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„Das werden wir nicht vergessen“

Wochenlang waren die Schulen in Dänemark im April geschlossen. Fast 70.000 Lehrerinnen und Lehrer und 800.000 Kinder blieben vom Unterricht ausgesperrt. Beim Kongress der dänischen Lehrergewerkschaft DLF vom 9. – 12. September in Kopenhagen wurde über die Folgen diskutiert.

Fotos: Manfred Brinkmann

Die Freude am Singen ist ihnen nicht vergangen. Rund dreihundert Lehrerinnen und Lehrer, Delegierte der dänischen Lehrergewerkschaft Dansk Lærerforening (DLF), erhoben sich zum Auftakt ihres jährlich stattfindenden Kongresses von den Plätzen, um gemeinsam das Lied ihrer Gewerkschaft anzustimmen. Ansonsten war die Stimmung im Kopenhagener Radison Hotel, dem Tagungsort des DLF-Kongresses, eher verhalten. Grund dafür war der erbitterte Arbeitskampf um Lehrerarbeitszeiten, der ganz Dänemark im Frühling dieses Jahres über Wochen in Atem gehalten hatte. „Wir hätten nie gedacht, dass so etwas in unserem Land passieren könnte. Das widerspricht völlig unserer nordischen Tradition des Dialogs, wo Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsamen nach Lösungen suchen“, so DLF Präsident Anders Bondo Christensen zu den Delegierten in seinem Rechenschaftsbericht.

Lehrkräfte müssen länger arbeiten

Unmittelbar im Anschluss an die Osterferien hatten die kommunalen Arbeitgeber in Dänemark im April 69.000 Lehrkräfte an öffentlichen Schulen einen Monat lang ausgesperrt, um sie zu längeren und flexibleren Arbeitszeiten zu zwingen. Rund 800.000 Schulkinder in Dänemark konnten in dieser Zeit keinen Unterricht besuchen. Auch Schulen der deutschsprachigen Minderheit im dänischen Nordschleswig waren betroffen. Während des Arbeitskampfes hatte die DLF mit der Losung ‚Wir wollen unterrichten‘ vor den Schulen und auf Demonstrationen in den Städten gegen die Aussperrung protestiert. Beendet wurde der Arbeitskampf, nachdem die dänische Regierung schließlich im Hauruck-Verfahren im Parlament ein Gesetz über eine Schulreform verabschieden ließ, das die Einführung von Ganztagsschulen sowie längere Arbeitszeiten vorsieht.

Ab dem Schuljahr 2014 müssen Lehrerinnen und Lehrer in Dänemark nun zwei Stunden mehr arbeiten. Zudem bestimmt künftig der Schulleiter darüber, wie viel Zeit die Lehrkräfte für Unterricht, Vor- und Nachbereitung und andere Tätigkeiten aufwenden dürfen. Vieles im neuen Gesetz bleibt unklar. Probleme bei der Umsetzung sind absehbar. Christensen kritisierte das Vorgehen der Politik scharf: „Regierung und kommunale Arbeitgeber haben sich abgesprochen auf unsere Kosten. Sie wollen kostenneutral Ganztagsschulen einrichten, indem sie den Lehrern längere Arbeitszeiten aufzwingen. Das kann nicht funktionieren. Diese Reform ist ohne die Lehrkräfte gemacht und zum Scheitern verurteilt.“

Gewerkschaft fühlt sich hintergangen

Der Arbeitskampf im Frühjahr hat die Beziehungen der dänischen Gewerkschaften zur Politik grundlegend verändert. Dies blieb auch den rund zwanzig internationalen Gästen nicht verborgen, die aus Schweden, Finnland, Norwegen, Island, Grönland, Kenia, Ruanda, Polen, den Niederlanden Slowenien, Bulgarien und Deutschland zum DLF Kongress angereist waren. Für die GEW waren der Berliner Vorsitzende Hartmut Schurig und der Referent für Internationales, Manfred Brinkmann der Einladung der dänischen Schwestergewerkschaft nach Kopenhagen gefolgt. Zwar konnten die dänische Bildungsministerin Christine Antorini und der Vertreter der kommunalen Arbeitgeber, Erik Nielsen, ohne gestört zu werden zu den Kongressteilnehmern reden. Doch die Distanz der Delegierten und DLF-Vorstandsmitglieder zu den Politikern war deutlich spürbar. Besonders von der sozialdemokratisch geführten dänischen Regierung fühlen sich viele Lehrergewerkschafter hintergangen. „Dies war ein Angriff auf unsere Demokratie. Das werden wir nicht vergessen“, so DLF Präsident Christensen mit Blick auf die bald stattfindenden Kommunalwahlen in Dänemark.

Mitglieder hinzugewonnen

Obwohl die Aussperrung für die DLF mit einer Niederlage endete und es nun keinen Tarifvertrag zur Lehrerarbeitszeit in Dänemark mehr gibt, fühlt die Gewerkschaft sich nicht geschwächt. Im Gegenteil: „Das Engagement unserer Mitglieder während der Aussperrung war enorm. Wir haben auch viel Zuspruch aus der Bevölkerung erhalten“, berichtete DLF Vizepräsidentin Dorte Lange.Die DLF hat sogar Mitglieder dazugewonnen. Rund 97 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer der Volksschulen sind Mitglied der Gewerkschaft. Solidarität mit den dänischen Lehrkräften bekundete auch der Generalsekretär der Bildungsinternationale, Fred van Leeuwen. Die Bildungsinternationale (BI) vertritt weltweit etwa 400 Bildungsgewerkschaften mit annähernd dreißig Millionen Mitgliedern, darunter auch die GEW. In seiner Rede kritisierte er die Sparpolitik in Europa, die zur Entprofessionalisierung des Lehrerberufs und zu irreparablen Schäden an den Schulsystemen führe. „Anstatt Bildungsausgaben zu kürzen, sollten Politiker sich lieber darum kümmern, die Einnahmen der öffentlichen Haushalte zu verbessern“, forderte van Leeuwen unter dem Beifall der Delegierten.