Zum Inhalt springen

Demokratischer Wandel vor Freihandel

Kolumbianische Gewerkschafter kritisierten bei einem Besuch in Berlin die Verletzung von Menschen- und Gewerkschaftsrechten in ihrem Land und sprachen sich gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kolumbien aus.

Fotos: Kerstin Röske/Kerstin Kamischke

„Demokratischer Wandel vor freiem Handel“ – Unter diesem Motto fand am 30.11.2011 in Berlin eine Veranstaltung des DGB Bildungswerks in Kooperation mit IG Metall, IG BAU, Ver.di und GEW statt, an der etwa vierzig Personen teilnahmen. Sie war Auftakt einer gewerkschaftlichen Kampagne gegen die Ratifizierung des Freihandelsabkommens der Europäischen Union mit Kolumbien. Während eines viertägigen Besuchsprogramms in Berlin suchte die kolumbianische Gewerkschaftsdelegation, bestehend aus zwei Frauen und sechs Männern verschiedener Gewerkschaften und Dachverbände, darunter auch Carlos Arturo Ramírez Duarte von der Lehrergewerkschaft FECODE, den Austausch mit deutschen Politikern und Gewerkschaftern und berichtete über die aktuelle Lage in ihrem Land und die Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens. Deutsche Gewerkschaftsvertreter, vor allem aber die kolumbianischen Kolleginnen und Kollegen, die sich seit vielen Jahren für die Einhaltung von Arbeitsrechten unter außerordentlich riskanten Bedingungen einsetzen, sprachen sich während der Podiumsdiskussion in der Ver.di Zentrale geschlossen gegen dieses Abkommen aus. Eingeleitet wurde die Veranstaltung durch Isolde Kunkel-Weber vom Ver.di Vorstand, die die fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien verurteilte und dazu aufrief, im gemeinsamen Diskurs voneinander zu lernen, um effizientere Lösungen für die Probleme der Arbeiter und Gewerkschafter zu finden. Peter Senft vom Europäischen Metallgewerkschaftsbund in Brüssel wies auf die Vernachlässigung der sozialen Dimension im Text des Freihandelsabkommens hin. Er forderte, dass vor Inkrafttreten internationaler Handelsabkommen darauf geachtet werden müsse, dass bestimmte Mindeststandards wie die ILO-Kernarbeitsnormen von den Vertragspartnern eingehalten werden. Von einer Zusammenarbeit mit Gewerkschaftern und NGOs könnten hier alle Beteiligten profitieren.

Die kolumbianischen Vertreter beklagten in der zweistündigen Veranstaltung vor allem die Gewalttaten gegenüber Gewerkschaftern. Palmides Pérez, Vorsitzender der Gewerkschaft SINTRAPIZANO, deren Mitglieder in der Holzverarbeitung beschäftigt sind, kritisierte, dass Gewalttaten oft nicht aufgeklärt und strafrechtlich verfolgt werden. Hinter den bewaffneten Übergriffen ständen meist paramilitärische Gruppierungen, denen auch Beziehungen in Regierungskreise nachgesagt werden. Kolumbien ist noch immer das gefährlichste Land weltweit für Gewerkschafter und die Lage hat sich trotz eines neuen Präsidenten nach wie vor nicht verbessert. Zwar tritt die Regierung in der Öffentlichkeit moderater auf und hat eine Reihe von Reformen angekündigt. Dennoch werden aktive Gewerkschafter weiterhin bedroht, entführt, vertrieben und ermordet, so José Luciano Sanin von der Nationalen Gewerkschaftsschule (ENS) in Medellin. Besonders im Fadenkreuz stehen gewerkschaftlich aktive Lehrerinnen und Lehrer, berichtet Carlos Arturo Ramírez Duarte.

Die Lehrergewerkschaft FECODE wird öffentlich als Feind stigmatisiert und hat zahlreiche Opfer unter ihren Mitgliedern zu beklagen. Die Umsetzung einer effektiven Strafverfolgung sei daher ein großes Anliegen, um die Einhaltung der Menschen- und Gewerkschaftsrechte zu gewährleisten. An dem bevorstehenden Freihandelsabkommen wurde vor allem kritisiert, dass keine Sanktionsmechanismen bezüglich menschen- und arbeitsrechtlicher Aspekte verankert sind, obwohl die Situation der Menschenrechte in Kolumbien bei Unterzeichnung des Abkommens bekannt war. Daraus schließt Carlos Julio, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes CUT in der Provinz Antioquia, dass es sich vor allem um ein Abkommen zu Gunsten europäischer Wirtschaftsinteressen handle, das soziale Aspekte in den Hintergrund stellt. Diese seien aber besonders wichtig, um den demokratischen Wandel voranzubringen und zu institutionalisieren und Kolumbien nachhaltig wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen.

Carlos Castañeda Ravelo, Vositzender der ‚Nationalen Gewerkschaft der Beschäftigten im öffentlichen Dienst’ (Sindicato Nacional de Servidores Públicos del Estado), fügte hinzu, dass Schutzklauseln bezüglich Patenten auf Pflanzen und Tiere oder zur Entwicklung von Kleinbauern und lokaler Landwirtschaft in dem Abkommen vernachlässigt würden. Hier seien auch die ungleichen Ausgangsbedingungen der beiden Vertragspartner zu berücksichtigen. Das Freihandelsabkommen, so wie es jetzt vorliegt, fördere die Armut und somit eine fortwährende Destabilisierung der Lage in Kolumbien. Die kolumbianischen Gewerkschafter betonten die Wichtigkeit einer inklusiven Politik, bei der nicht nur Regierungsvertreter, sondern auch Vertreter der Gewerkschaften und NROs bei Verhandlungen mit einbezogen werden sollten. Maria Baquero, Vorsitzende der ‚Gewerkschaft der zivilen Beschäftigen in den kolumbianischen Sicherheitskräften’ (ASODEFENSA) und auch Nohora Tovar von der Metallgewerkschaftsföderation (FETRAMECOL) wiesen darauf hin, wie wichtig internationale Zusammenarbeit, solidarisches Handeln, aber eben auch der internationale Druck auf die kolumbianische Regierung für den demokratischen Wandel in ihrem Land sei. Trotz der anhaltenden kritischen Lage in Kolumbien waren alle Beteiligten optimistisch, dass dieser Wandel gemeinsam vorangetrieben werden kann, aber eben nicht durch das Freihandelsabkommen, so wie es im nächsten Jahr dem Europäischen Parlament zur Abstimmung vorliegen wird. Abschließend appellierte der Moderator der Veranstaltung, Manfred Brinkmann (GEW), an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die Kampagne der DGB-Gewerkschaften gegen das Freihandelsabkommen zu unterstützen und in den kommenden Monaten vor der Entscheidung im Europäischen Parlament Einfluss auf die Abgeordneten auszuüben, damit diese das Abkommen verhindern.