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Onlineplattform „aula“

„Demokratie muss gelernt werden“

Die Onlineplattform „aula“ soll seit 2016 helfen, die Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Bislang fällt die Bilanz gemischt aus. Ein Besuch in Hamburg Ende März.

Katharina vom Administratorenteam der Stadtteilschule am Hafen in Hamburg. Foto: Babette Brandenburg

Worüber die Schülerinnen und Schüler abstimmen könnten? Katharina, 18 Jahre, denkt an die Abi-Fete im kommenden Jahr. Offen sei, „wo wir feiern“. Nikola, ebenfalls 18, hat eine andere Idee: „Ich würde über den Unterricht von einigen Lehrern diskutieren.“ Er wünscht sich, dass sich der Spanischunterricht mehr auf das Sprechen bezieht, „weniger auf Grammatik“.

Katharina und Nikola besuchen die Stadtteilschule am Hafen in Hamburg-St. Pauli. Sie gehören zum Administratorenteam, das sich um die Verwaltung der Onlineplattform „aula“ kümmert. Das kostenlose Angebot soll helfen, die Schülermitbestimmung zu verbessern. Wer sich einloggt, kann Ideen zur Verbesserung der Schule formulieren. Anschließend stimmen die Schülerinnen und Schüler online über die Vorschläge ab. Der Clou: Wenn eine Idee mindestens 51 Prozent Zustimmung erhalten habe, „dann muss sich die Schulleitung damit befassen“. Anschließend setze man zumindest einige Vorschläge um, erklärt Daniel Kopka, 39, Lehrer für Politik-Gesellschaft-Wirtschaft an der Stadtteilschule.

„Man behält seine Privatsphäre, obwohl man sich in der Schule beteiligt.“ (Nikola)

Zweite Etage, EDV-Raum. Angeleitet von Kopka versuchen die Administratoren, Schülerlisten hochzuladen, Passwortübersichten auszudrucken, Probe-Vorschläge in die „aula“-Maske einzugeben. Jetzt läuft die aktuelle Version. Dann lässt sich die Mitbestimmungsplattform auch per Smartphone aufrufen. Ideen posten, diskutieren, abstimmen – all das geht dann auch mobil.

„aula“ ist ein Projekt des Berliner Vereins politik-digital e. V., die Bundeszentrale für politische Bildung förderte die Entwicklung. Mädchen und Jungen ab 11 Jahren sollten damit lernen, „Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und Kompromisse zu schließen“. So formuliert es Marina Weisband, ehemals politische Geschäftsführerin der Piratenpartei, jetzt Projektleiterin bei politik-digital.

Schulforscher wie Professor Peter Fauser von der Uni Jena, heute im Ruhestand, fordern: Zur politischen Bildung gehört, dass Schülerinnen und Schüler erleben, wie sich Demokratie anfühlt, wie anstrengend Diskussionen sind, wie schmerzhaft Kompromisse sein können. „Wir halten ‚aula‘ für einen sehr guten Ansatz, um die Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern in der ganzen Schule zu implementieren“, lobt Christian Welniak, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik. Die jungen Leute hätten die Möglichkeit, „ihr Anliegen zu formulieren und in einen strukturierten Prozess einzubringen“.

Und was sagt das Hamburger Administratorenteam? „aula“ sorge dafür, „dass wir schneller zum Ergebnis kommen“, findet Dilara, 18. Nikola gefällt, dass die Teilnehmenden anonym abstimmen. „Man behält seine Privatsphäre, obwohl man sich in der Schule beteiligt.“ Ayse, 17, sieht das ähnlich. Sie habe bei Schülerversammlungen die Erfahrung gemacht, „dass sich manche nicht trauen, was zu sagen“.

„Junge Menschen beteiligen sich nicht automatisch, wenn man ihnen ein großes und ernstes Angebot zur Partizipation macht. Demokratie muss gelernt werden.“ (Dejan Mihajlovic) 

Die zweijährige Pilotphase von „aula“, per PC und Laptop, begann 2016. Bundesweit nahmen vier Schulen teil, darunter die Pestalozzi-Realschule in Freiburg/Breisgau. Dort habe es im ersten Jahr lediglich ein Vorschlag geschafft, alle Phasen zu durchlaufen und umgesetzt zu werden. Das berichtet Dejan Mihajlovic, der an der Pestalozzi-Realschule Chemie, Ethik und Geschichte unterrichtet. „Junge Menschen beteiligen sich nicht automatisch, wenn man ihnen ein großes und ernstes Angebot zur Partizipation macht“, erklärt der Pädagoge, der auch als Fachberater für Schulentwicklung und Blogger tätig ist. „Demokratie muss gelernt werden.“ Im zweiten Jahr lief es besser. Zwei Ideen wurden umgesetzt: Monatlich gibt es an der Schule nun einen Tag, an dem in allen Fächern das Smartphone genutzt wird. Außerdem hat die Schule einen Snack-Automaten aufstellen lassen, finanziert über Spenden.

Auch die Stadtteilschule am Hafen beteiligte sich am ersten Durchlauf von „aula“. Mit gemischtem Erfolg, wie Schulleiterin Bianca Thies erklärt. Für viele der Schülerinnen und Schüler gelte: „Eigene Interessen zu formulieren, politisch aktiv zu werden, das lebt mir zu Hause niemand vor.“ Dies liege auch daran, dass etliche Eltern keinen deutschen Pass besitzen und nicht wählen dürfen. Die Schulleiterin weiter: Digitale Tools wie „aula“ „machen Abläufe schneller“. Diese müssten allerdings schon vorhanden sein. „Daran fehlt es an unserer Schule.“ Und: „Bei uns funktionieren Versammlungen besser.“ Etwa der Schülerrat, der alle vier bis sechs Wochen zusammenkommt.

Thies berichtet: Die Motivation sei erst gewachsen, als die Schülerinnen und Schüler erfuhren, dass sie mit „aula“ über einen Etat bestimmen können. 2.000 Euro, finanziert von Sponsoren und vom Schulförderverein. Dann seien „erste Ideen entwickelt worden“. Unter anderem wurden ein Fußballturnier ausgerichtet und ein Wasserspender angeschafft. Dieser steht nun im Erdgeschoss, vor der schuleigenen Cafeteria. Für Dilara eine echte Verbesserung. „Der Wasserspender ist sehr nützlich“, sagt die 18-Jährige. „Er sorgt dafür, dass ich mehr trinke.“

Auch mit der aktuellen Version der „aula“-App gebe es immer noch „kleinere Ausfälle“, Stichwort Serverprobleme, berichtet Lehrer Kopka. Doch seien „mannigfaltige Vorschläge“ formuliert worden. Eine Klasse wünsche sich ein Patensystem, „um einen besseren Einstieg in die Oberstufe zu bekommen“. Es gebe auch die Idee, einen Raum für die Schul- und Klassensprecher einzurichten. Die Resonanz sei „sehr gut“, fasst Kopka zusammen. „Die App scheint der Schlüssel zu sein.“