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Lehrkräftemangel

Ein Pakt mit dem Land

Regierung und Gewerkschaften haben in Mecklenburg-Vorpommern ein gemeinsames Vorgehen für eine „Gute Schule 2030“ beschlossen.

Wie in vielen Gegenden Deutschlands fehlen auch in Mecklenburg-Vorpommern Lehrerinnen und Lehrer. Das Land will den Fachkräftemangel unter anderem mit einer Erhöhung der Studienplätze beheben. (Foto: IMAGO/imagebroker)

Wie lässt sich der Arbeitsplatz Schule attraktiver gestalten, wie bleiben ältere Lehrkräfte lange gesund, wie finden Jüngere den Weg in ländliche Klassenzimmer? Das sind Fragen, die sich in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern besonders laut stellen. Um sie zu beantworten, haben Gewerkschaften und Lehrerverbände mit der Landesregierung unter dem Motto „Gute Schule 2030“ einen Pakt geschlossen.

„Wir haben einen Meilenstein für eine nachhaltige Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sowohl für die heute tätigen als auch für die angehenden Lehrkräfte erreicht.“ (Maik Walm)

„Wir haben einen Meilenstein für eine nachhaltige Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungsbedingungen sowohl für die heute tätigen als auch für die angehenden Lehrkräfte erreicht“, freute sich Maik Walm, der gemeinsam mit Annett Lindner die GEW in Mecklenburg-Vorpommern leitet, als der Pakt auf Initiative und nach Verhandlungen zwischen GEW, DGB und der Landesregierung im April dieses Jahres unterschrieben wurde. Im Kern geht es da-rum, dass beide Seiten die Probleme, vor denen die Schulen stehen, gemeinsam definieren und im Schulterschluss nach Lösungen suchen wollen.

Die Bedeutung des Abkommens betonte auch Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bei der feierlichen Unterzeichnung: „Der Bildungspakt macht deutlich, dass Bildung in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin hohe Priorität hat. Landesregierung, Gewerkschaften und Verbände setzen sich konstruktiv dafür ein, dass unsere Schulen attraktiver werden.“

„Der Pakt ist kein kurzfristiges Strohfeuer, sondern wird uns über Monate und Jahre an den Verhandlungstisch holen.“ (Henning Lipski)

Es geht den Beteiligten in erster Linie darum, die Bedingungen so zu gestalten, dass Lehrkräfte länger gesund und im Schuldienst bleiben. Gleichzeitig sollen neue Kräfte ausgebildet werden. In den kommenden fünf Jahren müssen laut der aktuellen Lehrerbedarfsprognose pro Schuljahr zwischen 600 und 800 freie Stellen neu besetzt werden. „Um den hohen Bedarf decken zu können, muss an vielen verschiedenen Stellschrauben gedreht werden“, sagte Ministeriumssprecher Henning Lipski der E&W. Dem Land gehe es darum, „als Arbeitgeber im Wettbewerb um die Fachkräfte attraktiv zu sein“. Der Weg dorthin „wird kein Spaziergang“, sagte Bildungsministerin Bettina Martin (SPD) im Interview mit der Landeszeitung E&W. „Der Pakt ist kein kurzfristiges Strohfeuer, sondern wird uns über Monate und Jahre an den Verhandlungstisch holen.“

Gemeinsame Arbeitsgruppen

Seit Juni tagen die gemeinsamen Arbeitsgruppen. Zwei Punkte, die Einführung von Arbeitszeitkonten und eine Zulage für das Referendariat im ländlichen Raum, habe das Ministerium bereits vorbereitet, berichtet Walm: „So können wir über konkrete Vorlagen beraten.“ Weitere Themen folgen. Auch der Landesvorsitzende geht von einem langen Weg aus: „Nachdem wir mit der Unterzeichnung des Bildungspaktes ein erstes Hochplateau erreicht haben, geht es jetzt an die herausfordernden Mühen der Ebene und die konkrete inhaltliche Diskussion und Umsetzung.“

Aus Sicht des Ministeriums sei der Start gut verlaufen, sagt Lipski. Ihm ist wichtig, dass „die Gespräche auf Augenhöhe stattfinden. Alle Partnerinnen und Partner des Bildungspaktes sind sich ihrer hohen gemeinsamen Verantwortung bewusst.“

Der aktuelle Pakt ist nicht die erste Vereinbarung zwischen Gewerkschaften und Land: 1995 einigten sich beide Seiten auf ein „Lehrerpersonalkonzept“. Damals befand sich Mecklenburg-Vorpommern in einer besonderen Situation, denn nach der deutsch-deutschen Vereinigung brachen die Geburtenzahlen ein. Rechnerisch war die Zahl der Lehrkräfte damit absehbar zu hoch. Um Entlassungen der – angestellten – Pädagoginnen und Pädagogen zu vermeiden, gingen Lehrkräfte aller Schularten flächendeckend in Teilzeit.

Zeit für einen neuen Pakt

Erst 2014 wurde diese Regelung wieder aufgehoben, aber der frühere Gehaltsverzicht und die gleichzeitige Erhöhung der Pflichtstunden wirken bis heute nach. Nicht nur wegen der Gehaltseinbußen, auch emotional bedeutete das Lehrerpersonalkonzept einen Bruch: „Es wurde von den meisten Lehrkräften als sehr einschneidend wahrgenommen“, erinnert Walm. Die Rede war von „Zwangs-Teilzeit“ bei gleichzeitig steigenden Anforderungen.

Das Land sparte infolge des Lehrerpersonalkonzepts zwar Geld, doch die ausgedünnten Personaldecken strafften sich bis zum Zerreißen, als die Kinderzahlen wieder stiegen und stetig neue Aufgaben hinzukamen, etwa Inklusion oder Digitalisierung. Somit sei es heute Zeit für einen neuen Pakt, so Ingo Schlüter, stellvertretender Vorsitzender des DGB Nord: „Die DGB-Gewerkschaften haben sich 1995 den Herausforderungen nach der Wende gestellt. Für die Lehrerinnen und Lehrer bedeutete das große persönliche Opfer. Es ist nur folgerichtig, dass auch jetzt, da es dringend darauf ankommt, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen zu halten und junge Menschen für den Lehrerberuf zu gewinnen, auch dies wieder im gemeinsamen Prozess zwischen Gewerkschaften und Landesregierung zu gestalten.“

Die Vertretungen der Eltern und der Schülerschaft sowie mehrere Lehrerberufsverbände in Mecklenburg-Vorpommern haben sich bereits im März 2019 zum „Bündnis Gute Schule in M-V“ zusammengetan. Mit dabei ist neben GEW und DGB auch die dbb Tarifunion mit dem Verband Bildung und Erziehung (VBE), dem Philologenverband (PhV) und dem Landesverband der Lehrkräfte für Berufsbildung im BvLB.

Wettbewerb um Fachkräfte

So sind durch gemeinsame Verhandlungen schon einige Erfolge erreicht worden. Unter anderem ist an der Universität Greifswald ein neuer Studiengang für das Grundschullehramt entstanden. „Dadurch haben wir im Grundschulbereich die Zahl der Studienplätze im Land mehr als verdoppelt“, sagt Bildungsministerin Martin. Um die Arbeit mit den Erst- bis Viertklässlern attraktiver zu gestalten, hat Mecklenburg-Vorpommern, wie einige andere Länder auch, die Vergütung der Grundschullehrkräfte auf A13/E13 angehoben. „Das verschafft uns im bundesweiten Wettbewerb um neue Fachkräfte einen Vorteil“, hofft Martin. Um diese und weitere Maßnahmen zu finanzieren, hat die Landesregierung ein mit 200 Millionen Euro gefülltes „Schulpaket“ verabschiedet, das über vier Jahre ausgezahlt wird. „Geld ist keineswegs alles, aber ganz ohne Geld geht es angesichts der gestiegenen Anforderungen auch nicht“, heißt es aus dem Ministerium.

„Die Lösung des Lehrkräfteproblems wird langfristig nicht gegeneinander funktionieren.“

Auch über Seiteneinstieg sollen neue Lehrkräfte gewonnen werden. Wie genau die Programme dafür aussehen könnten, wird ein Thema der weiteren Verhandlungen sein. Strategisch sind kurz- und mittelfristige Schritte vereinbart worden, um immer wieder Ergebnisse vorlegen zu können. Mecklenburg-Vorpommern will dabei kein Personal auf Kosten anderer Bundesländer gewinnen: „Die Lösung des Lehrkräfteproblems wird langfristig nicht gegeneinander funktionieren“, sagt Ministeriumssprecher Lipski. Daher gebe es über alle Maßnahmen, darunter auch den Bildungspakt, länderübergreifend einen regen Austausch.

„Die Qualifizierung und Gewinnung neuer pädagogisch-arbeitender Fachkräfte braucht Zeit und Einsatz“, sagt Walm. Für diese schwierige Aufgabe sei eine belastbare und langfristige Vereinbarung wie der Bildungspakt eine angemessene Antwort.