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Der unmögliche Klassenkampf

In Uganda kämpft die Lehrkräftegewerkschaft UNATU seit Jahrzehnten für höhere Gehälter. Bildungsministerin ist seit 2016 die Präsidentengattin Janet Museveni. Ob das die Lage verbessert oder verschlimmert, ist noch offen.

Die Gewerkschaftschefs Filbert Baguma (links) und Philipp Duluga. Foto: Simone Schlindwein

„Unsere Schülerinnen und Schüler gehen durch die Schule, doch die Schule geht nicht durch sie“, fasst Phillip Duluga die Misere des Bildungssystems Ugandas in einem Satz zusammen. Der Generalsekretär der Lehrkräftegewerkschaft Uganda National Teachers' Union (UNATU) sitzt in seinem engen, vollgestopften Büro im ersten Stock des „Haus des Lehrers“ im Zentrum der Hauptstadt Kampala, neben ihm sein Stellvertreter Filbert Baguma. Die beiden brüten über dem Entwurf eines „Weißbuchs für nationale Bildung“, das sie der Regierung unterbreiten wollen. Hinter ihnen türmen sich auf überladenen Regalbrettern Aktenordner voller Konzeptpapiere: Vorschläge, wie das Schulsystem zu retten sei. Regelmäßig schickt die Gewerkschaft Empfehlungen an die Regierung – vergeblich.

Die UNATU ist mit knapp 140.000 Mitgliedern die älteste und größte Gewerkschaft in Uganda. Das kleine Land in Ostafrika ist ein typischer Agrarstaat: Die meisten Menschen sind Kleinbauern, die Wirtschaft ist nur wenig industrialisiert. Es gibt lediglich 31 Gewerkschaften, neben der Lehrkräfte- und Ärztegewerkschaft sind die meisten im Transportsektor aktiv. Der nationale Gewerkschaftsdachverband stellt vier Abgeordnete im Parlament, immerhin. Doch Einfluss auf die Politik auszuüben, sei schwierig, erklärt Generalsekretär Duluga. Das politische System sei durch und durch korrupt; das mache den Klassenkampf zum Ding der Unmöglichkeit.

Seit knapp zwei Jahrzehnten kämpfe die Lehrkräftegewerkschaft für höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen, um den Beruf wieder attraktiv zu machen, erzählt ihr Generalsekretär. Uganda war in Sachen Bildung einmal ein Musterland in Afrika. 1997 wurde mit Hilfe internationaler Gelder die kostenlose Grundschulbildung eingeführt, zehn Jahre später folgte die Sekundarbildung. Das war ein großer Schritt – das Land hat mit statistisch sechs Kindern pro Familie eine der höchsten Geburtenraten weltweit. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung beträgt 16 Jahre, sprich: Knapp Dreiviertel der rund 43 Millionen Uganderinnen und Ugander sind im schulpflichtigen Alter.

84 Prozent der Lehrkräfte in Uganda würden laut einer Mitgliederbefragung von 2016 gern ihren Job wechseln.

Für Millionen Kinder ging mit der kostenlosen Bildung ein Traum in Erfüllung. Ein Sturm auf die Klassenzimmer setzte ein: Binnen kurzer Zeit verdoppelte sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler auf über acht Millionen. Verliererinnen und Verlierer waren damals vor allem die Lehrkräfte: „Es gab nicht genügend Schulen, nicht genügend große Klassenzimmer und vor allem nicht genügend Lehrkräfte im Land“, erinnert Duluga sich. Die Regierung plante damals auf dem Papier pro Lehrkraft 53 Schülerinnen und Schüler je Klasse. In Wirklichkeit, sagt der UNATU-Vertreter, seien es laut einer Umfrage von 2011 120 gewesen – die gar nicht alle auf die vorhandenen Schulbänke passten. Viele Lehrkräfte unterrichteten jahrelang in Kirchen oder auf dem Hof, im Schatten eines Mangobaums.

Der Beruf sei unattraktiv, konstatiert Duluga. 84 Prozent würden laut einer Mitgliederbefragung von 2016 gern ihren Job wechseln. An staatlichen Grundschulen beträgt das Gehalt der Pädagoginnen und Pädagogen gerade einmal umgerechnet 100 Euro pro Monat – für den Unterricht in total überfüllten Klassenzimmern. „Das reicht hinten und vorn nicht“, klagt der Gewerkschaftschef, „und es führte bei vielen zur totalen Überbelastung.“ Die Folgen: Alkoholmissbrauch sowie Bestechungsfälle nahmen zu; gute Lehrkräfte heuerten lieber an besser zahlenden Privatschulen an. Wer an einer der staatlichen Schulen bleibt, sucht sich häufig einen zweiten Job, beispielsweise als Taxifahrer – und fehlt somit oft im Unterricht. So erkläre sich dann, fährt Duluga fort, warum Uganda eine der höchsten Fehlstundenzahl von Lehrkräften aufweist – weltweit.

Seit Jahrzehnten kämpft die UNATU nicht nur um Gehaltserhöhungen, sondern auch für weitere Zuwendungen, um den Beruf attraktiver zu machen: Zuschläge für die Anreise, wenn die Schule weit weg liegt, kostenlose Mittagessen, eine unentgeltliche Krankenversicherung, Rentenerhöhungen. Die Liste der Forderungen sei lang, erklärt Duluga. Doch die Politik sage immer wieder: Dafür ist das Geld nicht da.

„Letztlich hat unser Kampf dazu geführt, dass unsere Mitglieder zur Konkurrenz überliefen – und wir standen als Verlierer da.“ (Phillip Duluga)

Mit Streiks hat die UNATU schlechte Erfahrungen gemacht: 2011, kurz vor den Wahlen, begehrten die Lehrkräfte auf und gingen auf die Straße. Wochenlang fiel in allen staatlichen Schulen der Unterricht aus – einer der wenigen Streiks in Uganda. Im ganzen Land standen Examen an und drohten wegen des Streiks auszufallen. Präsident Yoweri Museveni, der das Land seit 1986 regiert, geriet unter Druck. Das Thema Bildung ist aufgrund der Geburtenrate ein heißes Eisen; Museveni fürchtete um Wählerstimmen. Er lud die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in seinen Palast ein und versprach ihnen damals ein Sonderpaket: Mehr als eine Million Euro im Jahr sollten für Lehrkräftegehälter zusätzlich ausgegeben werden – über einen Fonds. „Der Präsident hatte uns versprochen, dass UNATU diesen Fonds verwaltet“, erinnert sich Duluga. Das klang nach einem Sieg. 

Doch es kam ganz anders: Ausbezahlt wurde das Geld letztlich an das Bildungsministerium. Der damalige Staatssekretär Alex Kakooza, der das Geld dort verwaltete, gründete kurzerhand eine Kooperative beziehungsweise eine Mikrofinanzorganisation, genannt UTSCCU, Uganda Teachers Credit and Savings Cooperative Union – in Konkurrenz zur UNATU. Diese bekam letztlich die Hoheit über den Fonds. Ein typisches Manöver des 73-jährigen Präsidenten Museveni – schon immer spaltete und schwächte er politische Kräfte nach dem Prinzip „Teile und herrsche“. Duluga wirkt entmutigt: „Letztlich hat unser Kampf dazu geführt, dass unsere Mitglieder zur Konkurrenz überliefen – und wir standen als Verlierer da.“ Das sei Politik in Uganda.

Dem Präsidenten wiederum war die Misere im Bildungssektor nicht entgangen. Um Reformen durchzuziehen, machte er nach der vergangenen Wahl seine Ehefrau, Janet Museveni, zur Bildungsministerin. Duluga schmunzelt etwas über diese Ernennung. Die neue Bildungsministerin hat erst im Alter von 67 Jahren ihren Master nachgeholt, kurz bevor sie das Amt antrat. „Das war eine politische Entscheidung – der Präsident wollte damit Wählerstimmen holen“, sagt Duluga. Analysten vermuten hinter der Ernennung ein Kalkül: Sie soll das korrupte Bildungssystem aufräumen. Im Land gilt sie als die Mutter der Nation.

Die UNATU forderte eine Gehaltserhöhung von 100 Prozent, konnte sich gegenüber der Bildungsministerin und First Lady aber nicht durchsetzen.

Doch Duluga hält von der Präsidentengattin nicht viel, so scheint es. Direkt nach ihrem Amtsantritt 2016 lud sie UNATU-Vertreterinnen und -Vertreter zu Verhandlungen in ein Luxushotel ein. In ihrer Rede versprach sie den Lehrkräften Lohnerhöhungen von 50 Prozent, im Gegenzug zu stetiger Anwesenheitspflicht. Für Duluga klingt das wie „alter Wein in neuen Schläuchen“, wie er sagt. Die UNATU forderte eine Gehaltserhöhung von 100 Prozent, konnte sich gegenüber der Bildungsministerin und First Lady aber nicht durchsetzen.

Doch immerhin: Die Ministerin startete eine Inventur des Bildungssystems. Landesweit wurden Schulen, Schüler und Lehrkräfte gezählt, um den Bedarf an neuen Stellen und Stühlen im Klassenzimmer zu ermitteln. Museveni hat es auch geschafft, ihrem Gatten mehr Geld aus der Staatskasse zu entlocken: Im aktuellen Haushaltsjahr steht der Bildungssektor auf Platz drei der Staatsausgaben, nach Infrastrukturprojekten und der Entwicklung des Energie- und Ölsektors: umgerechnet rund 560 Millionen Euro, immerhin 17 Prozent der Staatsbudgets. Doch Ministerin Museveni zeigt sich unzufrieden. Weitere vier Millionen Euro würden fehlen, um die geplanten 4.700 Lehrerstellen zu finanzieren, erklärte sie.

Deswegen zermartern sich jetzt die Gewerkschafter im Haus des Lehrers in Kampala den Kopf. In dem „Weißbuch“ stünde die Gehaltserhöhung für Lehrkräfte an oberster Stelle, sagt Duluga. Denn: Man kann noch so viele Schulen bauen und noch so viele Kinder einschulen – ohne genügend motivierte Lehrkräfte sei Ugandas Schulsystem nicht zu retten.