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Kontra Pflichtfach Informatik

Fächerübergreifend kritisches Denken fördern!

Wir brauchen medienkompetente und politische, keine digitalen Menschen. Kritisch-informatische Bildung gehört in alle Fächer. Ein Plädoyer gegen ein Pflichtfach Informatik.

Erinnern wir uns an die 1980er-Jahre: Bundesregierung wie Kultusministerien hatten über Jahre finanzielle wie geistige Anstrengungen gescheut, die deutsche Schulwirklichkeit zu verbessern. Und das, obwohl seit zwei Jahrhunderten gut überlegte und begründete Modelle einer Reformpädagogik entwickelt worden waren, von Christian Salzmann über Adolf Reichwein bis zu Heinz-Joachim Heydorn. Nun war die Politik mit Unkenrufen der Ökonomen konfrontiert, Deutschland gerate in Sachen Computerindustrie ins Hintertreffen. Flugs wurde die Schule „reformiert“ und informationstechnische Bildung eingeführt. Da es um Technik ging, bildete man Lehrkräfte der naturwissenschaftlichen Fächer in Schnellkursen darin aus, Schülerinnen und Schülern das Programmieren zu lehren. Das Ergebnis: keines. Von der informationstechnischen Grundbildung blieb das Restfach Informatik.

Es ist wieder soweit. Die BRD hat angeblich zu wenig Informatikerinnen und Informatiker, das Wirtschaftswachstum ist gefährdet. Wieder bildet man Lehrkräfte der naturwissenschaftlichen Fächer weiter, um die Schülerinnen und Schüler fit für die Industrie 4.0 zu machen, als Angestellte der Computerriesen oder als sich selbst ausbeutende „Start-up’s“. Der „Erfolg“ ist absehbar.

Tatsächlich wäre es eine der Hauptaufgaben der Schule, Schülerinnen und Schüler zu Souveränen der digitalen Welt zu machen. Alle Bereiche des menschlichen Lebens sind von der Digitalisierung betroffen und jeder Schüler und wohl auch jede Lehrkraft ist mit seinem Smartphone eingebunden. Sich in dieser Welt zu behaupten, sie zu gestalten, nicht ihr zu dienen, müsste die Idee einer modernen Schule sein, die ihre Wurzeln in der Reformpädagogik hat. Diese ist oder besser wäre dann nicht gerichtet auf Qualifizierung im Dienst der Computerindustrie – sondern auf die Stärkung der Menschen, im sozialen Kontext die Medien zu beherrschen.

Schule sollte fächerübergreifend die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler entwickeln helfen, die herrschenden Strukturen zu analysieren und mit ihnen kritisch umzugehen.

Medienkompetenz umfasst alle Medien und natürlich informatische Grundkenntnisse. Ebenso umgreifend wie die digitale Welt muss das Wissen um diese sein. Natürlich sollen Schülerinnen und Schüler wissen, was Algorithmen und neuronale Netzte sind, wie sie funktionieren, wozu sie genutzt werden und vor allem: welche Absichten mit der Nutzung verbunden sind und welche Folgen dies haben kann. Sie sollten „Big Data“ entschleiern können und analysieren, dass und wie individuelle Daten zum Zwecke der Enteignung der menschlichen Persönlichkeit gesammelt und in den „Clouds“ der Konzerne gespeichert und verarbeitet werden.

Die fünf größten Medienkonzerne der Welt entscheiden, welche Programme überhaupt entwickelt und angewandt werden. Hier werden die Strukturen geschaffen, die unseren Alltag gestalten und unsere Handlungsmöglichkeiten ebenso vorgeben wie begrenzen. Das „mathematisch-technische“ Grundwissen muss der naturwissenschaftliche Unterricht möglichst praktisch und anschaulich vermitteln.

Dafür benötigt die Schule allerdings kein weiteres Prüfungsfach. Sie sollte fächerübergreifend die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler entwickeln helfen, die herrschenden Strukturen zu analysieren und mit ihnen kritisch umzugehen. Besonders die Möglichkeiten des exemplarischen und des handelnden Lernens taugen, um sich das in der digitalen Welt notwendige kritisch-reflexive und praktische Wissen anzueignen. Was wir brauchen, ist, wie der Sozialphilosoph Oskar Negt formuliert hat, die Erziehung zum politischen Menschen. Dieser besitzt die Kompetenzen, um einerseits die Komplexität der Mediengesellschaft zu durchschauen und sie andererseits als demokratische zu gestalten.

Für ein Pflichtfach Informatik plädiert derweil Ludger Humbert, Professor für Didaktik der Informatik an der Universität Wuppertal.

Prof. Bernd Schorb