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Digitalisierung an Schulen

Ein Hoch auf das Improvisationstalent

Es grenzt an ein Wunder, wie Lehrkräfte die Corona-Krise meistern. Eine repräsentative Mitgliederbefragung der GEW zur Digitalisierung an Schulen, noch vor Beginn der Pandemie durchgeführt, deckt die Schwachstellen des Digitalpakts Schule auf.

Die Umstellung auf Fernunterricht kam Mitte März quasi über Nacht – und mitten in der Auswertung einer repräsentativen Mitgliederbefragung der GEW zum Digitalpakt und der Digitalisierung an Schulen. Schon vor dem Lockdown sahen die meisten Lehrkräfte digitale Medien und Kommunikationsmittel als Standard und schätzten sie positiv ein. Allerdings sind die Rahmenbedingungen alles andere als vorteilhaft. Fünf Problemfelder legt die GEW-Studie zur Digitalisierung offen: Die Ausstattung mit Endgeräten lässt zu wünschen übrig, in Datenschutzfragen werden die Lehrkräfte oft alleingelassen, Digitalisierung führt zu Abgrenzungsproblemen zwischen Privatleben und Arbeit, die Beteiligung und Information bei der Umsetzung des Digitalpakts ist nicht optimal gelaufen, und für medienpädagogische Konzepte wurden nur selten zeitliche Ressourcen zur Verfügung gestellt.

Endgeräte: reine Privatsache

Neun von zehn Befragten benutzen private Endgeräte. Nur 9 Prozent gaben an, dass es in der Schule eine ausreichende Zahl digitaler Endgeräte für Lehrkräfte gebe. Die Digitalpaktmittel fließen vor allem in den Ausbau des WLAN, mobile Endgeräte für Schülerinnen und Schüler sowie Anzeige- und Interaktionsgeräte. Aus den Digitalpaktmitteln können nur mobile Endgeräte für den Gebrauch im Unterricht beantragt werden. Was aber, wenn der Unterricht nicht mehr in der Schule, sondern zu Hause stattfindet? Die Mittel für Endgeräte können zwar im Prinzip auch für den Unterricht zu Hause genutzt werden. Doch in der Realität gibt es Riesenunterschiede bei der Nutzung von Endgeräten durch die Lernenden. Die einen sind privat mit den neuesten Mac-Books versorgt, andere müssen das komplette Homeschooling über ihr Smartphone abwickeln.

„Die digitale Infrastruktur für den Unterricht muss von der öffentlichen Hand für alle bereitgestellt werden und darf nicht zur Privatsache werden.“ (Ansgar Klinger)

„Wie die Lehrkräfte trotz der schlechten Ausgangsbedingungen, die unsere Mitgliederbefragung aufgedeckt hat, von heute auf morgen mit großem Improvisationstalent auf Fernunterricht umgestellt haben, da kann man nur sagen: ‚Chapeau!‘“, betont Ansgar Klinger, im GEW-Vorstand für den Bereich Berufliche Bildung und Weiterbildung verantwortlich. Dies könne aber keine dauerhafte Lösung sein. „Wir brauchen dringend eine Verstetigung und Erweiterung der Mittel aus dem Digitalpakt, damit die Lehrkräfte nicht mehr auf ihre privaten Ressourcen zurückgreifen müssen. Die digitale Infrastruktur für den Unterricht muss von der öffentlichen Hand für alle bereitgestellt werden und darf nicht zur Privatsache werden.“

Primat der Pädagogik

Die Mitgliederbefragung zeigt Beteiligungsdefizite bei der Umsetzung des Digitalpakts auf. Nur ein Drittel der an der Planung beteiligten oder darüber informierten Befragten hat angegeben, dass die Einrichtung genügend Zeit hatte, ein Konzept zur medienpädagogischen Schulentwicklung zu beantragen. Die Arbeitgeber hätten nicht genügend Informationen zum Digitalpakt bereitgestellt. Nur ein Zehntel der Befragten fühlte sich gut oder sehr gut durch den Arbeitgeber informiert. Fast 80 Prozent der befragten Schulleitungen gaben an, dass für die Konzepterarbeitung keine zusätzlichen Zeitressourcen bereitgestellt wurden.

Die befragten Mitglieder zeigten ein großes Interesse an Digitalisierungsfortbildungen. Allerdings klafft auch hier eine Lücke zwischen den Bedarfen und der Realität. Fortbildungen scheitern oft an fehlenden relevanten Angeboten und zeitlichen Kapazitäten.

„Die digitale Beschleunigung darf nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler ausgetragen werden.“ (Ilka Hoffmann)

Die GEW-Schulexpertin Ilka Hoffmann kritisiert daher die Defizite bei der Umsetzung des Digitalpakts. „Die digitale Beschleunigung darf nicht auf dem Rücken der Lehrkräfte sowie der Schülerinnen und Schüler ausgetragen werden.“ Die Mitgliederbefragung habe ergeben, dass Lehrkräfte bei der Umsetzung des Digitalpakts Schule bislang zu wenig beteiligt worden seien und die Information durch den Arbeitgeber eher kritisch gesehen werde. „Noch gravierender aber wiegt, dass zu wenig Zeit für die Erstellung medienpädagogischer Konzepte vorhanden war, obwohl diese zentral sein sollten. Die nun beschleunigte Digitalisierung darf nicht aus einem rein effizienzsteigernden Blickwinkel betrachtet werden“, so Hoffmann. Lernende seien „keine Lernroboter, die man mit einer Input-/Output-Formel programmieren kann. Schule ist Ort sozialen Lernens und der Interaktion. Deshalb müssen auch in Krisensituationen Möglichkeiten des Austauschs geschaffen werden.“

Vom 6. Februar bis 3. März 2020 führte die GEW eine repräsentative Online-Mitgliederbefragung durch. Die Grundgesamtheit bildeten die Adressaten des Digitalpakts Schule, also die erwerbstätigen GEW-Mitglieder (keine Senioren, Arbeitslosen, Studierenden) ohne Schulaufsicht an allgemeinbildenden Schulen (inklusive Förder- und Sonderzentren) und berufsbildenden Schulen. Die Stichprobe umfasste 17.972 Mitglieder. Der Fragebogen teilte sich in vier größere Themenblöcke: 1. Digitalpakt, 2. Arbeitszeit, Arbeitsbelastungen, Entgrenzung von Arbeit, Support, 3. Ausstattung und Unterstützung von Lehrkräften sowie 4. Fortbildungsangebote und -bedarfe mit Blick auf Digitalisierung.

Arbeit ohne Ende

Fast 70 Prozent der Befragten benennen Abgrenzungsprobleme durch Digitalisierung – gerade auch junge Mitglieder, denen es am schwersten fällt, Beruf und Freizeit zu trennen. Dies mag auch an der häufigeren Nutzung digitaler Endgeräte liegen. Die älteren Jahrgänge scheinen den Stecker ein bisschen leichter ziehen zu können. Insgesamt wurde eine steigende Arbeitsbelastung festgestellt, wenn auch moderat. Die Arbeitsbelastung wächst mit zunehmendem Alter der Befragten. Den Zeitaufwand im Zuge der Digitalisierung schätzten die Befragten ambivalent ein. Die Arbeitsbelastung im Unterricht wurde immer größer eingeschätzt, je weniger Nutzen die Befragten den digitalen -Medien zusprachen.

Eine beunruhigende Ambivalenz herrscht bei der Beurteilung des Datenschutzes an den Schulen, hier gibt es größere Lücken. Die Hälfte hält den Datenschutz für grundlegend geregelt, für 40 Prozent ist diese Frage eher oder überhaupt nicht geklärt. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich auch beim Thema, wie die Arbeitgeber zu Datenschutzfragen informieren: Zwei Drittel der Befragten beurteilen die Infopolitik kritisch. Als unzureichend sehen sie die Unterstützung des Arbeitgebers in Fragen, wie der Datenschutz bewältigt werden kann. Dieses Ergebnis ist umso brisanter, wenn man bedenkt, wie viele Lehrkräfte private Endgeräte für ihre Arbeit nutzen. Auch der technische Support ist nicht zufriedenstellend gelöst und schluckt die Ressourcen der Lehrkräfte. Diese bewerten den Support an den Schulen eher kritisch. Nur rund 20 Prozent der Befragten waren grundsätzlich damit zufrieden.

Was tun?

Viele Forderungen des GEW-Gewerkschaftstags 2017 zur Digitalisierung bestätigt die Mitgliederbefragung:

  • Verstetigung der Digitalpaktmittel. Digitale Infrastruktur ist eine öffentliche Daueraufgabe.
  • Die GEW kritisiert das Prinzip des BYOD (Bring Your Own Device). Lehrkräfte und Lernende sollen, wenn erforderlich, Endgeräte zur Verfügung gestellt bekommen. Arbeitsgeräte müssen öffentlich finanziert werden.
  • Die GEW setzt sich für ein Recht ein, nicht erreichbar zu sein. Den Entgrenzungsmechanismen der digitalen Welt müssen Grenzen gesetzt werden.
  • Datenschutz muss großgeschrieben werden – gerade auch bei Lehr-/Lernplattformen und Cloudlösungen.
  • Muddling through, also das Sich-Durchwurschteln und der Verzicht auf zentrale Planung beim IT-Support, kann nicht die Lösung sein. Hier braucht es zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen.
  • Das Primat der Pädagogik muss auch in einer beschleunigten Digitalisierung im Mittelpunkt stehen.