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Geschlechterparität

Die Utopie rückt in weite Ferne

Bei der Bundestagswahl 2017 sank der Frauenanteil im Parlament auf den Stand von Ende des vergangenen Jahrhunderts; nur knapp mehr als 30 Prozent Frauen zogen in den Bundestag ein – 2013 betrug ihr Anteil noch 36 Prozent.

Der Rückschritt in den Bemühungen um Geschlechterparität lässt erneut Forderungen nach geschlechterquotierten Wahllisten laut werden. (Foto: Pixabay / CC0)

Seit dem Debakel von 2017 entwickeln verschiedene Bündnisse und Parteien Ideen, wie der Frauenanteil im Parlament wieder steigen könnte. Begonnen wurde auf der Ebene der Bundesländer. Auch da befinden sich die Quoten in den Parlamenten im Sinkflug. Zum Beispiel in Brandenburg. Hier schrumpfte der Frauenanteil im Landtag von 38 Prozent im Jahr 2014 auf 31 Prozent im Herbst 2019. Im Januar 2019 war in Brandenburg zwar das erste Parité-Gesetz Deutschlands mit den Stimmen der rot-rot-grünen Koalition beschlossen worden, galt allerdings noch nicht für die Landtagswahl im gleichen Jahr. Gegen das Gesetz legten die Piratenpartei, die NPD und die AfD sogleich Verfassungsbeschwerde ein.

Parité-Kämpfe

Auch in Thüringen kam es zu Parité-Kämpfen. Dabei glänzte dieses Bundesland lange Zeit mit den höchsten Frauenanteilen aller deutschen Landesparlamente; ab den 2000er-Jahren lag der Anteil der weiblichen Abgeordneten immer über 40 Prozent. Doch 2019 drückte die AfD beim Einzug in den Landtag mit ihren nur 13 Prozent Frauen den Anteil auf 31 Prozent. Die AfD war dafür aber nicht allein verantwortlich: Die CDU präsentierte weniger als 10 Prozent Frauen im Thüringer Landtag!

Frauen und Männer haben Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe in der Gesellschaft, das ist das simple Argument für Parité-Gesetze. In Thüringen wurde eines im Juli 2019 aus der Taufe gehoben, auch da abgesegnet von Rot-Rot-Grün. Doch auch hier sollte es erst für die Wahlen im Jahr 2024 gelten.

Die beiden ersten Parité-Gesetze in Landesparlamenten Deutschlands kamen jedoch nie zur Geltung. In Thüringen erklärte das Verfassungsgericht des Landes das Experiment im Juli vergangenen Jahres für beendet. Es gab der Verfassungsbeschwerde der AfD mit der Begründung statt, das Paritätsgesetz greife in die Freiheit der Wahl ein. Wahlen sollten ohne Zwang und Druck durch den Staat stattfinden, so die Urteilsbegründung. Außerdem, so lautete auch einen Monat später das Urteil für Brandenburg, müssten die Parteien Chancengleichheit genießen. Nun liegen dem Bundesverfassungsgericht Beschwerden gegen diese beiden Entscheidungen vor. Wann das Urteil fällt, ist noch offen.

„Solche Gerichtsurteile wie in Brandenburg und Thüringen sind Rückschläge, aber die verfassungsrechtliche Debatte geht weiter.“ (Frauke Gützkow)

Gegen nach Geschlechtern paritätisch besetzte Wahllisten von Parteien wird oft Folgendes ins Feld geführt: Sobald Frauen qualifiziert wären, würden sie auch Posten in den Parteien bekommen und zur Wahl aufgestellt. Besonders beliebt ist dieses Argument bei extrem rechten und konservativen Parteien. Die Münchner Juristin Christa Weigl-Schneider widerspricht. In der Realität zeige sich, dass Männer selbst dann aufgestellt und sich gegen Frauen durchsetzen würden, wenn diese qualifizierter seien. Weigl-Schneider reichte gegen das Ergebnis der Bundestagswahl von 2017 eine Wahlprüfbeschwerde ein.

Feministinnen kennen dieses Argument aus Debatten um Quoten und Frauenförderpläne in anderen Gesellschaftsbereichen. Für Frauke Gützkow, im GEW-Vorstand für Frauenpolitik verantwortlich, ist ein Paritätsgesetz in der Politik ohne Alternative. „Solche Gerichtsurteile wie in Brandenburg und Thüringen sind Rückschläge“, beklagt Gützkow, „aber die verfassungsrechtliche Debatte geht weiter.“ Der Rollback in den Parlamenten habe zu einem großen Teil mit dem Einzug der  AfD in den Bundestag zu tun. Der viel diskutierte Rechtsruck.

Seit den 1980er-Jahren quotieren in Deutschland einige Parteien ihre Wahllisten in „Selbstverpflichtung“ geschlechtergerecht und stellen ihre Listen im sogenannten Reißverschlussverfahren auf. Diese Parteien haben in der jüngsten Vergangenheit versucht, Parité-Gesetze einzuführen. Doch sie quotieren teilweise nur bei den Wahllisten und nicht bei den Direktmandaten. Und das führt wie bei der SPD-Bundestagsfraktion dann doch zu einem Frauenanteil von nur etwa 44 Prozent. Bei der Linksfraktion liegt dieser bei knapp 54, bei den Grünen annähernd bei 57 Prozent.

Ruanda auf Platz eins

In der Europäischen Union (EU) gibt es kein Land, das im Parlament eine Geschlechterparität von 50 zu 50 hat. Außerhalb Europas sieht das anders aus. In Ruanda sind 61,3 Prozent der Abgeordneten im nationalen Parlament Frauen*. Das kleine afrikanische Land führt eine 193 Länder umfassende Liste der „Women in national Parliaments“ der Inter-Parliamentary Union (IPU) an. Warum geht das nicht in der EU? Gibt es in Europa keine Vorbilder?

Viele nennen Frankreich. Hier gibt es schon seit 2000 ein Parité-Gesetz. Dafür wurde sogar die Verfassung geändert. Das entschied damals die von den Sozialisten geführte Regierung unter Premierminister Lionel Jospin. In die Verfassung wurde der Satz eingefügt: „Das Gesetz fördert den gleichberechtigten Zugang für Frauen und Männer zu Wahlmandaten und Ämtern.“ Frankreich wurde damit das erste Land in der Welt, das eine Parität für die Parlamente festschrieb.

Aber erst nach dem Wahlsieg Emmanuel Macrons (mit der Partei „La République en Marche“) bei den Parlamentswahlen im Juni 2017 stieg der Frauenanteil in der Assemblée nationale um 12 Punkte auf fast 39 Prozent. Im IPU-Ranking sprang Frankreich von Platz 64 auf Platz 17. Deutschland steht aktuell auf Platz 47!

Reformkommission erarbeitet Maßnahmen

Doch auch in Frankreich ist es bis zur Geschlechterparität in allen Parlamenten noch ein weiter Weg. Zwar werden die Parité-Gesetze auf kommunaler Ebene voll umgesetzt. Nicht so in der Nationalversammlung. Da zahlen viele Parteien lieber eine Geldstrafe oder nehmen Einbußen in der Parteienfinanzierung in Kauf, als ihre Listen paritätisch zu besetzen. Es fällt nicht so leicht, in Frankreich ein Vorbild zu sehen. Dann schon eher Schweden, wo der Anteil der weiblichen Abgeordneten bei 47 Prozent liegt – ganz ohne Paritätsgesetz.

Für den deutschen Bundestag ist noch nicht aller Tage Abend: Eine Reformkommission soll bis 2023 Maßnahmen erarbeiten, um eine gleichberechtigte Repräsentanz von Frauen und Männern auf den Kandidatenlisten und im Bundestag zu erreichen.

* Das Parlament in Ruanda besteht aus 80 Abgeordneten, von denen jedoch nur 53 in direkten Wahlen gewählt werden. 24 Sitze sind für Frauen reserviert, die von Wahlkommissionen in den zwölf Provinzen benannt werden. Zwei Abgeordnete werden von Jugendorganisationen delegiert, ein Parlamentsplatz wird von einer Vertreterin oder einem Vertreter einer Behindertenorganisation besetzt.