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Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD)

Ein Stück Heimischkeit

Junge jüdische Studierende wollen jüdisches Leben in Deutschland sichtbar machen – innerhalb und außerhalb der Hochschule.

„Während früher der Fokus sehr stark auf dem innerjüdischen Dialog lag, wollen wir uns durch intersektionalen Aktivismus auch verstärkt in politische Debatten einbringen“, erklärt Julia Kildeeva, Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). (Foto: privat)

Als junge Jüdin muss Julia Kildeeva häufig das eigentlich Selbstverständliche erklären: Ja, es gibt jüdisches Leben in Deutschland. Nein, dieses kreist nicht ausschließlich um Holocaust, Antisemitismus und Nahostkonflikt. Kildeeva ist seit April dieses Jahres Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und kommt in dieser Funktion natürlich nicht drumherum, auch den Schutz und die Sicherheit einzufordern, die die jüdische Minderheit in Deutschland braucht. Als Stimme der jungen Jüdinnen und Juden würde sie aber lieber viel mehr darüber reden, wie das gelebte Judentum hierzulande aussieht, wie vielfältig und wandelbar es ist. Ihr Ziel ist es, „positive jüdische Narrative“ zu etablieren, in denen auch die schönen Facetten des jüdischen -Lebens in Deutschland sichtbar werden. Wie sie gibt es viele junge jüdische Erwachsene, die sich für eine differenzierte Wahrnehmung des Judentums einsetzen und die sich zunehmend an den Hochschulen organisieren.

Schon 1968 wurde der Bund Jüdischer Studenten in Deutschland (BJSD) ins Leben gerufen. Im Laufe der 2000er-Jahre nahm seine Aktivität jedoch immer weiter ab und erlosch schließlich ganz. Mit der Gründung der JSUD kam 2016 dann der Neustart, mit dem auch eine thematische Verschiebung einherging. „Während früher der Fokus sehr stark auf dem innerjüdischen Dialog lag, wollen wir uns durch intersektionalen Aktivismus auch verstärkt in politische Debatten einbringen“, erklärt Kildeeva. Ihre Generation fordere lauter einen Platz in der Gesellschaft ein als die ihrer Eltern, die oft noch darauf bedacht gewesen sei, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Unverblümt sagt der Vorstand der JSUD öffentlich seine Meinung zu AfD, Querdenken und Rechtsextremismus. Gleichzeitig lädt er dazu ein, jüdische Feiertage gemeinsam – wenn auch zurzeit online – zu begehen, organisiert Workshops und Veranstaltungen, die sich an Juden wie auch Nicht-Juden richten.

„Wer für ein Studium in eine neue Stadt zieht, sucht erst einmal Anschluss“, erläutert Joel Kohen von der Berliner Gruppe Studentim, „und da ist es sinnvoll, wenn es ein Angebot direkt an der Universität gibt.“ (Foto: privat)

Niedrigschwelliges Angebot

Die Arbeit der JSUD wird an den einzelnen Hochschulstandorten von vielen lokalen Studierendenorganisationen ergänzt. Dazu gehört auch die Gruppe Studentim (Hebräisch für „Studierende“), die seit zehn Jahren in Berlin aktiv ist. Teil des Vorstandes sind Joel Kohen, Student der angewandten Statistik an der Freien Universität, und Adina Schuster, die Jüdische Studien in Potsdam belegt. Für beide liegt es auf der Hand, die Hochschule als Rahmen für ihr Engagement zu wählen. „Wer für ein Studium in eine neue Stadt zieht, sucht erst einmal Anschluss“, erläutert Kohen, „und da ist es sinnvoll, wenn es ein Angebot direkt an der Universität gibt.“ Er selbst stammt aus Leipzig und hat direkt nach seinem Umzug in die Hauptstadt den Kontakt zu anderen jüdischen Studierenden gesucht. Bei Studentim, wo sich junge Jüdinnen und Juden unabhängig davon, wie gläubig sie sind oder wie oft sie in den Gottesdienst gehen, zusammenfinden, hat er sich gleich wohlgefühlt. Für ihn und viele andere sei die Gruppe ein Stück „Heimischkeit“, wie man auf Jiddisch sage.

Schuster, die in Berlin geboren und in der dortigen jüdischen Gemeinschaft aufgewachsen ist, meint, es sei der undogmatische Ansatz, durch den Studentim eine wichtige Lücke schließe. Die etablierten Strukturen der jüdischen Gemeinden in Deutschland seien oft überaltert und im bürokratischen Klein-Klein befangen. Gerade auf junge Menschen wirke das eher abschreckend, und für die gebe es mit Studentim ein niedrigschwelliges Angebot, am jüdischen Leben in Berlin teilzunehmen.

Jüdische Identität pflegen

Ein Angebot, das auch lebhaft angenommen wird: Beim letzten Purim-Fest vor der Corona-Pandemie, zu dem Studentim geladen hatte, kamen etwa 300 Menschen, um sich, wie es der Brauch ist, zu verkleiden und das „Hamman-Ohren“ genannte traditionelle Gebäck zu essen. „Es wäre schön, Chanukkah dieses Jahr wieder offline feiern zu können“, wünscht sich Schuster.

Während die jüdische Gemeinde in Berlin eine der größten Deutschlands ist und es Gottesdienste verschiedener religiöser Ausrichtungen gibt, hat die Universitätsstadt Tübingen, wie viele andere Orte auch, keine einzige aktive Synagoge. Die Jüdische Studierendenunion Württemberg (JSUW) steht daher vor der Herausforderung, Studierende auch über größere Distanzen miteinander zu vernetzen und selbst dort präsent zu sein, wo es bisher noch gar keine Organisation jüdischen Lebens gab.

„Antisemitismus gibt es auch an Universitäten. Dagegen muss man sich wehren, und wenn man nicht organisiert ist, geht das nicht so gut.“ (Hanna Veiler)

Hanna Veiler war dabei, als die JSUW im Sommer 2019 Gestalt annahm. „Wir sahen die Notwendigkeit, jüdisches Leben am Campus sichtbar zu machen und die Anliegen junger Jüdinnen und Juden in Politik und Gesellschaft zu tragen“, fasst die Studentin der Kunstgeschichte ihre Motivation zusammen. Das bedeute einerseits, die eigene jüdische Identität zu pflegen, andererseits aber auch, Diskriminierung entgegenzutreten: „Antisemitismus gibt es auch an Universitäten. Dagegen muss man sich wehren, und wenn man nicht organisiert ist, geht das nicht so gut.“

Veiler, die schon in ihrer Heimatgemeinde in Baden-Baden in der jüdischen Jugendarbeit engagiert war, glaubt, dass es für das Weiterleben des Judentums in Deutschland entscheidend sei, auch die jungen Menschen anzusprechen. Leider gelinge es bisher nicht ausreichend, auf die Interessen und Bedürfnisse der neuen Generation einzugehen, findet Veiler. „Dazu gehören Rechte für LGBTIQ, Feminismus, Nachhaltigkeit et cetera – all das muss Eingang in die jüdischen Gemeinden finden, wenn diese zukunftsfähig sein wollen.“

Es sind junge Jüdinnen und Juden wie Veiler, Kildeeva, Schuster und Kohen, die zurzeit dabei sind, genau diese Themen in die jüdischen Gemeinschaften hineinzutragen. Als selbstbewusste Repräsentantinnen und Repräsentanten einer modernen jüdischen Identität wollen sie das Bild, das sie in der öffentlichen Wahrnehmung haben, nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten.