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Diskriminierungsverbot: Verbeamtet trotz Krankheit

Wer in ein Beamtenverhältnis übernommen werden will, muss eine entsprechende „gesundheitliche Eignung“ nachweisen. Nach bisheriger Rechtsprechung galt, dass das Risiko vorzeitiger Dienstunfähigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist. Bereits geringe gesundheitliche Einschränkungen reichten aus, eine Verbeamtung zu verhindern. Bessere Einstellungsbedingungen konnten lediglich schwerbehinderte Bewerber für sich in Anspruch nehmen. Beamtenanwärter mit leichten Behinderungen hatten hingegen das Nachsehen. Im günstigsten Fall sind sie als Angestellte beschäftigt worden.

Das wird sich ändern: Ein Berufsschullehrer, der an symptomfreier Multipler Sklerose und orthopädischen Beschwerden leidet, ist nur als Angestellter beschäftigt worden. Er hat deshalb Klage eingereicht. Jetzt hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) ein neues Urteil zur Übernahme ins Beamtenverhältnis gefällt.

Der Kläger berief sich auf europäisches Richtlinienrecht, das in Deutschland im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) rechtskräftig ist. Danach darf niemand aufgrund von Behinderung benachteiligt werden. Das AGG schützt auch Menschen mit Handicaps unterhalb der Grenze einer Schwerbehinderung. Die Verbeamtung kann danach nur in Ausnahmefällen verweigert werden. Dann nämlich, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen eine konkret zur Tätigkeit gehörende berufliche Anforderung nicht erfüllen, eine Lehrkraft beispielsweise keinen ordnungsgemäßen Unterricht erteilen oder sonstige Lehrerverpflichtungen nicht wahrnehmen kann. Die Möglichkeit, dass vielleicht nach 20 oder 25 Jahren eine vorzeitige Dienstunfähigkeit eintreten könne, rechtfertigt nach Auffassung des Klägers keine Verweigerung der Verbeamtung.

Das OVG gab dem Kläger überwiegend Recht. Die Schulbehörde muss nun über den Antrag auf Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe neu entscheiden und dabei die Vorgaben des Gerichts beachten. Das stützt sich in seinem Urteil allerdings nicht auf europäisches Recht, sondern auf Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Doch auch dieser verbietet eine Benachteiligung. Art. 3 GG schützt Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, auch wenn sie nicht als schwerbehindert gelten. Um den Anforderungen des GG zu genügen, muss nach Auffassung des OVG zwischen dem Benachteiligungsverbot einerseits, das sich aus dem Grundgesetz ableitet, und dem beamtenrechtlichen Lebenszeitprinzip andererseits ein Ausgleich gefunden werden. Der bisher angewandte Maßstab werde diesem Anspruch nicht gerecht, urteilten die Richter, er sei daher abzusenken. Von einer gesundheitlichen Eignung sei auszugehen, wenn die amtsärztliche Prognose eine vorzeitige Dienstunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit (mehr als 50 Prozent) ausschließen kann. Nimmt man die Vorgaben des OVG als Grundlage, wäre ein Großteil der bisher abgelehnten Bewerberinnen und Bewerber in das Beamtenverhältnis zu übernehmen.

Das OVG hat sich in seiner Entscheidung allerdings nicht mit den europarechtlichen Vorgaben eines Antidis­kriminierungsverbotes auseinandergesetzt, obwohl das erforderlich gewesen wäre. Der vom Gericht entwickelte Maßstab reicht für europäisches Recht nicht aus. Wenn beispielsweise der bei jeder Einstellung eingeschaltete amts­ärztliche Dienst zu dem Ergebnis kommt, dass der untersuchte Bewerber nach 20-jähriger Beamtentätigkeit sehr wahrscheinlich dienstunfähig werde, kann ihm der Dienstherr die Einstellung in das Beamtenverhältnis verwehren. Nach europäischem Recht wäre das vermutlich nicht möglich, da nach diesem nur konkret tätigkeitsbezogene Beeinträchtigungen eine Verbeamtung ausschließen würden.