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Kommentar zur Coronakrise

Gesundheitsschutz hat Vorrang

In der Coronakrise rächen sich Versäumnisse der Vergangenheit - beispielsweise der zu spät und zu zögerlich umgesetzte Digitalpakt sowie die nicht konsequent erfolgte Sanierung der Schulen.

GEW-Vorsitzende Marlis Tepe (Foto: Kay Herschelmann)

Die Corona-Krise legt die Schwächen des Bildungssystems in Deutschland gnadenlos offen: mangelnde Chancengleichheit, unzureichende digitale Ausstattung der Einrichtungen, marode Schulen, Lehrkräftemangel. Je länger die aus medizinischer Sicht nachvollziehbaren Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wie die (Teil)Schließung von Kitas und Schulen dauern, desto mehr werden die Kinder und Jugendlichen, die ohnehin schon benachteiligt sind, abgehängt.

Mitte März hat die Politik Kitas, Schulen und Hochschulen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie geschlossen. Nach gut sechs Wochen wurden die Maßnahmen gelockert, ein Rahmenplan, wie die Schulen schrittweise wieder geöffnet werden können, entwickelt. Diese und alle weiteren für die GEW-Mitglieder, alle Schülerinnen und Schüler, deren Eltern und das gesamte Arbeitsleben so wichtigen Entscheidungen musste und muss die Politik gut begründet treffen.

Einerseits liegen für eine Reihe von Entscheidungen noch nicht genügend wissenschaftliche Erkenntnisse vor, andererseits haben die Kita- und Schulschließungen schon jetzt enorme Auswirkungen. Sie belasten Familien, insbesondere Alleinerziehende, häusliche Gewalt wächst. Sie verstärken soziale Ungleichheiten. Fehlender Zugang zu digitaler Grundausstattung, beengter Wohnraum und mangelnde häusliche Unterstützung erschweren den Lernerfolg beim Fernunterricht.

Dass die Kultusministerkonferenz den Abschlussprüfungen den Vorrang gab, ist eine falsche Entscheidung.

Jetzt rächen sich die Versäumnisse der Vergangenheit: Der zu spät und zu zögerlich umgesetzte Digitalpakt führt zu mangelnder Ausstattung mit Endgeräten, fehlenden Systemadministratoren, überlasteten Servern sowie Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Not gegenseitig fortbilden und ergänzen. Aber auch die Sanierung der Schulen ist nicht konsequent umgesetzt worden. Jetzt sind die Probleme groß, einen wirksamen Hygiene- und Infektionsschutz für Lehrende und Lernende umzusetzen. Dabei muss beim schrittweisen Hochfahren der Gesundheitsschutz im Vordergrund stehen. Der Investitionsstau in Schulgebäuden ist spürbar, die vernachlässigte Reinigung und Hygiene nicht zu übersehen. Sehr langsam erhalten die Schulen Hygienepläne.

Die GEW hat von der Politik Vorlaufzeiten gefordert, damit Schulleitung und Schulträger zusammen mit den Personalvertretungen, Gleichstellungsbeauftragten und Elternvertretungen gemeinsam Gesundheitsschutz, Pädagogik und organisatorische Maßnahmen vernünftig abstimmen können. Dass die Kultusministerkonferenz den Abschlussprüfungen den Vorrang gab, ist eine falsche Entscheidung. Abschlüsse hätten auf Grundlage der bislang erbrachten Leistungen vergeben und im Zweifel mit einem Corona-Bonus versehen werden können.

Möglicherweise wird es nicht bei diesem einen Shutdown bleiben, und dann sind gute Beispiele besonders wichtig.

Es kommt jetzt darauf an, dass Schüler und Lehrkräfte im Unterricht ausreichend Abstand halten können. Dafür müssen Klassen je nach Raumsituation in Gruppen geteilt werden. Um allen Klassen direkten Kontakt mit den Lehrkräften zu ermöglichen, sollte es nach und nach eine fluktuierende Beschulung und eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht für alle Klassenstufen geben. Verschiedene Öffnungsszenarien müssen geprüft und begleitet werden. Denn: Möglicherweise wird es nicht bei diesem einen Shutdown bleiben, und dann sind gute Beispiele besonders wichtig. Für die Öffnung von Kitas hat die GEW umfassende Vorschläge gemacht. Die Notbetreuung und die Fürsorge für Kinder, die in schwierigen familiären Verhältnissen leben, müssen Vorrang haben.

Seit Mitte März lebt Deutschland mit der Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten, um sich dem Coronavirus entgegenzustellen. Nun müssen Beschäftigte, Studierende und Gewerkschaften beteiligt werden, wenn über Fortsetzung, Anpassung und Ende dieser Maßnahmen entschieden wird.

Dieser Beitrag wurde am 27. April 2020 geschrieben.