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Gastkommentar

„Europa. Jetzt aber richtig!“

Die Gewerkschaften haben die europäische Integration von Anfang an unterstützt. Aber auch sie sind nicht mit allem zufrieden, was in der EU passiert: „Wir wollen die EU, aber wir wollen ein anderes Europa: ein soziales, solidarisches, gerechtes.“

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann, Foto: Simone M. Neumann

Was in der Europäischen Union (EU) entschieden wird, betrifft uns alle – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Bürgerinnen und Bürger und die Gesellschaft als Ganzes. Vieles von dem, was wir inzwischen als selbstverständlich wahrnehmen – offene Grenzen, Freizügigkeit, soziale Grundrechte – haben wir auch und vor allem der EU zu verdanken!

Diese Errungenschaften müssen wir endlich wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen rücken. Denn neben den gemeinsamen Grundwerten gibt es zahlreiche konkrete Beispiele, die zeigen, wie die EU unser Leben täglich positiv beeinflusst: Dank der Freizügigkeit können wir nicht nur in anderen EU-Staaten Urlaub machen, sondern auch in anderen Ländern arbeiten. Dank der EU gibt es begrenzte Wochenarbeitszeiten und Ansprüche auf Ruhepausen. Als Bürgerin oder Bürger der EU müssen Sie nur in einem Land Sozialversicherungsbeiträge zahlen – Ihre Beitragszeiten in anderen EU-Staaten werden angerechnet.

Europäische Betriebsräte sorgen für mehr grenzüberschreitende Mitbestimmung, und die Betriebe profitieren vom gemeinsamen Binnenmarkt, weil Grenzkontrollen und Zölle wegfallen. Das macht den Handel von Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der EU einfacher. Vor allem aber: Viele Ziele, die sich die EU bei ihrer Gründung gesteckt hatte, sind heute erfüllt, aber keineswegs gesichert und müssen verteidigt werden: Die EU hat unserem Kontinent und unseren Gesellschaften jahrzehntelangen Frieden und großen Wohlstand ermöglicht.

Wir Gewerkschaften haben die europäische Integration von Anfang an unterstützt. Aber auch wir sind bei weitem nicht mit allem zufrieden, was in der EU passiert. Denn die EU ist seit Jahren krisengeplagt: Im Kontext einer radikal veränderten Weltlage ist Europa mit der nicht bewältigten Wirtschafts- und Finanzkrise, einer viel zu hohen Arbeitslosigkeit und einer bedingungslosen Sparpolitik konfrontiert. Es wurde keine europäische Antwort auf die Flüchtlingskrise gefunden, und die negativen Folgen des Brexit-Votums sind kaum abzuschätzen. Die völlig unzureichende Krisenpolitik hat wiederum die mangelnde Kooperationsbereitschaft, wachsende Selbstbezogenheit der Mitgliedsstaaten und die Webfehler der EU offenbart.

Wir wollen die EU, aber wir wollen ein anderes Europa: ein soziales, solidarisches, gerechtes! 

Es muss in Zukunft sichergestellt sein, dass die sozialen Grundrechte der Menschen Vorrang haben vor den wirtschaftlichen Freiheiten der Märkte und Unternehmen. Die EU muss der Garant für einen sozialen Mindestschutz und eine stetige Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse sein. Europa muss gute Arbeit schützen! Nur dann wird sie das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen und populistische und nationalistische Strömungen schwächen. Und nur so werden wir in der EU die künftigen Herausforderungen meistern können.

Um Frieden und Wohlstand zu bewahren, können einzelne Nationalstaaten in Europa alleine kaum etwas bewirken. Auch deswegen brauchen wir eine starke und solidarische EU. Für den DGB und die Mitgliedsgewerkschaften ist das klare Bekenntnis zu Europa eine Angelegenheit der Vernunft, aber auch des Herzens. Wir wollen die EU, aber wir wollen ein anderes Europa: ein soziales, solidarisches, gerechtes! Dafür machen wir uns stark.

Die Gewerkschaften werden zusammen mit der Zivilgesellschaft und allen engagierten demokratischen Kräften dafür kämpfen, dass die EU ihren Kurs ändert. Dafür müssen wir am 26. Mai ein starkes Signal setzen. Wir rufen alle Menschen auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen und pro-europäische und demokratische Parteien zu wählen. Wir brauchen Europa. Jetzt aber richtig!