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Genderpolitik und Digitalisierung

Feminismus hilft!

Die Ausbildung von pädagogischen Fach- und Lehrkräften spielt in der Auseinandersetzung mit Digitalisierung und Geschlecht eine zentrale Rolle. Wir brauchen geschlechtergerechte Lernmittel und entsprechende pädagogisch-didaktische Konzepte.

GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow (Foto: Kay Herschelmann)

Die Zahl, mit der UNICEF Mitte Februar an die Öffentlichkeit ging, ist besorgniserregend: Jedes dritte Kind auf der Welt zwischen 13 und 15 Jahren wurde schon einmal Opfer von Cybermobbing. Auf ihre Website stellte UNICEF neben die Umfrage ein Video, in dem die 15-Jährigen TikTok-Stars Charli und Dixie Damelio erzählen, wie sie im Internet von Hate Speech überzogen werden und darunter massiv leiden. Zu fett, zu hässlich sei die eine, zu dürr die andere, blafften die Online-Stalker. Das Video rückt in den Fokus, was die Studie nicht differenziert: Besonders Mädchen werden Opfer digitaler Gewalt.

Es wird viel darüber diskutiert, wie rasant die digitale Transformation alle Lebensbereiche verändert. Ein wesentlicher Aspekt ist selten Thema der Debatten: Die Transformation trifft Frauen und Männer, Mädchen und Jungen ganz unterschiedlich. „Digital Gender Gap“ heißt das in der Forschung. Der Begriff beschreibt die deutlichen Geschlechterungleichheiten bei der Digitalisierung: Mädchen haben anders teil an digitaler Bildung als Jungen; sie sind online zwar genauso aktiv, im öffentlichen Diskurs aber weniger sichtbar. Hier werden Geschlechterstereotype wirksam, die Diskriminierungen begünstigen, Mitsprache erschweren, Interesse bremsen. Und die Politik versäumt, systematisch gegenzusteuern.

Beispiel Bildung: Die Herausforderung liegt darin, von der Kita an vielfältige Wege zu finden, die Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit ansprechen und an Naturwissenschaften und digitale Technologien heranführen. Wenn Mädchen und Jungen in Kita und Schule unterschiedliche Stärken zugeordnet werden, verfestigen sich Geschlechtsstereotype.

Es ist an der Zeit, die Arbeit der Zukunft stärker frauenpolitisch zu erforschen und zu diskutieren.

Die Ausbildung von pädagogischen Fachkräften, Lehrerinnen und Lehrern spielt deshalb in der Auseinandersetzung mit Digitalisierung und Geschlecht eine zentrale Rolle. Es ist ein Unding, dass 2020 in der „Förderrunde Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ das Bundesbildungsministerium zwar mehr Projekte zur Digitalisierung fordert, aber mit keinem Wort Gender thematisiert. Wir brauchen geschlechtergerechte Lernmittel und pädagogisch-didaktische Konzepte, die der Ausbildung von Rollenstereotypen entgegensteuern, und wir brauchen eine gendersensible Berufs- und Studienberatung. Wenn in Flyern Bilder von Männern in IT- und Tech-Berufen gezeigt werden, werden sich Mädchen kaum bewerben.

Beispiel Arbeit: Die Arbeitswelt wird sich durch die Digitalisierung in vielen Branchen erheblich verändern. Wer in einem Einwohnermeldeamt oder der Finanzverwaltung arbeitet, erlebt genauso gravierende Veränderungen durch Digitalisierung wie jemand in der Autoproduktion. Doch im öffentlichen Diskurs über den Wandel dominiert das Bild des Industrieroboters. Drohende Arbeitsplatzverluste in der Automobilindustrie nehmen viel Raum ein, das Kurzarbeitergeld wird verlängert, um den Strukturwandel zu begleiten. Dramatische Arbeitsplatzverluste aber gibt es genauso in kaufmännischen Jobs und in der öffentlichen Verwaltung. Wieso gibt es hier weder große gesellschaftliche Debatten noch Pläne für eine soziale Abfederung? Es ist an der Zeit, die Arbeit der Zukunft stärker frauenpolitisch zu erforschen und zu diskutieren.

Gerade weil die digitale Transformation unsere Gesellschaft so grundlegend verändern wird, können wir es uns nicht leisten, die Frage nach Geschlechtergerechtigkeit ganz hinten ins Regal zu stellen. Nur wenn wir mit einem geschlechterkritischen Blick die Auswirkungen der Digitalisierung auf alle Felder der Gesellschaft reflektieren und entsprechende politische Rahmenbedingungen schaffen, können alle Menschen gemeinsam die digitale Transformation mitgestalten und von deren Entwicklung profitieren.