Zum Inhalt springen

Für Schulstufen, nicht für Schulformen ausbilden

Inklusive Bildung, Schulstrukturreformen, Ganztagsunterricht – die Anforderungen an Lehrerinnen und Lehrer verändern sich, doch wie steht es mit ihrer Ausbildung?

Die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung soll in den kommenden Jahren zu einem Schwerpunkt der bildungspolitischen Arbeit der GEW werden. 2013 hat der Düsseldorfer Gewerkschaftstag einen „Aktionsplan Lehrerbildung“ verabschiedet, im Herbst startet das neue „Zukunftsforum Lehrer_innenbildung“ mit einer öffentlichen Fachtagung.

Die Studierenden bemängeln die Qualität der Lehrerbildung – das hat soeben der Hochschul-Bildungs-Report des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft offengelegt. Nicht einmal die Hälfte der Lehramtsstudierenden ist mit der Betreuung zufrieden, nur ein Drittel mit dem Praxisbezug der Lehrveranstaltungen. Zusätzlich schreckten unzureichende Karrierechancen und Arbeitsbedingungen vom Studium ab, so der Stifterverbands-Report.

Dauerbaustelle

Die Lehrerbildung ist seit Jahren eine bildungspolitische Dauerbaustelle, viele Probleme sind nicht gelöst:

 Einige Bundesländer haben Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt, andere nicht, manche haben sie wieder abgeschafft. Dieser föderale Flickenteppich stellt die Vergleichbarkeit und Anerkennung der Abschlüsse in Frage und behindert die Mobilität der Studierenden, Absolventinnen und Absolventen stark.
Nach wie vor spiegelt sich das strikt gegliederte Schulsystem in einer eisern nach Lehrämtern getrennten Ausbildung wider. Die Potenziale einer gemeinsamen, ausschließlich an Schulstufen orientierten Lehrkräftebildung werden kaum genutzt.
Auch wenn sich erste Gesetze und Verordnungen auf die Inklusion beziehen, ist die Realität der Ausbildung davon weit entfernt. Lehrerinnen und Lehrer werden nicht ausreichend auf die Anforderungen eines inklusiven Schulsystems vorbereitet.
Dass Hochschulabsolventinnen und -absolventen in der zweiten Phase der Lehrerbildung, dem Referendariat, einen „Praxisschock“ erleiden, ist fast schon sprichwörtlich. Hinzu kommt die mangelhafte Verknüpfung schulpraktischer Anteile mit dem Studium.

Der Reformbedarf in der Lehrerbildung ist also nicht zu übersehen. Daran können auch Bund, Länder und Hochschulen nicht vorbei, die Initiativen angekündigt haben:

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Sylvia Löhrmann (Grüne), sieht im Thema „Inklusion in der Lehrerbildung“ einen Schwerpunkt in ihrer Amtszeit. Mitte Juni hat sie mitgeteilt, dass die Standards für die Lehrerbildung „überarbeitet und mit Blick auf die Erfordernisse inklusiven Unterrichts aktualisiert“ worden seien (s. S. 14 f.).
Im Herbst startet die Bund-Länder-„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, in deren Rahmen bis 2023 Projekte an Hochschulen mit insgesamt 500 Millionen Euro gefördert werden, die auf „nachhaltige Verbesserungen“ abzielen. Wie es mit der Qualität von Studium und Lehre in der Fläche aufwärts gehen soll, bleibt indes offen.
2013 hat sich die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit eigenen Empfehlungen zum hohen Stellenwert der Lehrerbildung bekannt. Allerdings hebt die HRK auf die „wissenschaftliche Qualifizierung“ der Lehrkräfte als Hauptaufgabe der Hochschulen ab – die „Habitualisierung schul- und unterrichtspraktisch notwendiger Kompetenzen und Fertigkeiten“ könne von diesen nicht erwartet werden.
Schließlich gibt es mehrere Länder, die ihre Lehrerbildungsgesetze novellieren. Trotz aufwändiger Expertenkommissionen: Der große Wurf ist bisher ausgeblieben.

Handlungsbedarf

Es gibt also nicht nur enormen Handlungsbedarf, sondern viele Möglichkeiten für die GEW zu intervenieren, um eine qualitative Reform der Lehrerbildung voranzubringen – im Interesse künftiger Lehrerinnen und Lehrer, aber auch der Schülerinnen und Schüler. Denn gute Bildung setzt gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer voraus.

Grundlage des vom Gewerkschaftstag 2013 beschlossenen „Aktionsplans Lehrerbildung“ der GEW ist das Verständnis der Ausbildung angehender Lehrkräfte als eines ganzheitlichen, institutionenübergreifenden Prozesses: vom Studium über den Vorbereitungsdienst, die Berufseinstiegsphase bis zur berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung. Theoretische und praktische Phasen der Qualifizierung sowie bildungswissenschaftliche, fachdidaktische und fachwissenschaftliche Anteile müssen eng miteinander verzahnt werden.

Ausgangspunkt für die inhaltliche Reform der Ausbildung ist für die GEW das Professionswissen, das Lehrerinnen und Lehrer in einem inklusiven Bildungssystem brauchen. Dazu gehören die Fähigkeit, mit heterogenen Lerngruppen zu arbeiten, ebenso wie sonderpädagogische Grundkenntnisse, interkulturelle und Gender-Kompetenz, die der Gewerkschaftstag als „Schlüsselqualifikation“ bezeichnet hat. Lehrerinnen und Lehrer sollten die Bedeutung geschlechterspezifischer Einflüsse auf Bildungs- und Erziehungsprozesse kennen, aber auch ihre eigenen persönlichen berufsbezogenen Wertvorstellungen und Einstellungen reflektieren können.

Mit Blick auf das Studium an Hochschulen gibt es einerseits den berechtigten Wunsch, dass nur „die Besten eines Jahrgangs“ die Ausbildung für diesen anspruchsvollen Beruf beginnen. Andererseits wären neue Hürden beim Hochschulzugang der falsche Weg. In ihrem Aktionsplan pocht die GEW auf den freien Hochschulzugang und erteilt Auswahlverfahren eine Absage. Diese würden letztlich auch den Wert des Abiturs in Frage stellen. Stattdessen muss die Selbsteinschätzungskompetenz der Studienberechtigten gestärkt werden.

Studienstruktur

Der Gewerkschaftstag hat sich klar für eine Studienstruktur ausgesprochen, in der die Ausbildung nicht mehr an Schulformen, sondern -stufen ausgerichtet wird. Alle Bachelor-Absolventinnen und -Absolventen müssen das Recht auf freien Zugang zum Master-Studium bekommen. Das Studium soll endlich für alle einheitlich fünf Jahre dauern: „Kleine Kinder – kurzes Studium, große Kinder – langes Studium“ – dieses Denken hat in einem modernen Schulsystem nichts mehr verloren. Das ist im Übrigen auch die bildungspolitische Begründung für die tarif- und beamtenpolitische Forderung der GEW nach einer gleichen Bezahlung aller Lehrkräfte – egal ob sie an Grundschulen oder Gymnasien unterrichten: gleiches Geld für gleiche Arbeit!

In der zweiten Phase der Lehrerbildung geht es der GEW zum einen darum, den Missbrauch von Lehramtsanwärtern, Referendaren und Referendarinnen als Dumping-Lehrkräfte zu stoppen. Zum anderen sollen die Vor- und Nachteile einer einphasigen Lehrerbildung neu diskutiert werden. Der GEW-Hauptvorstand hat den Auftrag, zu diesem Thema ein Gutachten einzuholen. In der dritten Phase, der Fort- und Weiterbildung, sollen Wirksamkeit und Nachhaltigkeit verbessert, aber auch die staatliche Verantwortung für ein qualitativ hochwertiges Angebot eingefordert werden.

Die GEW wird sich aktiv in die Debatte um die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerbildung einmischen. Dafür gibt der „Aktionsplan Lehrerbildung“ eine wichtige Orientierung, die jetzt konkretisiert und weiterentwickelt wird. Weiter braucht die GEW eine Strategie, um in den Ländern, auf Bundesebene und „vor Ort“ – an Hochschulen, Studienseminaren und Schulen – interventionsfähig zu sein. Dafür hat der Hauptvorstand das „Zukunftsforum Lehrer_innenbildung“ eingerichtet, in dem Expertinnen und Experten aus den GEW-Landesverbänden, -Fach- und -Personengruppen zusammenarbeiten.