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Gewerkschaftskonferenz in Astana

Mitte Juni hatte die Bildungsgewerkschaft Kasachstans aus Anlass ihres neunzigjährigen Bestehens zu einer internationalen Konferenz in die junge Hauptstadt Astana eingeladen. Für die GEW war Stephan Münchhoff in das zentralasiatische Land gereist.

Fotos: Stephan Münchhoff, Fotolia, Bildungsgewerkschaft Kasachstans

Vom 11. – 14. Juni 2014 fand in Astana eine internationale Konferenz der ‚Gewerkschaft der Beschäftigten in Erziehung und Wissenschaft der Republik Kasachstan‘ (Профсоюз работников образовния и науки Республики Казахстан) statt. Im Mittelpunkt der Festveranstaltung aus Anlass ihres neunzigjährigen Bestehens standen die Würdigung der Leistungen der Gewerkschaft und ihrer Mitglieder für die Entwicklung der kasachischen Gesellschaft. Internationale gewerkschaftliche Gäste aus neun Ländern waren eingeladen. Neben Vertretern des Ministeriums sprachen Parlamentsabgeordnete sowie Vertreter der Gebietsverbände und Fachgruppen der Gewerkschaft. Für die Bildungsinternationale nahmen der europäische Direktor Martin Rømer (ETUCE) aus Brüssel und Jerome Fernandez von der asiatisch-pazifischen Region aus Kuala Lumpur teil.

Friedliches Zusammenleben vieler Nationalitäten

Im geschichtlichen Überblick wurde mit einem Film gezeigt, dass die kasachische Bildungsgewerkschaft von Beginn an ein gesellschaftlich einflussreicher und staatsnaher Verband mit hohem Organisationsgrad war, dessen Mitglieder große Leistungen bei der Umgestaltung des Landes von einer Nomadenkultur hin zu einem modernen unabhängigen Staat mit einer leistungsfähigen Landwirtschaft, aufblühender Industrie und nationaler Wissenschaft erbracht haben. Besonders betont wurden die Leistungen der Lehrer in den ländlichen Gebieten in den Anfangsjahren der Sowjetunion und während des Krieges.

Die meisten Redner legten den Schwerpunkt ihrer Würdigung aber auf die Beiträge der Lehrer und Wissenschaftler für die erfolgreiche Entwicklung des unabhängigen kasachischen Nationalstaates seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Die Vertreter von Ministerien und Parlament betonten die Rolle der Gewerkschaft und ihrer Mitglieder für die Herausbildung eines Nationalbewusstseins in der jungen Generation und für das friedliche Zusammenleben vieler unterschiedlicher Nationalitäten in dem zentralasiatischen Land.

Wirtschaftliche Erfolge

Die Vorsitzende Maira Amantajewa wies darauf hin, dass die Gewerkschaft es seit der Unabhängigkeit Kasachstans geschafft hat, ihre gesellschaftliche Rolle zu festigen, indem sie als größte Organisation (mehr als eine halbe Million Mitglieder) im Gewerkschaftsdachverband im Dialog mit Regierung und Parlament sich für die Interessen der Lehrkräfte und für den Erlass von Gesetzen zur Regelung und Sicherung der Gewerkschaftstätigkeit einsetzt. Sie betonte die positive Entwicklung der Gehälter von Lehrern und Wissenschaftlern dank des Einflusses der Gewerkschaft, sowie die Notwendigkeit der Fortsetzung des sozialen Dialogs.

Der Vorsitzende des kasachischen Gewerkschaftsdachverbandes Abelgasi Kusainow ging bei einem Empfang für die ausländische Delegation im Haus der Gewerkschaften auf das jüngst vom Parlament verabschiedete Gesetz ein, das die Tätigkeit der Gewerkschaften auf eine bessere Grundlage stellt und dessen Zustandekommen im hohen Maße dem Engagement der Bildungsgewerkschaft zu verdanken sei. Die "Förderation der Gewerkschaften Kasachstans" zählt mehr als zwei Millionen Mitglieder, bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 17,7 Millionen Einwohnern.

Kusainow stellte die Mitgliederentwicklung und Organisationsstrukturen der Einzelgewerkschaften und der Bildungsgewerkschaft positiv dar. Danach entwickeln sich die Gewerkschaften im Dachverband gut und haben große Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg im Land und das anhaltende Wachstum von jährlich etwa sieben bis acht Prozent, sowie die Tatsache, dass Kasachstan inzwischen zu den dreißig am besten entwickelten Ländern der Welt gehört.

Zahlreiche kleine unabhängige Gewerkschaften

Dennoch wurde in verschiedenen Reden und Vorträgen beklagt, dass die Jugendarbeit und die Nachwuchsgewinnung ein Problem in den Gewerkschaften darstelle. In der Bildungsgewerkschaft ist dieses auch deutlich sichtbar. In Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium wird dem aber entgegen gewirkt, denn auf Initiative der Bildungsgewerkschaft wurde ein Programm zur Einstellung junger Lehrer an ländlichen Schulen ins Leben gerufen. Dieses beinhaltet materielle und andere Vergünstigungen. Davon erwartet man auch positive Impulse für die Mitgliederentwicklung.

Außer den staatsnahen Gewerkschaften sind in Kasachstan noch zahlreiche kleine unabhängige Gewerkschaften aktiv, deren Existenz nur auf Nachfrage zugegeben und in ihrer Bedeutung herunter gespielt wird. Dabei belegt die jüngste Zahl von 636 unabhängigen gewerkschaftlichen Organisationen im Gegensatz zu 191 im Dachverband zusammengeschlossenen Gewerkschaften, sowie meine Erkenntnis aus persönlichen Gesprächen am Rande, dass ein hohes Bewusstsein für die Notwendigkeit des Zusammenschlusses von Beschäftigen in allen Bereichen der Wirtschaft vorhanden ist.

Programm internationaler Gäste

Für die internationale Delegation von GewerkschaftsvertreterInnen aus Aserbaidschan, Deutschland, Kirgisien, Lettland, Mazedonien, Russland, Tadschikistan, der Türkei und Weißrussland wurde ein umfangreiches Rahmenprogramm in Astana organisiert, um den Gästen einen Eindruck von den gesellschaftlichen und architektonischen Errungenschaften im Verlauf der siebzehn Jahre des Bestehens der jungen Hauptstadt zu geben. Neben dem Besuch repräsentativer Einrichtungen des Bildungswesens wie der Kunsthochschule, dem Palast der Schüler, einem neugebauten Lyzeum und der Eliteuniversität des Präsidenten standen auch ein Gespräch mit dem stellvertretenden Bildungsminister Esengasi Imangaliew in dessen Ministerium und mit dem Vorsitzenden des Gewerkschaftsdachverbandes Abelgazi Kusainow im Haus der Gewerkschaften auf dem Programm.

Als Gewerkschaft aus einem Staat der Europäischen Union erfuhr die Teilnahme eines GEW-Vertreters in Astana besondere Achtung und Wertschätzung - wohl nicht zuletzt auch wegen des Attributs „deutsch“. Das intensive Programm und die Gespräche am Rande boten Gelegenheit, die kasachische Bildungsgewerkschaft kennenzulernen und vermittelten einen Einblick in gewerkschaftliche Arbeit, die sich im Übergang von sozialistischer Tradition und staatsnahem Gewerkschaftsverständnis hin zu Interessenvertretung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen befindet. Dabei wurde deutlich, dass sich vor allem unter den älteren Gewerkschaftsmitgliedern, die allerdings einen großen Teil der Mitglieder darstellen, nur langsam ein Bewusstsein für die Notwendigkeit neuer Ansätze und Arbeitsmethoden heraus bildet.

Vergleiche mit Ländern der Europäischen Union

Wichtig waren auch die Gespräche mit den anderen internationalen Gästen in Astana. Hier konnte ich vor allem die Vorsitzenden der Russischen, Kirgisischen, Tadschikischen, Lettischen und der Aserbaidschanischen Bildungsgewerkschaft über die Arbeit der GEW informieren und Kontakte herstellen. Im Gegenzug erhielt ich Einblick in die Tätigkeit und aktuellen Schwerpunkte dieser Gewerkschaften und wurde zur weiteren Zusammenarbeit eingeladen. Ganz wichtig scheint mir die Unterstützung der lettischen Bildungsgewerkschaft bei ihren aktuellen Arbeitskampfmaßnahmen zu sein. Nach Aussage der Vorsitzenden der lettischen Bildungsgewerkschaft LIZDA, Ingrida Mikiško, warten die Beschäftigen derzeit auf ein Angebot der Regierung zur versprochenen Anpassung der Gehälter.

Sollte dieses nicht den Erwartungen der Gewerkschaftsmitglieder entsprechen, stünden mit Beginn des neuen Schuljahres im September Arbeitskampfmaßnahmen bevor. Eine Unterstützung der GEW im Falle Lettland ist besonders bedeutsam, da es sich hierbei um die Bildungsgewerkschaft in einem EU-Partnerland handelt, die für das Erreichen von EU-Standards für ihre Beschäftigen eintritt. LIZDA hat gute Kontakte zu den Bildungsgewerkschaften in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Der LIZDA-Vorstand und die Mitglieder wissen daher sehr gut, dass in Ländern wie Kasachstan höhere Gehälter für Lehrer und Wissenschaftler gezahlt werden, als im EU-Mitgliedsstaat Lettland.