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Filmtipp

Ein Drahtseilakt

In dem Film „Ein nasser Hund“ wächst ein junger Jude unter Muslimen im Berliner Wedding auf. Um dazuzugehören, muss er seine wahre Herkunft verleugnen.

Der junge Soheil (Doguhan Kabadayi, links Kida Khodr Ramadan als Soheils Vater) verheimlicht gegenüber seinen muslimischen Freunden im Berliner Wedding seine Herkunft. (Foto: 2021 carte blanche International GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Volker Roloff)

Soheil hat schwarze Haare, dunkle Augen und damit fällt er im Berliner Wedding kein bisschen auf. Das könnte Grund genug sein, sich hier heimisch zu fühlen, wäre da nur nicht diese Kleinigkeit: Soheil ist Jude. Seine Eltern sind aus dem Iran geflohen, vor Diskriminierung und aus Furcht um Leib und Leben. Ihre Kinder werden aber auch in ihrer neuen Heimat noch für das abgelehnt, was sie sind oder was sie vermeintlich sind.

„Für die Araber bin ich ein Jude, für die Deutschen ein Kanacke und für die Juden ein Terrorist aus dem Wedding.“

„Für die Araber bin ich ein Jude, für die Deutschen ein Kanacke und für die Juden ein Terrorist aus dem Wedding“, resümiert Soheil seine verzwickte Lage. Zwar herrscht unter den Jugendlichen in dem Kiez oberflächlich eine Kultur der Akzeptanz – „Türken, Araber, Kurden, wir sind alle hier eine Familie“ –, Soheil lernt aber schnell, dass Juden damit nicht gemeint sind. Fortan wird er seine wahre Identität verheimlichen.

Aber anstatt die Zuschauer sofort in den Wedding zu versetzen, das mit seinen Schnellrestaurants und Shishabars, den mit Graffitis besprühten Hausfassaden und den vielen Industriebrachen die Atmosphäre des Films bestimmen wird, lässt Regisseur Damir Lukačević die erste Szene von „Ein nasser Hund“ in Palästina spielen. Wir werden Zeuge, wie ein Mann vor den Augen seines Sohnes in ein Handgemenge mit israelischen Soldaten gerät und niedergeschlagen wird. Der Zusammenhang zum Rest der Geschichte wird sich erst am Ende erschließen, die Intention ist aber klar: Von Anfang an versucht Lukačević, den Nahostkonflikt auf der einen und Soheils von Antisemitismus geprägten Alltag in Berlin auf der anderen Seite miteinander zu verbinden. Ein Drahtseilakt – zumal bei einem Film, der sich auch an Kinder und Jugendliche wendet – der nicht immer gelingt.

Absurdität des Hasses

Grundlage von „Ein nasser Hund“ ist die 2010 erschienene Autobiographie von Arye Sharuz Shalicar („Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude: Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde“, dtv, München 2010), weite Teile des Films beruhen also auf wahren Begebenheiten. So wie einst Shalicar in den 1990er Jahren macht sich auch Soheil als talentierter Sprayer schnell einen Namen im Wedding. So wird er Teil einer Clique, die allerdings mehr anstellt, als nur ihren Schriftzug an Wände zu sprühen. Neben Drogengeschäften und Überfällen ist Soheil auch an gelegentlichen Schlägereien gegen die „Kreuzberger“ beteiligt. In seiner Bande gilt er schnell als besonders skrupellos und furchtlos gegenüber der Polizei, die ihn regelmäßig bei seinen fassungslosen Eltern abliefert. Gleichzeitig sieht er sich als ernsthafter Straßenkünstler und hegt zarte Gefühle für Selma, eine türkischstämmige Mitschülerin, für die er bereit wäre, seine kriminellen Aktivitäten aufzugeben. Aber während seine ausschließlich muslimischen Freunde ihn „Bruder“ nennen, schimpfen sie bei jeder Gelegenheit auf die Juden und ihre Macht, ihr vieles Geld und ihre Verlogenheit.

Soheil wird zum Ausgestoßenen

Irgendwann hält Soheil das Versteckspiel nicht mehr aus und offenbart in seinem Freundeskreis seine jüdische Identität. Anstatt jetzt ihre Vorurteile zu hinterfragen, sehen seine ehemaligen Kameraden diese nur bestätigt: Der Jude lügt. Einer von ihnen, Fadir, konfrontiert Soheil: „Als ich ein Kind war, sind deine Juden über meinen Vater hergefallen.“ Soheil ist nun ein Ausgestoßener und wird gar bei einem Mordversuch schwer verletzt. Als er für sich keine andere Wahl mehr sieht, als nach Israel auszuwandern, schließt sich der Kreis: Auf den letzten Bildern sehen wir wieder israelische Soldaten im Einsatz, unter ihnen dieses Mal Soheil. Der Film zeigt zuvor noch, wie Soheil beginnt, sich mit der jüdischen Geschichte auseinanderzusetzen, versucht plausibel zu machen, wie aus ihm ein überzeugter Zionist wird. Ganz glaubwürdig wird dieser Wandel aber nicht und die Bedeutung des Staates Israel für die Sicherheit aller Jüdinnen und Juden bleibt unterbelichtet, mithin Soheils Entscheidung, für diesen Staat zu kämpfen, nicht ganz nachvollziehbar.

Viel Empathie

Damit ein jugendliches Publikum die Szenen zum Nahostkonflikt richtig einordnen kann, empfiehlt sich eine ausführliche Vor- und Nachbesprechung. Als Diskussionsgrundlage über Antisemitismus in Deutschland und über das Großwerden in einem Umfeld, das von ethnischen und religiösen Konflikten geprägt ist, eignet sich „Ein nasser Hund“ aber sehr gut. Der Film bringt seinen Figuren viel Empathie entgegen und zeigt die Absurdität des Hasses unter den jugendlichen Protagonisten, ohne ihre Konflikte zu bagatellisieren.