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Gesunde Ernährung in Kita, Schule und Hochschule

„Der Anfang war schon hart“

Rund 500 Schulcaterer und 53 Schulmensen tragen ein Gütesiegel der Deutschen Gesellschaft für Ernährung – darunter auch eine Gesamtschule am Stadtrand von Braunschweig. In einem Punkt geht sie noch über die DGE-Standards hinaus.

„Es ist meistens sehr lecker“, sagt Kay (13). (Foto: Eckhard Stengel)

Vorkoster gab’s schon mal im alten Rom. Inzwischen sind sie wiederauferstanden: an der Sally-Perel-Gesamtschule in Braunschweig-Volkmarode. Allerdings heißen sie nicht mehr „Vorkoster“, sondern „Probierschüler“, und sie sollen auch nicht prüfen, ob das Essen vergiftet ist, sondern ob es mundet. Das Mensateam der Integrierten Gesamtschule (IGS) serviert nämlich möglichst gesunde Kost nach den DGE-Qualitätsstandards. Aber das Essen soll nicht nur gesund sein, sondern auch gut schmecken, damit die Gäste nicht zu viel Sehnsucht nach Pommes rot-weiß entwickeln, sondern immer wieder gerne in die Schulmensa gehen. Daher also die Probierschülerinnen und -schüler, die bundesweit einmalig sein dürften.

Gesund und schmackhaft – ist das nicht ein Widerspruch? Anscheinend nicht. Lara (12) und Kay (13) waren schon als Testpersonen im Einsatz. „Es gibt oft nur kleinere Sachen zu kritisieren“, erzählt Lara kurz vor der einstündigen Mittagspause. Kay bestätigt: „Es ist meistens sehr lecker.“ Gelegentlich allerdings ist ihm die Käsesoße etwas zu salzig. „Aber das hängt auch mit den Probierschülern zusammen: Manche mögen es gerne salzig.“ Je nach Geschmack der Vorkoster kann es also passieren, dass das gleiche Gericht mal so, mal so schmeckt. Denn die Küche befolgt die Anregungen der Testenden sofort – jedenfalls, wenn es nur um den Feinschliff geht: mehr Salz hier, etwas Schärfe abmildern dort.

Küchenchef Thomas Bötel bekocht seit vielen Jahren an der Sally-Perel-Gesamtschule in Braunschweig-Volkmarode täglich bis zu 700 Schülerinnen und Schüler. (Foto: Eckhard Stengel)

Mittwoch ist Veggieday

Zuständig fürs Abschmecken sind die 6. und 7. Klassen – und zwar dann, wenn sie für jeweils eine Woche mit dem Mensadienst an der Reihe sind, wenn sie also darauf achten, dass bei der Geschirr-Rückgabe alles ordentlich abläuft. Als „kleines Bonbon zum Mensadienst“, so formuliert es Schulleiter Christian Düwel (56), dürften jeweils zwei Kinder pro Tag das Vorkosten übernehmen. In der großen Pause, eine Schulstunde vor Öffnung der Essensausgabe, gehen sie in die Küche und lassen sich ihre Probeportionen servieren. Der Job ist beliebt, wie Kay bestätigt. „Es ist was Besonderes, wenn man vorkosten darf.“

Seit März darf das allerdings niemand mehr, wegen Corona. Das Mensateam, das bei insgesamt gut 1.000 Schülerinnen und Schülern normalerweise 600 bis 700 Essen pro Tag ausgibt (bei Schnitzel auch mal 750), kocht seitdem nur noch für die Fünft- bis Siebtklässler und ein paar Lehrkräfte, gerade mal 200 Portionen am Tag. Der lichtdurchflutete Mensaneubau von 2011 mit seinen teilweise bodentiefen Fenstern ist so spärlich besetzt, als würden hier Abiturarbeiten geschrieben.

In pandemiefreien Zeiten werden in der Ganztagsschule drei Gerichte angeboten: zwei Menüs inklusive Salat und Dessert sowie Teigwaren am „Nudelpoint“. Montags und dienstags ist eines der beiden Menüs ein Fleischgericht – etwa Cordon Bleu an Rahmsoße mit Erbsen und Kartoffelpüree. Der Mittwoch ist Veggieday (zum Beispiel mit überbackenen Maultaschen), donnerstags wird Fisch gereicht (gerne mal Seelachs mit Kartoffelsalat) und freitags gibt es mal dies, mal jenes für die kleine Zahl von Jugendlichen und Lehrkräften, die trotz Schulschluss um 13 Uhr noch kurz einkehren möchten. Zu trinken bekommt man Wasser oder ungesüßten Tee, aber garantiert keine Cola.

Wegen Corona wurde nicht nur das Vorkosten gestrichen, sondern auch eines der drei täglichen Gerichte. So kann es passieren, dass an einem Tag nur noch Nudeln mit Fleischsoße oder mit -Tomatensoße zur Auswahl stehen. „Mit Parmesan?“, fragt Küchenchef Thomas Bötel an der Essensausgabe. Auch ohne Vorkosten schmecken die Spaghetti Bolognese gut: die Nudeln al dente, die Soße würzig, aber nicht zu salzig.

„Es gibt oft nur kleinere Sachen zu kritisieren“, sagt Lara (12), die zu den sogenannten Probierschülern zählt, die das Mensaessen regelmäßig „vorkosten“. (Foto: Eckhard Stengel)

„Die Idee mit den Probierschülern kam von unserer Mensabetreiberin“, erzählt Direktor Düwel. „Das soll die Akzeptanz bei den Schülerinnen und Schülern erhöhen.“ Die Mensabetreiberin: Das ist die gemeinnützige Gesellschaft „Mehrwerk“, eine Tochter der Evangelischen Stiftung Neuerkerode aus der Nähe Braunschweigs. 2011 hat sie das Kochen in der IGS übernommen – als Nachfolgerin eines externen Caterers aus den Anfangsjahren der 2009 gegründeten Schule. „Das war eine richtige Win-Win-Situation“, bewertet Düwel den Einstieg der Neuerkeröder. „Die wollten gerne ihr Geschäft ausweiten und erstmals in einer Schule kochen. Und wir wollten möglichst frisch zubereitetes und gesundes Essen.“

„Wir haben hier eine Super-Küchenmannschaft“, findet Düwel. Ihm gefällt dabei auch, dass zum etwa 15-köpfigen Team fünf bis sechs Menschen mit Beeinträchtigung zählen. „Das passt gut zu unserem Konzept.“ Denn als die Neuerkeröder bei der Mensa einstiegen, begann die Schule gerade damit, Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen.

„Für mich war es zuerst ein Rätsel, wie man so viele Leute frisch bekochen kann. Aber es funktioniert.“ (Thomas Bötel)

Die neuen Betreiber setzten früh darauf, die Kriterien der DGE einzuhalten, zumindest für eines der beiden täglichen Menüs. Nach zwei Jahren war es soweit: 2013 erreichte die Mensa die erste Zertifikatstufe „Schule + Essen = Note 1“. „Die Standards sind recht hoch und ziemlich kompliziert“, erzählt Küchenleiter Bötel, kurz bevor um 14 Uhr die Jalousien der Essensausgabe heruntergehen. „Alle zwei Jahre wird die Zertifizierung wiederholt. Beim letzten Mal hatten wir 100 Prozent!“ Jetzt fehlt nur noch das höhere Premium-Zertifikat. „Für mich war es zuerst ein Rätsel, wie man so viele Leute frisch bekochen kann“, sagt der 52-Jährige. „Aber es funktioniert.“

Bunte Poster an der Mensawand zeigen, was zum Funktionieren beiträgt: „Unser Gemüse: regionaler Anbau“, steht dort. Oder: „Unsere Kräuter: frisch aus der Klostergärtnerei“. Die Stiftung Neuerkerode baut nämlich einige der in der Mensa verwendeten Zutaten selber an. Das macht es leichter, jeden Tag frisch zu kochen, mit hohem Anteil regionaler und saisonaler Produkte, teils sogar in Bioqualität.

Gewöhnungseffekte

„Der Anfang war schon hart“, erinnert sich der vollbärtige Koch mit Baseballmütze. Ein Kind, das offenbar nur Fastfood kannte, soll mal gefragt haben: „Was ist denn das Gelbe?“ Es waren Salzkartoffeln. Aber nach und nach, so Bötels Erfahrung, gewöhnen sich die meisten an das gesündere Essen. „Wenn es immer wieder auf dem Speiseplan steht, probieren sie es doch mal. Steter Tropfen höhlt den Stein.“ Auch Lara und Kay bestätigen: Vielen sei durchaus klar, wie wichtig gesunde Mahlzeiten seien.

Es kann ja auch langweilig werden, immer nur dieselben ungesunden Leibgerichte zu essen. Einige Familien haben es mal ausprobiert: Vor dem Einstieg der Neuerkeröder durften ihre Kinder zwei Wochen lang den häuslichen Speiseplan bestimmen. Am Ende, so erzählt Düwel, hatten sie doch nicht mehr jeden Tag Lust auf Pommes, Pizza und Pasta.

Als bundesweites Vorbild für die Einführung gesünderer Mensagerichte ohne Billigfleisch sieht sich Bremen. Schon seit 2010 werden neue Schulmensa-Konzessionen nur noch an Betreiber vergeben, die die Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung einhalten. 2018 wurden diese Kriterien für alle Kita- und Schulmensen verbindlich. Außerdem beschloss der damalige rot-grüne Senat, dass die kommunalen Kitas und Schulen bis Ende 2022 ihr komplettes Essensangebot schrittweise auf Bioprodukte (möglichst aus der Region) umstellen müssen. Mit diesem „Aktionsplan“ wollte die Koalition ein Zeichen für gesündere Ernährung und gegen Massentierhaltung setzen. Vorangegangen war ein Bürgerantrag „gegen Billigfleisch in der öffentlichen Gemeinschaftsverpflegung“, den bereits 2016 mehr als 5.000 Menschen unterschrieben hatten.

Mitte 2020, ungefähr zur Halbzeit des Umstellungsprozesses, berichtete der mittlerweile rot-grün-rote Senat, dass es beim Stand der Umstellung eine große Streubreite zwischen den einzelnen Einrichtungen gebe. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Jan Saffe sagte dem „Weser-Kurier“, es gebe zwar durchaus erfreuliche Entwicklungen, aber insgesamt sei es „erschütternd, wie wenig weit man noch ist“.       

Moderate Preise

„Pommes gibt es bei uns gar nicht“, berichtet Bötel. „Dafür aber Kartoffel-ecken aus frischen Kartoffeln.“ An Hamburgern „kommt man allerdings nicht vorbei“, findet er. „Ein bisschen muss man sich auch anpassen.“ Aber wenn schon Hamburger, dann mit frischem Salat. Und wenn schon Currywurst, dann möglichst in Bioqualität. Bötel bleibt allerdings Realist: „Es gibt auch Kinder, die wollen kein Gemüse, keinen Salat. Die meisten bekehren wir, aber nicht alle.“ Rückmeldungen bekommt er auch durch ein Computerterminal, an dem die Mensagäste nach dem Essen ihr Urteil abgeben können. Etwaige Kritik nimmt Bötel nicht persönlich: „Jeder Mensch schmeckt anders. Es schmeckt nie allen.“

Dass gesünderes Essen nicht übermäßig teuer sein muss, zeigt die Entwicklung der Mensapreise: Beim Einstieg der Neuerkeröder 2011 mussten die Gäste 3,30 Euro pro Gericht zahlen. Heute sind es 3,55 Euro. Laut Düwel hängen die moderaten Preise auch damit zusammen, dass für die Menschen mit Handicaps im Küchendienst Zuschüsse fließen, ebenso wie für eine Person mit Beeinträchtigungen, die vom Mensaverein eingestellt wurde. Diesen haben Eltern gegründet, um die Aufsicht in der Mensa und die Buchhaltung zu übernehmen. Bei säumigen Zahlern kann er notfalls auch Mahnverfahren in Gang setzen, was die Schule selbst nicht so unbürokratisch erledigen könnte.

„Es ist lecker, und man wird nicht dick davon.“

Früher sollen sich einzelne Eltern schon mal beschwert haben, weil ihre Kinder nicht mehr zu Hause essen wollten: In der Schule schmecke es viel besser. Kommen nicht auch Eltern selber auf den Geschmack, nach dem Vorbild der Schule gesünder zu kochen? Düwel macht sich da keine Illusionen. „Wir hoffen, dass es mindestens bei den Schülerinnen und Schülern ankommt. Für die Eltern sind wir nicht zuständig. Versuche, Erwachsene zu erziehen, sind meist zum Scheitern verurteilt.“ Auch Düwel geht jeden Tag zum Essen in die Mensa. „Es ist lecker, und man wird nicht dick davon.“

Christian Düwel, Rektor der Braunschweiger Sally-Perel-Gesamtschule, weiß, dass es schwer sein kann, Schülerinnen und Schüler vom Fastfood zu entwöhnen. (Foto: Eckhard Stengel)