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Gastkommentar

Erziehung prägt Gesinnung

Viele „Modernisierungsverlierer“ können dem Rechtsruck problemlos widerstehen, während es auf der autoritär-rechten Seite Leute gibt, die eindeutig nicht zu den Verlierern zählen. Warum bleiben rechte Ideen beim einen haften, beim anderen nicht?

Foto: Kösel-Verlag

Das Thema Rechtspopulismus hat uns im Griff. Die Erklärungen dafür sind bekannt: Die Globalisierung habe viele Bürger „abgehängt“, andere seien durch den raschen kulturellen Wandel fremd im eigenen Land geworden. Verständliche Erklärungen, die ich nicht in Abrede stelle. Und doch – die Deutungskette weist eine Lücke auf. Das zeigt sich an ihren Widersprüchen: Viele „Modernisierungsverlierer“ können der Verlockung von rechts ja offenbar problemlos widerstehen. Umgekehrt begegnen einem auf der autoritär-rechten Seite viele Leute, die eindeutig nicht zu den Verlierern zählen. Warum bleiben die rechten Ideen beim einen haften, beim anderen nicht?

Und auch das passt nicht ins Bild: Wenn der Wurzelgrund für den Rechtsruck wirklich in sozioökonomischen Verlusten zu suchen wäre, dann würde man von der rechten Programmatik doch eines erwarten: dass sie sich um eine bessere Absicherung der Verlierer, um soziale Gerechtigkeit, um wohnliche Städte, intakte Dörfer und so weiter dreht. Stattdessen geht es aber um Kopftücher, den Islam, das „Abendland“, die Flüchtlinge, Gender-Fragen, Homosexualität und gerne auch wieder um Juden. Neuerdings auch um die Wölfe.

Genau dieses Muster gibt auch einen ersten Hinweis, wo wir nach dem fehlenden Glied suchen müssen. Denn das Auffälligste daran ist ja das: Die Themen ordnen sich um die immer gleichen Grundmotive – nämlich um Sicherheit, Anerkennung, Zugehörigkeit: Make America great again! Take back control! Mauern bauen! Endlich eine Stimme haben! Heimat schützen! Stolz, ein Deutscher zu sein!

Menschen, die in ihrer Kindheit gute Antworten auf ihre Entwicklungsfragen bekommen, sind vor den Verlockungen des autoritären Denkens geschützt.

Sicherheit, Anerkennung, Zugehörigkeit. Wer mit Kindern zu tun hat, kennt diese Motive – es sind die grundlegenden Fragen, die wir Menschen in unserer Kindheit verhandeln. Im ganz normalen, alltäglichen Miteinander: Bin ich okay? Schützen mich die Großen, wenn ich in Not bin? Kann ich mitgestalten oder muss ich immer tun, was andere mir vorgeben? Bin ich der Welt gewachsen, oder bin ich beständig überfordert und gestresst? An den Antworten, die Kinder auf diese Fragen bekommen, eicht sich der Kompass, mit dem sie die Welt gestalten werden. Zeigt er auf Vertrauen oder auf: Vorsicht, pass auf!? Sehe ich die Welt als gebenden Ort – oder als Kampfplatz? Kurz: Trage ich in mir das Grundgefühl einer „Heimat“ – oder fühle ich mich heimatlos?

Und damit bin ich bei meiner eigenen Arbeit zum Rechtspopulismus. Sie zeigt mir das: Die Kindheit ist viel „politischer“ als wir gemeinhin annehmen. Dabei sind die Überschneidungen doch eigentlich offensichtlich: In der Kindheit erleben wir unser erstes Gesellschaftsmodell. Wir erfahren – ob in der Familie oder in den Institutionen – eine erste Form von „Regierung“ – und speichern dabei ab, wie die uns Nahestehenden mit Macht und Herrschaft umgehen. Ja, hier erleben wir überhaupt, worauf sich Beziehungen generell gründen: ob sie auf Vertrauen und Kooperation aufbauen – oder auf Überlegenheit und Stärke.

Und auch das erfahren wir in dieser Zeit: ob die Welt ein Kampfplatz ist oder eine Heimat. Ob sie trägt oder ob wir jederzeit verstoßen werden können. Ob wir eine Stimme haben oder „hörig“ sein müssen. Das Ergebnis meiner Arbeit fasse ich deshalb so zusammen: Menschen, die in ihrer Kindheit gute Antworten auf ihre Entwicklungsfragen bekommen, sind vor den Verlockungen des autoritären Denkens geschützt. Diejenigen, denen gute Antworten hartnäckig verweigert werden, werden dagegen auf eine lebenslange Suche nach Ersatz geschickt: Die Sicherung, die sie innerlich nicht erfahren, suchen sie nun im Äußeren. Sie werden verletzlich. Auch gegenüber den Verheißungen des Rechtspopulismus. Die fehlende Sicherung in der Kindheit, das ist das fehlende Glied, der Haftgrund, den es für den Rechtsruck braucht.