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Bildung für nachhaltige Entwicklung

Forschung for Future?

Nachhaltigkeit muss erprobt und umgesetzt werden. Wie das in der Praxis funktionieren könnte, soll das Programm „Forschung für nachhaltige Entwicklung“ der Bundesregierung erforschen. Doch für die Anwendung der Ergebnisse wird zu wenig getan.

Ein sogenannter Multicorer „stanzt“ in mehr als 5.000 Metern Tiefe Sedimentproben aus dem Meeresboden. Foto: UFZ/Roman Kroke

Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) meldete kürzlich einen neuen Weltrekord. Die Forscher konnten bei Mehrfachsolarzellen auf Siliziumbasis den bisherigen Wirkungsgrad signifikant erhöhen. Während viele Zellen nur rund 20 Prozent liefern, schafft die ISE-Neuentwicklung gut 24 Prozent. Und es gibt noch einen zusätzlichen Clou. Bei der Herstellung wird weniger Material verbraucht. Die grüne Technologie der Photovoltaik, könnte man sagen, wird so noch nachhaltiger.

Ermöglicht wurde der Rekord der Freiburger Wissenschaftler durch eine Projektförderung des Bundesforschungsministeriums. Sein Rahmenprogramm Forschung für nachhaltige Entwicklung (FONA) gehört zu den Aushängeschildern der Bundesregierung. Erklärtes Ziel sind Forschungsergebnisse, die nicht nur in der Schublade landen, sondern für die Praxis anwendbar sind und einen echten Nutzen bringen.

„Die Unternehmen brachten ihre konkreten Zahlen mit, die wir dann durchgerechnet haben. So konnten wir den tatsächlichen Bedarf beim Netzausbau viel besser abschätzen.“ (Anke Herold)

Der Startschuss für das FONA-Programm fiel 2005. Seither gab es drei Neuauflagen. Da FONA ein „lernendes Programm“ sein soll, wurde die Schwerpunktsetzung sukzessive erweitert. Die Themenpalette ist groß. Sie reicht von Klimaforschung über Meeres- und Polarforschung bis hin zu sozial-ökologischer Forschung. Seit 2015 sind mit FONA 3 die Leitinitiativen Green Economy, Zukunftsstadt und Energiewende dazugekommen sowie seit 2019 auch der Erhalt der Artenvielfalt. Zusätzlich wurde Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erstmals zu einem Programmbestandteil gemacht, um BNE und Forschung „systematisch miteinander zu verzahnen“, so das Forschungsministerium.

„Das Programm soll so anwendungsorientiert wie möglich einen Beitrag leisten, um Deutschlands Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, sagt Günter Reuscher vom Technologiezentrum des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), das mit der FONA-Durchführung beauftragt ist. Dafür sind bislang fünf Milliarden Euro in das Programm geflossen, wie die Bundesregierung gerade auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion mitgeteilt hat. Doch wie sieht die Bilanz aus? Wirkt das Förderprogramm tatsächlich so, wie es wirken soll?

Hört man sich unter Forschern um, ist viel Lob für FONA zu vernehmen. „Es ist eines der wenigen Programme aus dem Forschungsministerium, das praxisorientiert und interdisziplinär ist“, sagt Anke Herold, Geschäftsführerin des Öko-Instituts. „Statt im Elfenbeinturm zu sitzen, geht es um Lösungen, die in der Realität funktionieren.“ Voraussetzung für eine Förderung ist bei vielen Projekten, dass auch Praxispartner mit an Bord sind. Bei dem Projekt ENSURE des Öko-Instituts zur Ausgestaltung des Netzausbaus auf regionaler Ebene beispielsweise waren sowohl Netzbetreiber als auch Umweltverbände mit eingebunden. „Die Unternehmen brachten ihre konkreten Zahlen mit, die wir dann durchgerechnet haben“, schildert Herold das Vorgehen. „So konnten wir den tatsächlichen Bedarf beim Netzausbau viel besser abschätzen.“

„Die Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Praxis erweitert den Horizont.“

Von einer Pionierleistung sprechen gar die Grünen. „Das FONA-Programm unterstützt genau das, was wir für die Bewältigung der großen Herausforderungen brauchen“, sagt der forschungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Kai Gehring. Allerdings stehe das Programm allein auf weiter Flur. „Statt die Impulse aus der Nachhaltigkeitsforschung systematisch in die Forschungspolitik einzubeziehen, läuft es bei anderen Programmen weiter nach dem alten Schema F“, kritisiert Gehring. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft müsse vertieft werden.

Die dezidierte Praxisorientierung des FONA-Programms ist eigentlich vorbildlich. Forscher kommen mit Praktikern zusammen, um ganz konkrete Fragestellungen zu untersuchen. Etwa wie eine nachhaltige Mobilität in einem bestimmten Quartier gelingen kann. Oder wie Klimaschutz auf lokaler Ebene durch veränderte Formen der Zusammenarbeit besser klappt. Davon profitieren zunächst und vor allem die Forscher selbst. „Die Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Praxis erweitert den Horizont“, sagt Herold. Wenn es aber darum geht, die Ergebnisse in politische Entscheidungsprozesse einzuspeisen und für die ganze Gesellschaft nutzbar zu machen, passiert relativ wenig.

„In der Praxis ist es aber oft so, dass es zwar viele gute Ideen und Konzepte gibt, aber niemand davon erfährt.“ (Michael Koppatz)

Zwar müssen Forscher, die eine Projektförderung über FONA beantragen, auch ein Kommunikationskonzept mitliefern. Darin sollen sie darlegen, wie sie ihre Ergebnisse einem größeren Publikum zugänglich machen wollen, damit nicht nur ein kleiner Kreis von Fachleuten davon erfährt. „In der Praxis ist es aber oft so, dass es zwar viele gute Ideen und Konzepte gibt, aber niemand davon erfährt“, sagt Michael Koppatz vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie, das Strategien und Instrumente für Übergänge zu einer nachhaltigen Entwicklung auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene erforscht. „Die Papiere mit den Ergebnissen sind häufig unverständlich geschrieben“, sagt er. „Kein Praktiker liest so etwas.“ Das sei das Grundproblem der Forschung: Viele gute Ergebnisse, mit denen dann aber zu wenig gemacht werde. „Wir brauchen eine Kommission oder ein Beratergremium, das all die Ergebnisse auswertet und zündende Konzepte bekannt macht“, schlägt Koppatz vor. „Das wäre eine sinnvolle Ergänzung zur Forschungsförderung.“

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion zu FONA nennt die Bundesregierung als wichtiges messbares Ergebnis des Rahmenprogramms an erster Stelle denn auch die „große Anzahl wissenschaftlicher Publikationen von hoher Relevanz“. Auch die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern hebt sie hervor. Das sind wichtige Ziele, keine Frage. Doch für die Nachhaltigkeitsziele Deutschlands – den Ausstoß von Klimagasen zu reduzieren, den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen, Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln sowie den Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke zu begrenzen – ist damit noch nicht viel gewonnen. Trotz ambitionierter Forschungsförderung sind diese Ziele noch längst nicht in Reichweite. Der mit FONA ermöglichte Weltrekord der ISE-Forscher bei der Solarzellenforschung ändert eben nichts daran, dass es in Deutschland keine nennenswerte Solarindustrie mehr gibt.

FONA steht für „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“. Ziel des Programms sind Forschungsergebnisse, die einen echten Nutzen bringen. So erforscht das Projekt MICRO-FATE des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) Verbleib und Abbau von Plastik im Meer. Dafür „stanzt“ ein sogenannter Multicorer in mehr als 5.000 Metern Tiefe Sedimentproben aus dem Meeresboden.