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Bildungsfinanzierung

Das Ungleichgewicht nimmt zu

Eltern, die ihre Kinder auf private Schulen schicken, tun das nicht nur der alternativen pädagogischen Konzepte wegen. Grund ist auch die schlechte finanzielle Lage der öffentlichen Einrichtungen.

Die unzureichende Finanzierung des öffentlichen Bildungswesens hat den privaten Einrichtungen einen stetigen Zulauf beschert. (Foto: picture alliance/SZ Photo/Wolfgang Filser)

Das Angebot klingt vielversprechend: Förderung individueller Stärken, musikalische Erziehung, viel Sport, Motivation für grenzenloses Denken und mehr verspricht Rahn Education auf seiner Webseite. Der Anbieter von Bildungsdienstleistungen betreibt an neun Standorten in Ostdeutschland unter anderem Kitas, Grundschulen, Sekundarschulen, Gymnasien sowie Berufsbildungszentren. Er steht stellvertretend für eine Entwicklung, die sich seit rund 30 Jahren vollzieht.

Ostdeutsche Länder Spitzenreiter

Vergangenes Schuljahr zählte das Statistische Bundesamt (Destatis) unter den 40.866 allgemeinbildenden und beruflichen Schulen 14 Prozent private Einrichtungen, ein Anstieg um 81 Prozent seit 1992. Die Bildungsstätten hinter diesen Zahlen befinden sich zu einem guten Teil in Ostdeutschland. Zu DDR-Zeiten gab es bis auf wenige Ausnahmen keine privaten Lehranstalten. Heute sind die ostdeutschen Länder Spitzenreiter. In Mecklenburg-Vorpommern ist knapp jede fünfte allgemeinbildende Schule in privater Hand, in Sachsen knapp die Hälfte der Berufszentren.

Die sogenannten Ersatzschulen werden getragen von konfessionellen, gemeinnützigen oder gewerblichen Organisationen und vergeben Abschlüsse, die der Staat anerkennt. Dafür beteiligt sich dieser an den Kosten – je nach Bundesland mit 45 bis knapp 100 Prozent dessen, was eine Schülerin oder ein Schüler im öffentlichen Schulsystem kostet.

2.000 Euro Schulgeld

Die Finanzierungslücke, die dem Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) zufolge im Jahr 2016 durchschnittlich 2.300 Euro pro Kind betrug, stopfen die Privaten mit eigenen Mitteln und Spenden. Hinzu kommt in der Regel ein Schulgeld, das laut Destatis im gleichen Jahr bei durchschnittlich 2.000 Euro lag. Zwar müssen sich die Schulen an das Sonderungsverbot halten, also die Beiträge so bemessen, dass alle sich diese leisten können. Konkrete Vorgaben gibt es jedoch keine. Deshalb unterscheiden sich die Schulgelder mitunter deutlich.

Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hält Privatschulen bis auf wenige Ausnahmen für „auskömmlich finanziert“. Bei den öffentlichen Einrichtungen mangelt es derweil an Investitionen in Höhe von 43 Milliarden Euro, wie das Deutsche Institut für Urbanistik ermittelt hat. Die öffentlichen Ausgaben für Bildung liegen seit Jahren bei etwas mehr als 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist weniger als die Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Durchschnitt für den Bildungsbereich aufwenden.

„Eltern, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, suchen in erster Linie eine pädagogische Alternative zum klassischen Schulbetrieb.“ (Prof. Heiner Barz)

Prof. Tim Engartner, Direktor der Frankfurter Akademie für Bildungsforschung und Lehrerbildung, sieht in der „Sparpolitik der öffentlichen Hand“ den Hauptgrund für den stetigen Zulauf bei Privatschulen. 1992 lag der Anteil der Privatschülerinnen und -schüler bei knapp 5 Prozent. Heute besucht jeder elfte der rund elf Millionen Schülerinnen und Schüler eine allgemeinbildende Schule in freier Trägerschaft, die oft dort entstanden sind, wo öffentliche Einrichtungen wegen der schrumpfenden Zahl an Schülerinnen und Schülern geschlossen wurden.

Für Bildungsforscher Prof. Heiner Barz von der Uni Düsseldorf hat die Attraktivität von Waldorf-, Montessori- oder kirchlichen Einrichtungen auch mit „einer Frustration der Eltern über das staatliche Schulsystem“ zu tun. „Eltern, die ihre Kinder auf eine Privatschule schicken, suchen in erster Linie eine pädagogische Alternative zum klassischen Schulbetrieb“, sagt Barz. Ihre Hoffnung: Moderne Bildungskonzepte, kleinere Klassen und eine stärkere Betreuung sorgen für bessere Leistungen der Sprösslinge. Untersuchungen zeigen jedoch, dass sich nicht nur die Klassengrößen kaum unterscheiden, auch die Lernerfolge sind bei Kindern und Jugendlichen in öffentlichen und privaten Schulen relativ homogen, wenn man den familiären Hintergrund herausrechnet.

Soziale Segregation

Dass dennoch viele Eltern mit ihren Kindern ins private System flüchten, verschärft laut der GEW die soziale Spaltung im Land. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat das auf Grundlage von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) untermauert. Die jährlich durchgeführte repräsentative Befragung erfasst unter anderem den Schulträger für alle im befragten Haushalt lebenden Kinder, die jünger als 17 Jahre sind. Demnach kommen Privatschülerinnen und -schüler häufiger aus bildungsnäheren und wohlhabenderen Elternhäusern als Kinder an öffentlichen Schulen und haben seltener einen Migrationshintergrund. Fazit der Forscher: „Die soziale Segregation zwischen den privaten und öffentlichen Schulen wird immer größer.“

Beim VDP sieht man das anders: „Die pädagogischen Konzepte von Privatschulen richten sich an alle Schülerinnen und Schüler – egal welcher sozialen Herkunft“, heißt es dort. Um das zu belegen, hat der Verband über das DIW ebenfalls Zahlen des SOEP analysieren lassen und kommt zu dem Ergebnis, dass sich Haushalte mit Kindern auf Privatschulen „im arithmetischen Mittel beim monatlichen Nettoeinkommen kaum von Haushalten mit Kindern an öffentlichen Schulen“ unterscheiden.

„Es gibt diese soziale Selektion“, sagt dagegen Barz. „Doch das kann man nicht nur den Privatschulen anlasten.“ Auch das öffentliche Schulsystem sei massiv selektiv. „In Stadtteilen mit einer reichen Bevölkerung geht der Großteil der Kinder nach der Grundschule aufs Gymnasium. In Stadtteilen mit vielen Arbeitslosen oder Migranten ist diese Quote deutlich geringer.“ Barz verweist auf Privatschulen wie die Interkulturelle Waldorfschule in Mannheim oder die Quinoa-Schule in Berlin, die bewusst versuchen, Kindern in sozialen Brennpunkten bessere Aufstiegschancen zu geben.

„Wenn wir uns als ,Bildungsrepublik‘ begreifen, dann muss Nachhilfe in den Schulen passieren und nicht in die Hände von Schülern, Eltern oder privaten Anbietern gelegt werden.“ (Prof. Tim Engartner)

Bessere Chancen für ihre Kinder versprechen sich Eltern nicht nur durch Privatschulen. Immer öfter nehmen Schüler auch Nachhilfe. Für Engartner ein weiteres Zeichen der Versäumnisse des öffentlichen Systems: „Wenn wir uns als ,Bildungsrepublik‘ begreifen, dann muss Nachhilfe in den Schulen passieren und nicht in die Hände von Schülern, Eltern oder privaten Anbietern gelegt werden.“ Die Realität ist eine andere: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung werden in Deutschland jährlich 879 Millionen Euro in private Nachhilfe investiert.

Die außerschulische Förderung soll nicht nur verhindern, dass der Nachwuchs in der Schule scheitert; häufig wird zusätzlich gebüffelt, um die Chance zu verbessern, auf weiterführende Schulen oder an eine gute Uni zu kommen. Fast jeder fünfte Gymnasiast nimmt laut Bertelsmann Nachhilfe. Auch Schülerinnen und Schüler aus Haushalten mit unterdurchschnittlichem Einkommen legen inzwischen verstärkt Extraschichten ein, doch ihr Anteil ist deutlich geringer als in anderen Familien.

„Im Bereich der öffentlichen Bildung ist es nachweislich so, dass mehr Geld zu besseren Ergebnissen führt.“

Bildungsexperten halten das für problematisch. Studien legen nahe, dass Schülerinnen und Schüler durch Nachhilfe ihre Leistungen verbessern können. „Ohnehin vorhandene sozioökonomische Bildungsungleichheiten können sich verstärken, wenn insbesondere sozioökonomisch besser gestellte Kinder diese Angebote nutzen“, warnt das DIW. Anders gesagt: Wenn Kinder die Versetzung schaffen, deren Eltern sich private Nachhilfe leisten können, und diejenigen sitzen bleiben, bei denen das Geld fehlt, ist das eine Ungleichbehandlung.

Engartner zufolge gibt es für die Versäumnisse der öffentlichen Schulen eine Lösung: „Im Bereich der öffentlichen Bildung ist es nachweislich so, dass mehr Geld zu besseren Ergebnissen führt.“ Das schließe jedoch nicht aus, dass man sich auch Gedanken über die Konzeption des öffentlichen Schulsystems machen müsse. Ein Blick auf die Privaten, deren pädagogische Konzepte in der Vergangenheit das Bildungssystem bereichert haben, könne da nicht schaden.