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Gesunde Ernährung in Kita, Schule und Hochschule

Gourmets im Kita-Restaurant

Kleine Kinder können sehr wählerisch sein, wenn es ums Essen geht. Mit den richtigen Zutaten und einem nachhaltigen Ernährungskonzept lassen sich aber die meisten auf einen gesunden Speiseplan ein.

Manches Obst und Gemüse wird in der Kita selbst angebaut. Zum Ernährungskonzept gehört, dass Kinder und Erzieherinnen im eigenen Kita-Restaurant essen. (Foto: Christoph Boeckheler)

Petra war die Sarah Wiener der Kita. Was die Köchin jeden Tag auf den Tisch zauberte, war nicht nur frisch und gesund, es wurde auch mit Begeisterung gegessen. Spinat, Blumenkohl, Brokkolisuppe – die Kinder schaufelten alles begierig in sich hinein. Euphorie auch bei den Eltern, zumindest am Anfang. Dann stellten sie fest, dass Ben, Selma und Lisa zu Hause weiter Gemüse aussortierten und am liebsten Nudeln ohne Soße aßen. Auch das Kita-Kochbuch mit -Petras Rezepten brachte keinen Erfolg, weil das Nachmachen nicht zu 100 Prozent gelang. Es war so, als hätte man plötzlich Paul Bocuse persönlich am Tisch sitzen. Das Kind schmeckte jede Zutatenänderung heraus und ließ das Essen stehen. Es gibt in deutschen Kitas viele Petras, die über ähnliche Erfahrungen berichten, ebenso gibt es viele Bens, Selmas und Lisas sowie Eltern, die am Essverhalten ihrer Kinder verzweifeln.

Die Gourmet-Köchin der städtischen Kita Erich-Kästner im hessischen Dreieich-Sprendlingen heißt nicht Petra, sondern Donatella Piroddi. Aber auch hier fragen Eltern nach, wie sie das nur macht: gesundes Essen so zubereiten, dass es den meisten Kindern gut schmeckt. Seit zwölf Jahren bekocht sie die Drei- bis Sechsjährigen – und hat in all den Jahren viel Erfahrung gesammelt. „Ich probiere viel aus, beobachte die Kinder und merke schnell, was schmeckt und was nicht“, sagt sie. Sogar Fisch kommt hier regelmäßig auf den Tisch, etwa Lachs, den sie sanft gart und nur mit Salz und Pfeffer würzt. Eltern rät sie, die schwere Dill-Sahnesoße besser wegzulassen, damit sich die Kinder auf den Eigengeschmack der Lebensmittel konzentrieren können. Und: Gemüsesuppe geht immer, wenn sie püriert ist.

„Essen muss ein Genuss sein.“ (Martina Becker-Kallausch)

Es sind aber nicht nur die Kochkünste von Piroddi, die den Unterschied ausmachen. Die Kita-Mitarbeiterinnen kaufen zusammen mit den Kindern Bioprodukte im Bauernhofladen oder auf dem Markt ein, im Hof haben sie Tomaten, Heidelbeeren, Himbeeren und Erdbeeren angepflanzt. Außerdem speisen die Kinder seit rund vier Jahren nicht mehr in ihren Gruppenräumen, sondern mit ihren Erzieherinnen in einem eigenen Kita-Restaurant.

„Essen muss ein Genuss sein“, sagt Kita-Leiterin Martina Becker-Kallausch. Sie sitzt auf einem Hocker zwischen Küche und Restaurant und beobachtet um kurz nach zehn Uhr die letzte Frühstücksgruppe an diesem Tag. Eigentlich können sich die Kinder an einem Buffet bedienen, aber in Corona-Zeiten sind die Abläufe etwas anders. Es gibt Obst, Vollkornbrot mit Frischkäse – und heute auch Marmelade. Die süßen Aufstriche gibt es nur einmal pro Woche.

Ernährungsgewohnheiten sind sehr langlebig und schwierig zu ändern. Deshalb haben Kindertagesstätten neben dem Elternhaus eine besondere Chance, Kindern in ihren ersten Lebensjahren Lust auf gutes und gesundes Essen zu machen. Im Idealfall kann das die Basis für ein günstiges Essverhalten legen, das ein Leben lang andauert. Deshalb gehört die Ernährungsbildung auch zum allgemeinen Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen. Werden Essen und Trinken in die pädagogische Arbeit eingebettet, heißt es beim Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule*, könne das dauerhaft Selbstständigkeit und Selbstwirksamkeit stärken.

Da das Essverhalten der Kinder im Vorschulalter stark durch Imitation geprägt wird, ist auch die Rolle der Erzieherinnen und Erzieher entscheidend. Allein Wissen über Ernährung sei für die meisten Kinder irrelevant, heißt es bei der Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung „in form“: „Entscheidend ist die Vorbildfunktion von Erziehungsberechtigten und pädagogischen Fachkräften.“

Konkret kann Ernährungsbildung in Kindertagesstätten Folgendes bedeuten:

  • Kinder essen gemeinsam mit Erzieherinnen und Erziehern
  • mit Kindern über Vorlieben und Abneigungen sprechen
  • neue Rezepte gemeinsam ausprobieren
  • Gemüse, Obst oder Kräuter anbauen
  • eine gute Tischatmosphäre schaffen
  • Eltern in die Ernährungsbildung einbeziehen
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fortbilden

Orientierung gibt auch der Qualitätsstandard der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Initiative „in form“ bietet einen Online-Speisenplancheck „Fit Kid“ an, mit dem Kindertageseinrichtungen ihr Mittagessensangebot checken lassen können.

Jeweils vier Kinder können im Restaurant an einem Tisch sitzen. Die Rückenlehnen sind extra hochgezogen worden, sodass jede Gruppe in Ruhe essen kann. An der Decke hängen kleine Kronleuchter, die sich die Mädchen und Jungen selbst ausgesucht haben. Man würde sich in dieser Atmosphäre nicht wundern, wenn gleich ein Kellner mit ledergebundenen Speisekarten an den Tisch käme und seine Empfehlungen abgäbe. „Früher hatten wir einen Caterer und mussten das gebrachte Essen aus der Küche in alle Räume verteilen“, sagt Becker-Kallausch: „Ein Riesenaufwand.“ Außerdem sei es für die Kinder wichtig, einen eigenen Platz zum Essen zu haben. „Zu Hause wird doch auch im Esszimmer oder der Küche gegessen – und nicht im Kinderzimmer oder auf dem Flur.“

„Bei uns läuft niemand mit der Colaflasche rum, und gegessen wird mit den Kindern im Restaurant. Wir Erwachsenen haben eine große Vorbildfunktion.“

Damit das Ernährungskonzept nachhaltig wirkt, hat die Kita Mitbringsel von zu Hause verboten. Die geliebte Milchschnitte und süße Getränke sind tabu – auch für die Mitarbeiterinnen. Da lässt sich Becker-Kallausch auf keine Diskussion ein: „Bei uns läuft niemand mit der Colaflasche rum, und gegessen wird mit den Kindern im Restaurant. Wir Erwachsenen haben eine große Vorbildfunktion.“

Von heute auf morgen hat die Umstellung auf ein ganzheitliches Ernährungskonzept allerdings nicht geklappt. Es habe viele Debatten im Team gegeben, erzählt die Kita-Leiterin: „Es dauerte etwa ein Jahr, bis alles gut lief.“ Zur Unterstützung bot die Stadt Dreieich Fortbildungen für die Erzieherinnen an, bei denen es um die Verzahnung von Pädagogik, Raumkonzept und Bildung ging. Auch Bewegung ist ein großes Thema in der Einrichtung. Das eigentlich zu kleine Außengelände wurde umgestaltet. Wo früher eine Art Sandwüste war, gibt es jetzt ein kleines Fußballfeld, einen Kletterturm, eine Werkstatt und Platz für einen Roller-Parcours.

Wunschtage mit Waffeln oder Pizza

Bewegung, Pädagogik, Ernährung – wenn alles rund läuft, greift das eine ins andere. Dazu gehört auch, dass die Kinder lernen, dass Essen mehr ist als lediglich Nahrungsaufnahme, dass ihr Körper auf bestimmte Lebensmittel angewiesen ist und dass es dabei auch um nachhaltige Erzeugung, Tierwohl und Ressourcenverbrauch geht. Auch wenn die Mädchen und Jungen mit den Begriffen nichts anfangen können, verstehen sie spätestens nach dem Besuch beim Biobauernhof in der Nähe, wo Kartoffeln und Möhren herkommen, wie Rinder oder Hühner gehalten werden müssen, damit sie sich wohlfühlen.

Und noch eine Regel existiert in der Kästner-Kita: die Ausnahme von der Regel. Es gibt Wunschtage, an denen nicht nur Vollkornbrot, fettarmer Frischkäse und Brokkoli erlaubt sind, sondern auch Waffeln, Pizza oder Sandwichs gegessen werden. „Wunsch ist Wunsch“, sagt Becker-Kallausch: „Da gibt es bei uns keine vorgespielte Partizipation.“

Das Fremdwort kennt der sechsjährige Luca vermutlich nicht. Aber er hat verstanden, dass die Erwachsenen nicht immer allein bestimmen, was auf den Tisch kommt. Was hätte es denn heute zum Frühstück gegeben, wenn er Chef im Kita-Restaurant wäre? Luca denkt nicht lange nach: „Pfannkuchen.“

Donatella Piroddi kocht seit zwölf Jahren für die Drei- bis Sechsjährigen in der Erich-Kästner-Kita im hessischen Dreieich-Sprendlingen. (Foto: Christoph Boeckheler)