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Streit um den Nationalen Bildungsrat

Ein Torso, mehr nicht

Das föderale Klein-Klein in der deutschen Bildungspolitik treibt neue Blüten: Die Länder sperren den Bund trotz jüngster Milliarden-Investitionen bei ihrem „Bildungsrat“ aus – ein Gremium, das diesen Namen nun wahrlich nicht mehr verdient.

Foto: Pixabay / CC0

Eigentlich sollte es in dieser Wahlperiode das Bildungs-Prestigeobjekt der Großen Koalition von Union und SPD werden: ein Nationaler Bildungsrat (NBR), ähnlich organisiert wie der Wissenschaftsrat mit einem Zwei-Kammer-System. In der einen Kammer unabhängige, vom Bundespräsidenten berufene Spitzen-Wissenschaftler, in der anderen politische Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern. Der NBR sollte eine „unabhängige, interdisziplinäre, längerfristige, systematische Perspektive entlang der gesamten Bildungsbiografie“ entwickeln und sich nicht nur auf schulische Themen beschränken.

Es war der damalige CSU-Chef und heutige Bundesinnenminister Horst Seehofer, der Anfang 2018 bei den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD darauf gedrungen hatte, das Projekt Nationaler Bildungsrat im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Und es war jetzt ausgerechnet Seehofers Amtsnachfolger als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, Markus Söder, der dem geplanten gemeinsamen Bund-Länder-Bildungsprojekt nach mühsamen und langwierigen Verhandlungsrunden den Todesstoß versetzte. Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte schon seit Monaten an der inhaltlichen Einbeziehung des Bundes und vor allem an der geplanten Stimmverteilung herumgemäkelt. Eisenmann tritt bei der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg als CDU-Spitzenkandidatin an. Es geht ihr wie Söder um parteipolitische Profilierung, nicht um die Lösung von Bildungsproblemen.

Alte Grabenkämpfe

Am Rande der Kultusministerkonferenz (KMK) in Berlin wurde aber auch deutlich, dass zudem einige andere Länder-Regierungschefs der Union sowie Spitzenbeamte der Länder-Staatskanzleien sich intern äußerst kritisch und mahnend zu dem gemeinsamen Bildungsprojekt mit dem Bund geäußert hatten – auch wenn die Ministerpräsidenten zuvor in ihren jeweiligen Parteigremien dem Koalitionsvertrag zugestimmt hatten. Der Bund darf zwar weiter kräftig für Bildung zahlen, inhaltlich aber nicht mitwirken.

Was die KMK nun beschlossen hat, ist ein Torso – auch wenn die Kultusminister ihr neues Gremium „Bildungsrat/wissenschaftlicher Beirat“ nennen wollen. Erste Einzelheiten will die KMK Mitte März festlegen. Klar ist nur eins: Der Bund soll in dem Gremium weder Sitz noch Stimme erhalten und nur bei Fragen, die Bund und Länder gemeinsam betreffen, „angemessen beteiligt werden“.

Der Name „Bildungsrat“ weckt natürlich Assoziationen zu dem legendären Deutschen Bildungsrat, den es in der alten Bundesrepublik zwischen 1966 und 1975 gab. Die Empfehlungen seiner Wissenschaftler waren bahnbrechend, etwa für die Einführung von Ganztags- und Gesamtschulen, frühkindlicher Bildung und die pädagogische Förderung und Integration behinderter Kinder – auch wenn viele seiner Ideen erst Jahrzehnte später Einzug in die praktische Bildungspolitik fanden. Gescheitert ist der Deutsche Bildungsrat als Beratungsgremium letztendlich an einer unzureichenden Einbeziehung von Politik und staatlicher Verwaltung, vor allem aber am Widerstand der Finanzminister und dem in jenen Jahren entbrannten ideologischen Grabenkrieg um die Gesamtschule versus dreigliedriges Schulsystem.

„Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Sozialpartnern, um der Gesellschaft ein zukunftsfähiges Bildungsangebot zu machen.“ (Marlis Tepe)

Das sollte diesmal laut Koalitionsvertrag durch das geplante Zwei-Kammer-System analog zum Wissenschaftsrat vermieden werden. Die GEW hatte das ausdrücklich begrüßt und schon in den Jahren zuvor – wie auch Stiftungen und andere Bildungsexperten – immer wieder die Einsetzung eines neuen Bildungsrates gefordert. Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe betont: „Wir brauchen einen Schulterschluss zwischen Bund, Ländern, Kommunen und Sozialpartnern, um der Gesellschaft ein zukunftsfähiges Bildungsangebot zu machen.“

Es ist müßig, nach Schuldigen zu suchen, wenn sich Söder und Eisenmann mit ihrem Veto sogar öffentlich brüsten. Die bildungspolitisch zuvor völlig unerfahrene Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek (CDU), hat im ersten Jahr ihrer Amtszeit viele Fehler gemacht, war öffentlich wie politisch selten präsent. Hinzu kam hausinterner Zwist mit ihrer damaligen für Länderfragen zuständigen Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen. Karliczek hätte parallel zu den mehreren milliardenschweren Bund-Länder-Programmen für Hochschulen, Forschung und die Digitalisierung der Schulen gleichzeitig auch den Bildungsrat mit ausverhandeln müssen. Die Bundesmilliarden waren schließlich für die Länder unter Dach und Fach. Karliczek hatte keine Verhandlungs-masse mehr in der Hinterhand.

„Die Kritik am Bildungsföderalismus wird nicht geringer werden. Es ist wichtiger denn je, den Dialog zwischen Bund und Ländern zum Bildungsföderalismus zu erneuern.“ (Anja Karliczek)

Am Abend vor der absehbaren KMK-Entscheidung über das Aus für den gemeinsamen Bildungsrat hatten sich die Kultusminister und Karliczek zu einem Kamingespräch getroffen – nur die Minister, keine Protokollanten. Ein solches Gesprächsformat am Rande einer KMK hatte es zuvor noch nie gegeben. Karliczek meldete sich, wie Teilnehmer berichteten, nur ein einziges Mal zu Wort und schrieb den Kultusministern ins Stammbuch: Die deutschen Bildungsprobleme bleiben, sie harren endlich einer Lösung. Und: „Die Kritik am Bildungsföderalismus wird nicht geringer werden. Es ist wichtiger denn je, den Dialog zwischen Bund und Ländern zum Bildungsföderalismus zu erneuern.“

Doch wie soll das real geschehen? Denn zugleich kommen von Söder weitere barsche Töne aus München. Er stellt den erst 2018 gefundenen Kompromiss zum Bund-Länder-Finanzausgleich in Frage und fordert zudem die Einsetzung einer neuen Föderalismuskommission. Letztere hatte 2006 der Bildung das unselige Kooperationsverbot im Grundgesetz beschert. Und nun eine Wiedervorlage? Das Bund-Länder-Verhandlungsklima ist an einem neuen Tiefpunkt angelangt.