig sieben Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in die Bildung zu investieren, sagte Thöne. Dieses Vorhaben lasse sich mit der Schuldenbremse nicht realisieren. Derzeit gebe Deutschland bloß 4,7 Prozent des BIP für die Bildung aus, weit weniger als die meisten anderen OECD-Staaten.
Wobei die GEW-Vorstände nicht falsch verstanden werden wollten: Auch sie sind der Meinung, dass es unfair wäre, künftigen Generationen einen Schuldenberg zu hinterlassen. Dieses Argument hatte der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) bei der GEW-Tagung angeführt. Nur dürfe sich der Staat nicht ausschließlich mit der Ausgabenseite beschäftigen, sondern müsse durch eine gerechtere Steuerpolitik die Einnahmeseite stärken, so Thöne.

Unterstützung bekommt die GEW in diesem Punkt von Achim Truger, dem steuer- und finanzpolitischen Experten des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung. Deutschland sei in Sachen Sparsamkeit bereits Vizeweltmeister. Von 1998 bis zum Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 seien die Staatsausgaben real um 0,2 Prozent zurückgegangen. Nur Japan sei mit einem Minus von 1,1 Prozent noch restriktiver bei seinen Ausgaben. In der Europäischen Union hingegen gebe es eine Wachstumsrate von durchschnittlich 1,5 Prozent.

Schreckensvorstellungen

„Es gibt also keine verschwenderische Ausgabenpolitik in Deutschland", sagte Truger. Investitionen seien schon aus volkswirtschaftlicher Sicht notwendig. Bei einer strikten Sparpolitik könnte der gesamte Euro-Raum in Stagnation versinken. Eine Schreckensvorstellung für Finanzminister.

Die Schreckensvorstellung für Menschen, die in der Bildung tätig sind, lässt sich ebenfalls statistisch darstellen. Bereits jetzt fehle pädagogisches Personal, sagte Nagel und bemühte den internationalen Vergleich. Danach kommen in Island 110 Lehrkräfte und Sozialpädagogen auf 1 000 Schülerinnen und Schüler. In Deutschland liege diese Zahl bei 63, in Hessen bei 55. Wenn durch die Schuldenbremse weiter an der Bildung gespart werde, dürfte sich das Betreuungsverhältnis an den Schulen noch verschlechtern. „Generationengerechtigkeit sieht anders aus", betonte Thöne.

Thöne und Nagel verweisen in diesem Zusammenhang auf das Steuerkonzept der GEW* (E&W berichtete), mit dem sich deutlich mehr Einnahmen erzielen ließen. Beide forderten, Besserverdienende, Unternehmer und Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen. Der Spitzensteuersatz und die Körperschaftsteuer müssten erhöht werden. Alleine durch eine Finanzproduktesteuer könne der Staat jährlich 13,5 Milliarden Euro zusätzlich einkassieren. Durch Steuerreformen habe er in den vergangenen zehn Jahren auf 400 Milliarden Euro verzichtet.