Zum Inhalt springen

Berufliche Hochschule Hamburg (BHH)

Das Beste aus allen Welten

An der neuen Beruflichen Hochschule Hamburg (BHH) lassen sich erstmals Berufsausbildung und Bachelorstudium gleichzeitig absolvieren: ein Novum in Deutschland.

Die neugegründete Berufliche Hochschule in Hamburg soll im Wintersemester 2021/22 ihren Betrieb aufnehmen. (Grafik: zplusz)

Studium oder Lehre? Viele Jugendliche tun sich schwer mit der Entscheidung, was für sie das Richtige ist. Trotz Beratungsangeboten in der Schule, das zeigt die Forschung, bleibt die Unsicherheit oft groß und führt nicht selten zum Abbruch des zunächst gewählten Wegs. Einige entschließen sich zu einem Nacheinander der beiden Optionen und machen zuerst eine Ausbildung und danach noch ein Studium. Fünf bis sechs Jahre müssen sie dafür aufwenden und etliche Dopplungen in Kauf nehmen, weil vieles nicht fürs Studium anerkannt wird, was in der Ausbildung gelernt wurde.

Die BHH bietet nun eine Möglichkeit, diesem Dilemma zu entgehen. Wenn die neue Hochschule im kommenden Jahr ihren Lehrbetrieb aufnimmt, können Schul-absolventinnen und -absolventen gleichzeitig beides machen: eine Berufsausbildung und ein Bachelor-Studium. Statt Entweder-oder geht es um Sowohl-als-auch. In nur vier Jahren lassen sich mit der studienintegrierenden Ausbildung, so der Fachbegriff, zwei -Abschlüsse erwerben.

„Wir führen erstmals drei Lernorte in einem integrierten Modell zusammen“, sagt Sascha Hartung, der den Aufbau der BHH als Projektleiter steuert. „Wir bieten damit das Beste aus drei Welten: Lehrbetrieb, Berufsschule und Hochschule.“ Gegenüber praxisintegrierenden dualen Studiengängen gibt es einen klaren Vorteil. „Die Berufsausbildung ist verpflichtender Bestandteil und nicht nur Anhängsel an ein im Zentrum stehendes Studium.“

Neues Curriculum

Dafür wurde eigens ein neues Curriculum entwickelt. „Wir haben uns gefragt, was kann die Berufsschule besonders gut und was die Hochschule?“, sagt Hartung. Beides wurde miteinander verschränkt. „Diese Verzahnung vermeidet Dopplungen, das Arbeitspensum entspricht einer klassischen Fünf-Tage-Woche.“

Die Jugendlichen suchen sich zunächst eine Lehrstelle bei einem Unternehmen, das mit der BHH kooperiert, und schreiben sich an der Hochschule ein. Ausbildung und Studium starten parallel und werden in einer Bezugsgruppe durchlaufen. Da die BHH eine staatliche Hochschule ist, gibt es keine Studiengebühren, im Gegensatz zu den meisten privaten Hochschulen, die gerade im Bereich der praxisintegrierenden Studiengänge eine immer größere Rolle einnehmen. Die Lernenden erhalten von Anfang an eine Ausbildungsvergütung. Nach 18 Monaten entscheiden sie erneut, wie es weitergehen soll. Wollen sie den Weg der Doppelqualifizierung fortsetzen? Oder ausschließlich die betriebliche Ausbildung beenden?

Novum im Bildungssystem

Die BHH ist ein Novum im deutschen Bildungssystem. Sie ist die einzige Hochschule, die sich nur auf die studienintegrierende Ausbildung konzentriert. Initiiert wurde das Projekt im März 2018 vom heutigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), der damals noch Hamburgs Erster Bürgermeister war. Eine Projektgruppe wurde eingesetzt sowie Bildungsexpertinnen und -experten zur Beratung mit ins Boot geholt, genauso wie Unternehmensverbände, die Handelskammer, die Handwerkskammer und der Deutsche Gewerkschaftsbund Hamburg. Zum 1. Januar 2020 ist die BHH gegründet worden.

Mittlerweile wurde das Gründungspräsidium berufen, mit der Wirtschaftspädagogin Jutta Franke von der Europäischen Fachhochschule in Brühl an der Spitze. „Das Konzept der BHH ist visionär“, sagt sie. Interesse an dem Konzept der studienintegrierenden Ausbildung zeigen mittlerweile auch andere Bundesländer.

„Weitere Studiengänge könnten dazukommen, auch aus Bereichen wie Soziale Arbeit, Gesundheit, Ingenieurswesen.“ (Sascha Hartung)

Losgehen soll es in Hamburg zum Wintersemester 2021/22 mit zunächst 250 Studierenden. Jährlich sollen weitere 250 dazukommen, bis 2025 der Regelbetrieb mit dann 1.000 erreicht ist. Bei Vollauslastung liegen die Kosten bei 5,6 Millionen Euro, die aus dem Haushalt für Schule und Berufsbildung der Hansestadt finanziert werden. Als „Startformation“, so Projektleiter Hartung, seien vier Studiengänge vorgesehen, drei aus dem kaufmännischen Bereich plus BWL-Studium sowie Informatik. „Weitere Studiengänge könnten dazukommen“, sagt Hartung, „auch aus Bereichen wie Soziale Arbeit, Gesundheit, Ingenieurswesen.“

Das Konzept der studienintegrierenden Ausbildung geht auf die Wirtschafts- und Organisationspädagogen Dieter Euler und Eckardt Severing zurück. Seit langem setzen sie sich dafür ein, berufliche und akademische Bildung nicht nur durchlässiger zu machen und damit für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Sie plädieren auch für eine Verzahnung der Bildungsgänge, um dem Wandel besser gerecht zu werden, der sich – unter anderem durch die Digitalisierung – in der Arbeits- und Lebenswelt vollzieht. Wenn Absolventinnen und Absolventen sowohl über anspruchsvolle praktische Fertigkeiten als auch akademische Kompetenzen verfügen, profitieren sie genauso wie die Unternehmen, die hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen und diese länger an sich binden können.

Kritik am Auswahlverfahren

„Die BHH ist ein interessanter, guter Weg“, sagt Ansgar Klinger, GEW-Vorstandsmitglied für Berufliche Bildung und Weiterbildung, der dem Gründungsbeirat der neuen Hochschule angehört. „Problematisch ist aber, dass die Auswahl kein demokratisches Verfahren ist“, kritisiert er. „Obwohl die BHH eine staatlich finanzierte Hochschule ist, kann nicht jeder, der will, dort ein Studium aufnehmen, sondern die Unternehmen entscheiden, die ausbildenden Betriebe.“ Und auch für Schulabsolventinnen und -absolventen ohne Hochschulberechtigung sollte die BHH aus Klingers Sicht offenstehen.

Tatsächlich hängt vieles von den Unternehmen ab. Werden genug mitmachen und einen Ausbildungsplatz anbieten? „Viele Unternehmen sind interessiert“, sagt Projektleiter Hartung. „Es gibt eine hohe Aufmerksamkeit für das Projekt.“ Er rechnet fest damit, dass die BHH pünktlich starten kann, auch wenn die Unsicherheiten durch die Corona-Pandemie für viele Unternehmen das Planen erschweren. „Wir sind im Zeitplan“, sagt er. „Wir können auch mit einer Mindestanzahl von 22 Studierenden pro Studiengang beginnen.“ Interessenten können sich schon jetzt bewerben.