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GEW diskutiert Hilfen für Flüchtlinge

Das Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder stand im Mittelpunkt der GEW Jahrestagung Internationales Anfang Dezember 2014 in Berlin. Rund sechzig TeilnehmerInnen diskutierten mit Abdullah Karahan von der türkischen Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen, Tobias Klaus (Pro Asyl) und der GEW-Vorsitzenden Marlis Tepe, wie Flüchtlingen geholfen werden kann.

Fotos: Manfred Brinkmann

Seit 2006 lädt der GEW-Hauptvorstand die ehren- und hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen, die in internationalen gewerkschaftlichen Zusammenhängen tätig sind, zu einer Jahrestagung Internationales ein. Zur diesjährigen Tagung am 5./6. Dezember 2014 waren fast sechzig TeilnehmerInnen gekommen, so viel wie noch nie zuvor. Leider konnten nicht alle Anmeldungen berücksichtigt werden.

Da hat sicher der Tagungsort Berlin auch eine Rolle gespielt. Erstmalig fand die Tagung nämlich nicht wie bisher in der Bildungsstätte der IG BAU in Steinbach bei Frankfurt statt, sondern im Herzen Berlins an historischem Ort im Kirchensaal des Dietrich Bonhoeffer Hotels, wo Ende 1989 der Runde Tisch von SED-Politikern und DDR-Opposition getagt hatte.

Die rege Teilnahme zeigte aber auch das wachsende Interesse am internationalen Aspekt der gewerkschaftlichen Arbeit, insbesondere weil die Themen immer näher an unseren Alltag heranrücken – man denke nur an die aktuellen Diskussionen in Deutschland zu Flüchtlingen und zu TTIP und CETA.


Rückblick auf ein bewegtes Jahr 2014

Manfred Brinkmann eröffnete die Tagung mit einem Jahresrückblick auf die internationale Arbeit der GEW in ihrer ganzen Breite, besonders auch in der zunehmend intensiven Zusammenarbeit mit Partnergewerkschaften und internationalen Organisationen. Astrid Schrobsdorff berichtete über die Masurenakademie von GEW und NSZZ Solidarnosc, die seit bald zwanzig Jahren polnische und deutsche GewerkschafterInnen zum Austausch und gemeinsamen Sprachenlernen in Polen zusammenbringt.

Barbara Geier erzählte von einer gelungenen Aktion der Globalen Bildungskampagne mit SchülerInnen und Bundestagsabgeordneten zum Recht auf Bildung für Behinderte weltweit vor dem Reichstag in Berlin und von der Lobbyarbeit für Bildung in der Entwicklungszusammenarbeit.

Klaus Bullan vom Vorstand der GEW Stiftung ‚Fair Childhood‘ betonte den genuin gewerkschaftlichen Charakter internationaler Projekte im Kampf für Bildung statt Kinderarbeit im Unterschied zu karitativem Engagement.

Franz Dwertmann, Vorsitzender der GEW Arbeitsgruppe AuslandslehrerInnen, informierte über die immer prekärer werdenden Arbeitsbedingungen der rund 600 GEW-Mitglieder im Auslandsschuldienst und berichtete über einen Streik an der Deutschen Schule Talitha Kumi nahe bei Bethlehem.

Kein Dialog im heiligen Land

Talitha Kumi ist eine von rund 140 Deutschen Auslandsschulen. Eine GEW-Delegation unter Leitung der Vorsitzenden Marlis Tepe hatte im Oktober Israel und Palästina besucht und wurde in Talitha Kumi mit einer Streikversammlung palästinensischer Lehrkräfte konfrontiert, die Gehalterhöhungen und die Wiedereinstellung ihres stellvertretenden Schulleiters forderten.

Die Berliner GEW-Vorsitzende Sigrid Baumgardt war mitgereist und berichtete über die Erfahrungen. Zwischen der GEW und der israelischen LehrerInnengewerkschaft Histadrut HaMorim besteht eine langjährige Partnerschaft und auch mit der palästinensischen LehrerInnengewerkschaft GUPT pflegt die GEW freundschaftliche Beziehungen.

Zentrales Ziel der Reise war, einen Beitrag zum Dialog zwischen Arabern und Israelis zu leisten. Dies sei nicht gelungen. Auf Seiten der palästinensischen Gewerkschaft besteht nach dem jüngsten Gaza-Krieg und angesichts der Lebensbedingungen der palästinensischen Bevölkerung unter der israelischen Besatzung derzeit keine Dialogbereitschaft.

 

Dublin und Wellington

Marlis Tepe berichtete von der zweiten Weltfrauenkonferenz der Bildungsinternationale in Dublin, an der sie im April mit einer GEW-Delegation und fast 400 Frauen und Männern aus Bildungsgewerkschaften weltweit teilgenommen hatte.

Weiterhin berichtete die GEW-Vorsitzende über den vierten Gipfel zum LehrerInnenberuf im März in Wellington, Neuseeland, eine Veranstaltung von OECD und Bildungsinternationale, bei der sich BildungsministerInnen und Gewerkschaftsvorsitzende aus den OECD - Staaten mit den besten PISA-Ergebnissen über wichtige Bildungsthemen wie Chancengleichheit, Inklusion, eine an den Bedürfnissen der Kinder orientierte Schule usw. austauschten.

Auffällig aus deutscher Sicht war die enge Kooperation zwischen Regierungen und Bildungsgewerkschaften gerade in den bildungspolitisch erfolgreichen Staaten, die wir so nicht kennen. Der Gipfel zum LehrerInnenberuf wird Ende März 2015 in Kanada fortgesetzt. Im Jahr 2016 soll er in Deutschland stattfinden. Dazu wird es noch im Dezember mit der KMK ein erstes Gespräch geben.

Gemeinsam für gute Bildung

David Edwards, stellvertretender Generalsekretär der Bildungsinternationale, berichtete über die „Unite for Quality Education“ – Kampagne, die seit einem Jahr weltweit erfolgreich für gute Bildung mobilisiert. In flüssigem Deutsch mit österreichischen Dialekt plädierte der US-Amerikaner dafür, das Thema Bildungsqualität nicht den Konservativen und privaten Investoren zu überlassen. Der Bildungsbegriff dürfe nicht auf Vermittlung von Grundfertigkeiten reduziert werden, wie es in den USA derzeit passiere.

Bildung müsse mehr sein als Lesen und Schreiben können. Die Kampagne für gute Bildung soll auch einen Beitrag zur Diskussion in der Post-2015-Agenda der Vereinten Nationen leisten, die im kommenden Jahr über neue globale Ziele für nachhaltige Entwicklung entscheiden werden.

 

Flüchtlingskinder in der Türkei

Abdullah Karahan vom Vorstand der türkischen Bildungsgewerkschaft Eğitim Sen war in Vertretung der Eğitim Sen Generalsekretärin Sakine Esen Yilmaz nach Berlin gekommen, um über die Situation der syrischen Flüchtlingskinder in der Türkei zu berichten.

Sakine Yilmaz konnte der Einladung der GEW nicht folgen, da sie aufgrund eines laufenden Gerichtsverfahrens wegen angeblich illegaler Aktivitäten keine Erlaubnis zum Verlassen der Türkei erhält. Abdullah Karahan berichtete über die Lage der syrischen Flüchtlinge in der Türkei, von denen bisher nur eine Minderheit von 220.000 Menschen Unterkunft in Flüchtlingslagern der türkischen Regierung gefunden hätten.

Kurden und andere Minderheiten würden diskriminiert. Karahan kritisierte, dass die türkische Regierung die Gewährleistung des Rechts auf Schulbildung für syrische Flüchtlingskinder mit der türkischen Innenpolitik verknüpfe – fehlende Anerkennung von Minderheiten und ihrer Sprachen – und verurteilte eine doppelbödige Außenpolitik, die den Sturz Assads zum Ziel erklärt und dabei eher den IS und andere islamistische Gruppen unterstützt als die Kurden.

Für die Mehrheit der Flüchtlingskinder fehlt jede Unterstützung. Neben Zelten, Kleidung und Nahrung mangelt es insbesondere an geeignetem Schulmaterial für Kinder, die kurdisch oder arabisch sprechen und arabisch schreiben, aber mit lateinischen Schriftzeichen nichts anfangen können. In mehreren Städten im Osten der Türkei organisieren Freiwillige der Eğitim Sen Hilfe für die Flüchtlingsfamilien und unterrichten Kinder in provisorischen Zeltschulen.

 

Flüchtlingskinder in Deutschland

Tobias Klaus (Pro Asyl ) informierte über die rechtlichen und organisatorischen Probleme, die in Deutschland einer Integration der Flüchtlinge durch Bildung entgegenstehen. Dabei spielt der unterschiedliche und oft ungeklärte rechtliche Status – laufendes Asylverfahren, Duldung – eine Rolle, der Kinder und Jugendliche von schulischer Bildung ausschließt bzw. ihren Zugang zu einer Berufsausbildung verhindert, da Ausbildungsbetriebe sich oft scheuen, Azubis mit ungesichertem Aufenthaltsstatus einzustellen. Für die GEW ergibt sich daraus die Aufgabe, in der Öffentlichkeit für die betroffenen Kinder und Jugendlichen einzutreten, evtl. individuelle Hilfe zu leisten und sich für die notwendigen politischen Änderungen einzusetzen.

In der anschließenden Diskussion im Plenum werden zusätzliche Schwierigkeiten angesprochen: So haben die Bundesländer unterschiedliche Regelungen zur Schulpflicht und auch Verfahren, diese für Flüchtlinge zu umgehen. Besonders die Arbeit mit Kurden wird durch einen Generalverdacht und die Gleichsetzung aller kurdischen Organisationen mit der verbotenen PKK erschwert. Demgegenüber werden von der GEW Aktivitäten und Beschlüsse gefordert, die das Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder zum Gegenstand haben.

DGB lehnt Kanadisch-Europäisches Freihandelsabkommen CETA ab

In vier Arbeitsgruppen zu den Themen ‚TTIP/CETA/TISA‘, ‚Bildung in der Post-2015-Agenda‘, ‚Weltsozialforum‘ und ‚Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder‘ wurde am zweiten Tag der Tagung weiter diskutiert. DGB-Referent Florian Moritz berichtete über den aktuellen Beschluss des DGB Bundesvorstands, das CETA-Freihandelsabkommen der EU mit Kanada in der vorliegenden Fassung abzulehnen.

Der DGB wende sich gegen die Angleichung von Standards, die zwar Effizienzgewinne versprächen, aber Arbeits- und Verbraucherschutz gefährden und lehnt öffentliche Schiedsgerichte außerhalb des Rechtssystems zur Durchsetzung eines „Investorenschutzes“ grundsätzlich ab.

In der Diskussion blieb offen, inwieweit öffentliche Dienstleistungen, insbesondere Bildung aus dem Freihandel ausgeschlossen und von Privatisierung verschont bleiben. Dies erscheint angesichts des starken Interesses von US – Unternehmen am Markt für Bildungsdienstleistungen mehr als unsicher.

Siebzehn Ziele für nachhaltige Entwicklung

Sandra Dworack von Oxfam und Sprecherin der Globalen Bildungskampagne in Deutschland berichtete gemeinsam mit David Edwards über den UN-Prozess für neue globale Entwicklungsziele, die im Herbst 2015 in einer Vollversammlung der Vereinten Nationen von den Staats- und Regierungschefs beschlossen werden sollen.

Sie sollen die bisherigen UN-Millenniumsentwicklungsziele und die UN-Ziele für nachhalte Entwicklung in einen gemeinsamen neuen Zielkatalog für die Entwicklungsperiode bis 2030 zusammenführen und gleichermaßen für Nord und Süd gelten.

In verschiedenen internationalen Vorbereitungstreffen habe man sich bisher auf 17 Ziele verständigt. Durch intensive Lobbyarbeit von Bildungsinternationale und Globaler Bildungskampagne sei es gelungen, Bildung als eigenständiges Entwicklungsziel in dem Entwurf für einen neuen UN-Zielkatalog zu verankern.

Bildungsthemen beim Weltsozialforum

Günther Fuchs, Vorsitzender der GEW Brandenburg, Florian Beer, Junge GEW, und Manfred Brinkmann berichteten von einem ersten Vorbereitungstreffen verschiedener deutscher Organisationen, die beim Weltsozialforum Ende März 2015 in Tunis zusammenarbeiten wollen. Die Weltsozialforen dienen seit 2001 dem internationalen Erfahrungsaustausch und der Vernetzung mit Gewerkschaften und Organisationen aus aller Welt.

Die GEW wird sich 2015 erneut mit einer überwiegend jungen Delegation und Seminaren und Workshops am Weltsozialforum beteiligten. Günther Fuchs, der schon an vielen bisherigen Sozialforen teilgenommen hat, hob hervor, dass es nicht zuletzt ein Verdienst der GEW sei, dass Bildungsthemen zu einem festen Bestandteil im Programm der Weltsozialforen geworden sind.

Auch die Probleme eines Weltsozialforums in einem arabischen Land kamen zur Sprache: Beim Weltsozialforum vor zwei Jahren hatten radikale Gruppen israelische Fahnen in Tunis verbrannt. Die GEW – Vertreter wollen sich dem Problem antisemitischer Äußerungen stellen und rassistischer Diskriminierung entgegentreten. Dem soll auch ein Workshop zu ‚Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in jungen sozialen Bewegungen‘ dienen, den die Junge GEW in Tunis plant.

Weitere Veranstaltungen mit Gewerkschaften der Bildungsinternationale aus Afrika und Europa plant die GEW zu den Themen ‚Bildung statt Kinderarbeit‘, ‚Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder am Beispiel Türkei, Italien, Griechenland und Deutschland‘ und ‚Freihandelsabkommen und Bildung‘.

Hilfe für Flüchtlingskinder

Zahlreiche Vorschläge zur Unterstützung von Flüchtlingen in Deutschland und in der Türkei sammelte die Arbeitsgruppe ‚Recht auf Bildung für Flüchtlingskinder‘. Für die GEW müsse schnelle Hilfe vor Ort für die Flüchtlinge in der Türkei Vorrang haben, auch im Hinblick auf ihre Bildungsinteressen. Eğitim Sen soll dabei unterstützt werden.

Konkret werden benötigt: Winterkleidung angesichts der Jahreszeit, Zelte und Decken, Unterrichtsmaterialien und Spielzeug, Unterstützung auch für die berufliche Bildung. Langfristig sollten Flüchtlingsdörfer gebaut sowie der Wiederaufbau der kurdischen Regionen in Syrien gefördert werden. Zudem wurde die Notwendigkeit einer politischen Neubewertung der PKK in die Diskussion eingebracht, die auch im Rahmen der Hilfsarbeit thematisiert werden sollte.

Für die Flüchtlingsarbeit in Deutschland ist wichtigster Punkt die Regelung des Bleiberechts, weil das die Grundlage für die Bildungschancen ist. Das sei auch eine Aufgabe für GEW-KollegInnen vor Ort. Grundsätzlich muss Inklusion als Prinzip auch Flüchtlingskinder einschließen.

Forderungen im Detail sind eine bessere Vorbereitung der Lehrkräfte und materielle Ausstattung. Dazu gehört auch die Bildung eines Netzwerks zur Einbeziehung von Lehrkräften mit Migrationshintergrund und Lehrkräften unter den Flüchtlingen selbst.

Ausblick 2015

In der abschließenden Plenumsdebatte betonte die GEW-Vorsitzende, dass alle Flüchtlingskinder ein Menschenrecht auf Bildung haben und versprach Abdullah Karahan Unterstützung für die Flüchtlingshilfe in der Türkei. Auch das Thema ‚Flüchtlingskinder in Deutschland‘ bleibe weit oben auf der Tagesordnung. Die GEW plane im kommenden Jahr eine Tagung dazu. Wichtig seien auch weitere Anstrengungen im Kampf für Bildung statt Kinderarbeit und gegen Rassismus.

Mit Blick auf bedeutende internationale Termine im Jahr 2015 nannte Marlis Tepe die Gedenkveranstaltung der Bildungsinternationale zum siebzigsten Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz Ende Januar in Polen, den BI-OECD Gipfel zum LehrerInnenberuf und das Weltsozialforum Ende März in Kanada bzw. in Tunesien sowie den Weltkongress der Bildungsinternationale Ende Juli in der kanadischen Hauptstadt Ottawa, bei dem sie für einen Sitz im Vorstand kandidieren wird.

 

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