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50 Jahre BAföG

„Eine echte soziale Errungenschaft“

Vor 50 Jahren wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) eingeführt und damit der Grundstein für eine individuelle Studienförderung gelegt.

Die Grundidee damals war, finanziell weniger gut gestellten jungen Menschen eine höhere Schulbildung und ein Studium zu ermöglichen. Diese Idee ist heute aktueller denn je. Damit es seinen Zweck weiterhin erfüllen kann, müsse das BAföG aber grundlegend reformiert werden, fordert der Präsident des Deutschen Studentenwerks (DSW), Prof. Rolf-Dieter Postlep, im E&W-Interview.

  • E&W: Das BAföG wird dieses Jahr 50. Ist das ein Grund zu feiern?

Prof. Rolf-Dieter Postlep: Grundsätzlich ist das absolut ein Grund zu feiern. Das BAföG ist das Schlüsselinstrument für mehr soziale Gerechtigkeit im Hochschulstudium. Unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zu studieren, ist eine echte soziale Errungenschaft. Wenn Sie überlegen, dass schätzungsweise mehr als fünf Millionen Menschen dank BAföG studieren konnten, dann ist das schon eine bemerkenswerte Zahl. Was allerdings Anlass zur Sorge gibt, ist die Entwicklung, die das BAföG in den vergangenen sieben, acht Jahren genommen hat. 2012 hatten wir 671.000 Geförderte, 2019 waren es noch 489.000. Noch nie war unter den Studierenden der Anteil der Geförderten niedriger als heute. Das ist ein Grund, darüber nachzudenken, wie man das BAföG reformieren muss, damit es wieder seinen eigentlichen Zweck erfüllen kann.

  • E&W: Das BAföG hat heute längst nicht mehr die Bedeutung für die Studienfinanzierung, die es zu Beginn seiner Geschichte hatte. Was hätte wann getan werden müssen, um diesen Relevanzverlust zu verhindern?

Postlep: Das BAföG hätte wahrscheinlich eine ganz andere Entwicklung genommen, wenn man das, was man bei anderen Sozialleistungen ja immer tut, nämlich eine automatische Erhöhung etwa in Abhängigkeit von der Entwicklung der Lebenshaltungskosten, auch hier vorgenommen hätte. Aber leider lehnt die Bundesregierung auch heute noch eine Bindung des BAföG an einen jährlichen, messbaren Indikator ab. Stattdessen soll alle zwei Jahre ein gesetzlich vorgeschriebener amtlicher BAföG-Bericht erstellt werden, der dann die Grundlage für eine regelmäßige Erhöhung der Bedarfssätze und der Elternfreibeträge sein soll. Aber wie hoch diese Steigerungen ausfallen und ob sie überhaupt kommen, ist dann immer eine politische Entscheidung. Im Durchschnitt wurde das BAföG so nur einmal in jeder Legislaturperiode angehoben. Was man schon gar nicht gemacht hat, ist eine strukturelle Anpassung des BAföG an die sich verändernde Lebenswirklichkeit der Studierenden. Begriffe wie „Teilzeit-“ oder „Orientierungsstudi-um“ existieren im BAföG nicht. Das ist meiner Meinung nach einer der entscheidenden Fehler in der Entwicklung des BAföG.

  • E&W: Im Vergleich zu den vorherigen Anpassungen ist die BAföG-Erhöhung von 2019 recht großzügig ausgefallen. Die Bundesregierung hatte auch nichts Geringeres als eine „Trendumkehr“ beim BAföG angekündigt. Ist diese Ihrer Meinung nach gelungen?

Postlep: Nein, das glaube ich nicht. Die strukturellen Probleme des BAföG sind nach wie vor nicht bewältigt. Außerdem glaube ich, dass selbst bei den Erhöhungen, die jetzt vorgesehen sind, immer noch nicht das aufgeholt wird, was man in der Vergangenheit versäumt hat. Deshalb fordern wir als DSW, die Elternfreibeträge so schnell wie möglich um weitere 15 Prozent zu erhöhen. Auch die Erhöhung der Fördersätze geht zwar in die richtige Richtung, ist aber immer noch zu gering. Zu dem bedarfsdeckenden Betrag, den wir einmal haben ermitteln lassen, fehlen 200 Euro im Monat. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die halb-kreditäre Finanzierung des BAföG. Man müsste wieder zum Vollzuschuss übergehen. Ganz entscheidend ist auch, dass die Förderdauer über die Regelstudienzeit hinaus verlängert werden muss. Mindestens zwei Semester, würde ich sagen. Zudem muss man das BAföG entbürokratisieren. Die bisher sehr aufwändige Beantragung sollte einfacher gehen in einer digitalen Welt. Wenn man das alles online abwickeln könnte, dann würde wahrscheinlich auch die Zahl der Anträge wieder steigen.

  • E&W: Die GEW würde außerdem gerne die Altersgrenze beim BAföG fallen sehen. Wie stehen Sie dazu?

Postlep: Das unterstreiche ich auch. Wenn man bis zum 30. Lebensjahr das BAföG nicht beantragt, ist man nicht mehr förderberechtigt. Die Lebensläufe der Studierenden sind heute jedoch sehr unterschiedlich. Wenn jemand später anfängt zu studieren, dann hat das meist gute Gründe.

  • E&W: Außerdem fordert die GEW, dass das BAföG auf lange Sicht elternunabhängig gezahlt wird.

Postlep: Das ist ein sehr strittiges Thema. Im DSW haben wir dazu noch keine gemeinsame Position formuliert, deshalb kann ich Ihnen nur sagen, wie ich das persönlich sehe. Ich finde, das elternunabhängige BAföG ist keine so gute Idee. Wenn nämlich das BAföG eine Sozialleistung ist – und das ist es ja – dann ist seine Rechtfertigung dann gegeben, wenn Eltern nicht genug Geld haben, ihre Kinder studieren zu lassen. Deshalb muss man auch die Auszahlung des BAföG von der Finanzkraft der Beziehenden abhängig machen. Und noch ein Punkt: Wenn Sie wirklich allen Studierenden das Studium bezahlen wollen, dann müssten Sie mehr Geld ausgeben, als realistisch zu finanzieren wäre. Deshalb gehen die meisten Modelle mit elternunabhängigem BAföG auch von für mein Verständnis sehr niedrigen Fördersätzen aus.

  • E&W: Welche Rolle spielt das BAföG -aktuell dabei, den Studierenden während der Corona-Pandemie unter die Arme zu greifen?

Postlep: Zum einen wurde beschlossen, die letzten beiden Semester nicht auf die Studiendauer anzurechnen. Das finde ich wichtig und gut. Ich hätte mir aber gewünscht, dass das BAföG kurzfristig geöffnet wird, sodass alles, was man jetzt an Überbrückungshilfen separat über die Studentenwerke abwickeln muss, über das BAföG laufen kann. Die aktuelle Pandemie hat gezeigt, dass dem BAföG ein Öffnungsmechanismus in Zeiten der Krise fehlt. Einen solchen müsste man dringend einbauen.

  • E&W: Im Herbst sind Bundestagswahlen. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass sich danach Ihre Wünsche für das BAföG erfüllen werden?

Postlep: Ich hoffe sehr, dass sich eine neue Regierung endlich der strukturellen Probleme des BAföG annimmt und bereit ist, hier Änderungen herbeizuführen. Wie weit diese je nach Koalition gehen werden, kann ich heute noch nicht sagen. Wir gucken uns aber sicherlich die Parteiprogramme mit Blick auf deren Aussagen zur Studienfinanzierung sehr genau an und werden die politischen Entwicklungen in unserer Funktion als BAföG-Anwalt der Studierenden begleiten.

Prof. Rolf-Dieter Postlep (Foto: Kay Herschelmann)