Fotos: Christina Doering, Trudy Kerperien, Manfred Brinkmann, DLF
Werde ich gefragt, ob es mehr Gründe gab, die mich in den Auslandsschuldienst getrieben haben (push) als Gründe, die mich hinausgelockt haben (pull), dann ist die Antwort ehrlicherweise, dass das push-Element überwog: Mehrere Jahre hatte ich extrem negative Erfahrungen mit Schulleitungen gemacht, die mir das Leben schwer gemacht hatten.
Auch ein Schulwechsel hatte keine besseren Bedingungen hergestellt. So stand ich vor der Wahl, in die innere Emigration zu gehen und die Jahre bis zur Pensionierung zu zählen oder noch einmal etwas ganz anderes zu wagen. Nachdem meine Tochter es mir vorgemacht hatte – sie hat ein Jahr einen sozialen Dienst in Israel abgeleistet – beschloss ich, mich auf ein ähnliches Abenteuer einzulassen.
Anpassungsleistung größer als erwartet
Nach 1 ½ Jahren Wartezeit wurde es … Dänemark. Böse Zungen witzelten, der Kulturschock, den ich erleben würde, falls ich nach München ginge, wäre größer als der, den ich im Nachbarland zu erwarten hätte. Nach 3 Jahren Leben und Arbeiten in Dänemark kann ich ganz entschieden sagen: Das stimmt nicht! Die geforderte Anpassungsleistung war größer als erwartet und stellte sich als eine enorme Herausforderung heraus. Das andere stimmt aber auch: die 3 Jahre Dänemark waren eine großartige Erfahrung, die ich in meinem Leben nicht missen möchte.
Aus Familienurlauben weiß man: Die Dänen sind freundliche Menschen. Doch will man dort leben, gibt es viele Hürden zu nehmen, um dort überhaupt erst einmal Mensch sein zu können: Man braucht als erstes eine Identitätskarte – ohne Identitätskarte geht gar nichts. Bevor man sie bekommt, muss man im Ausländeramt als Bürger Dänemarks zugelassen sein, eine Prozedur, die ein paar Wochen dauert. Ohne Identitätskarte kann man aber kein Bankkonto eröffnen oder auch nur einen Arzt besuchen.
Selbst wenn man sie hat, ist man z.B. bei der Bank noch nicht vertrauenswürdig: Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich eine Checkkarte erhielt, mit der ich im Alltag bezahlen konnte. Ohne Karte konnte ich z.B. keine Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr am Automaten kaufen und musste jedes Mal zum Hauptbahnhof. Es dauerte Wochen, bis Internet und Fernsehen funktionierten. Fehler sind an der Tagesordnung und müssen per Anruf angemahnt werden. Wie habe ich die elektronische Ansage gehasst: „Du har tre valgmuligheder, har du spørsmål til … Wenn man (noch) kein Dänisch kann, kann einen das zum Verzweifeln bringen.
Wohnung unter Wasser
Auch später musste ich die unangenehme Erfahrung des Ausgeliefertseins machen. In der Anfangshektik hatte ich es versäumt, eine Versicherung abzuschließen, was sich rächen sollte. Ich war schon 1 Jahr im Land, als ein Unwetter mit extremem Starkregen die gesamte Innenstadt unter Wasser setzte. Auch in meine Wohnung trat Wasser ein. Gut, dachte ich mir, man braucht sein Herz ja nicht an Dinge zu hängen, und habe fleißig unbrauchbare Möbel und noch nicht ausgepackte Umzugskisten in den riesigen im Wohngelände aufgestellten Containern entsorgt. Diesen Schaden war ich bereit auf meine Kappe zu nehmen.
Was dann folgte, aber nicht: Die Wohnungsgesellschaft stellte mir (erwartungsgemäß) eine Ersatzwohnung für die Zeit der Instandsetzung. Als bereits der Möbelwagen bestellt war, wurde mir ein komplett neuer Mietvertrag vorgelegt, den ich unterschreiben musste, was bedeutete, dass ich ein Depositum von 3 Monatsmieten zusätzlich beschaffen musste. Außerdem erfuhr ich beim Rückzug 2 Monate später, dass ich hätte kündigen müssen, was ich nicht getan hatte. Wer kommt bei einer Ersatzwohnung schon auf so einen Gedanken? Das Ende vom Lied war, dass ich einen Monat für 2 Wohnungen Miete bezahlen musste, und das bei den exorbitanten dänischen Preisen.
Beim zweiten Mal ist man schlauer
Rechtliche Auseinandersetzungen zogen sich hin, ohne dass ich damit Erfolg gehabt hätte. Kaum war ich soweit, innerlich mit diesem Ärgernis abzuschließen, gab es eine unerwartete Fortsetzung. Eines Abends saß ich friedlich auf meinem Sofa, als es plötzlich einen explosionsartigen Knall gab und von der Spüle her mit hohem Druck eine Wasserfontäne über Küchenzeile und Wohnzimmer spritzte. Verzweifelt suchte ich nach einem Abstellhahn (den es nicht gab, sondern nur eine kleine Schraube) und inzwischen wurde meine Wohnung erneut geflutet.
Mit Hilfe der Nachbarn kam nach einer Viertelstunde ein Notdienst, sehr schnell, aber für meine Wohnung zu spät. Dieses Malheur war auf einen Anschlussfehler der Handwerker zurückzuführen, der bei der Renovierung des vorangegangenen Wasserschadens entstanden war. Was mir jetzt bevorstehen würde, kannte ich nun schon. Dieses Mal war ich aber schlauer und habe bei der Schulsekretärin eine vorübergehende Unterkunft gefunden, sodass mir außer Stress und Ärger kein weiterer Schaden entstand.
Unterrichtsausfall durch Aussperrung
Es gibt noch eine dritte negative Erfahrung, die ich in diesem Fall mehr als Außenstehender staunend zur Kenntnis nahm. In den letzten Monaten meines Dänemarkaufenthalts kam es zur Auseinandersetzung zwischen Kommunen und Lehrergewerkschaft über die Arbeitszeit. Zum einen sollte die wöchentliche Arbeitszeit um mehrere Stunden nach oben aufgestockt werden; es sollte eine ganztägige Anwesenheitspflicht am Arbeitsplatz eingeführt werden und den Schulen sollte ein Stundenpool zugewiesen werden, über den die Schulleiter entscheiden sollten.
Letzteres bedeutete demnach, dass die jeweiligen Schulleiter über die Höhe der Unterrichtsstunden einer Lehrkraft befinden sollten, ohne dass allgemeingültige Richtlinien vorgesehen waren. Dieser Plan war für die Gewerkschaft inakzeptabel. Nun sollte man erwarten, dass in der Gewerkschaft über Arbeitskampfmaßnahmen diskutiert würde. Weit gefehlt – dazu kam es nämlich gar nicht.
Der Arbeitgeber griff sofort, ohne dass ein einziges Arbeitskampfmittel der Gewerkschaft eingesetzt worden wäre, zum äußersten Mittel: zur Aussperrung. Einen Monat lang waren in ganz Dänemark die Schulen weitgehend geschlossen (Beamte mussten weiter arbeiten, aber davon gibt es in Dänemark nicht viele) und die Kinder mussten anderweitig untergebracht werden. Eine Handvoll ADLKs in der St. Petriskole in Kopenhagen blieb übrig und wurde in einem Notprogramm eingesetzt.
So unterrichtete ich einen Tag lang eine einzige Klasse in Deutsch, damit die Kinder wenigstens einen Tag am Stück versorgt waren. Am nächsten Tag kam die nächste Klasse dran. Einzelne Kinder und Lehrer geisterten durch die leeren Gebäude, und das wochenlang. Man stelle sich vor, was in einer vergleichbaren Situation in Deutschland passieren würde. In Dänemark jedenfalls passierte nichts. Die Eltern ärgerten sich zwar, nahmen aber alles mit Gleichmut hin.
Nach einem Monat wurde die Aussperrung durch die Regierung beendet, indem der ursprüngliche Plan zu 100% per Gesetz aufoktroyiert wurde. Es gab noch nicht einmal die Spur eines Kompromisses. Alle Lehrer hatten ein ganzes Monatsgehalt verloren und mussten völlig frustriert die Arbeit wieder aufnehmen. Unter diesen Bedingungen fiel mir der Abschied nicht schwer.