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Bundesrat verlangt Verbesserungen am Regierungsentwurf zum WissZeitVG

Am 16. Oktober hat sich der Bundesrat unter Tagesordnungspunkt 6 mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes befasst – und im Ergebnis deutliche Verbesserungen verlangt.

Mindestlaufzeiten für Zeitverträge, verbindliche Ausgestaltung der familienpolitischen Komponente, Aufhebung der Tarifsperre, längere Beschäftigungszeiten für studentische Hilfskräfte – mit seiner Stellungnahme greift die Länderkammer die Kritik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Regierungsentwurf auf. Von „Wasser auf die Mühlen der Kampagne Traumjob Wissenschaft“ sprach daher der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW, Andreas Keller, und forderte seine Kolleginnen und Kollegen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu einer aktiven Beteiligung an der Aktionswoche Traumjob Wissenschaft von 2. bis 6. November auf, um Druck für eine echte Reform des Zeitvertragsrechts in der Wissenschaft zu machen.


Die Aussprache im Plenum des Bundesrats fiel kurz aus, neben Bundesbildungs- und Forschungsministerin Johanna Wanka (CDU) nahm der Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, Staatssekretär Franz-Josef Mersch-Lense (SPD), Stellung. Während Ministerin Wanka den von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf verteidigte, begründete Mersch-Lense die von den Ausschüssen der Länderkammer eingebrachten Änderungsvorschläge, denen das Plenum des Bundesrats am Ende mehrheitlich zustimmte.


In seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf macht sich der Bundesrat konkret dafür stark, für Qualifizierungsbefristungen (Erstverträge) sowohl in der Promotions- als auch in der Postdocphase eine Mindestlaufzeit von zwei Jahren gesetzlich vorzugeben, „sofern keine sachlichen Gründe eine kürzere Dauer rechtfertigen“. Damit greift die Länderkammer die Kritik der GEW am Gesetzentwurf der Bundesregierung auf. Dieser enthält lediglich die allgemeine Regelung, dass die Befristungsdauer so zu bemessen sei, „dass sie der angestrebten Qualifizierung angemessen ist“. Was genau unter einer Qualifizierung zu verstehen ist, bleibt unbestimmt. Die GEW hatte daher die Einführung von festen Mindestlaufzeiten von drei Jahren vorgeschlagen.


Gegen Tarifsperre und für verbindliche Familienkomponente – Länder stützen GEW-Forderungen


In weiteren Punkten greift der Bundesrat Vorschläge der GEW auf, die im Januar 2015 einen eigenen vollständigen Gesetzentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt hatte. So fordert der Bundesrat den Bundestag auf, im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens die Aufhebung der Tarifsperre im Gesetz zu ermöglichen. Die Tarifsperre untersagt Gewerkschaften und Arbeitgebern, vom Gesetz abweichende Regelungen zur Befristung von Beschäftigungsverhältnissen auszuhandeln und tarifvertraglich zu vereinbaren. Die GEW ist wiederholt für die ersatzlose Aufhebung der Tarifsperre eingetreten, um Gewerkschaften und Arbeitgebern die Chance zu geben, in Verhandlungen zu einem fairen Interessenausgleich zu kommen.


Weiter kritisiert der Bundesrat, dass der Regierungsentwurf keine verbindliche Ausgestaltung der familienpolitischen Komponente des Gesetzes enthält. Ob die Zeitverträge mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Kinder betreuen, verlängert werden oder nicht, obliegt der willkürlichen Entscheidung des Arbeitgebers – es gibt keinen Anspruch der Beschäftigten darauf. Daneben gilt der bereits bestehende Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Mutterschutz oder Elternzeit nur für sachgrundlos befristete Arbeitsverträge, nicht bei Drittmittelbefristungen. Auch diese Ungleichbehandlung von häufig im selben Büro oder Labor tätigen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat die Bundesregierung nicht in Frage gestellt. Der Bundesrat empfiehlt nun, „den Rechtsanspruch auf Verlängerung von befristeten Arbeitsverträgen in Erwägung zu ziehen“. Die GEW hat bereits 2013 konkrete Vorschläge zur verbindlichen Ausgestaltung der familienpolitischen Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vorgelegt.


Studentische Hilfskräfte: Bundesrat gegen Vier-Jahre-Grenze


Konkrete Verbesserungen des Regierungsentwurfs empfiehlt der Bundesrat auch bei den Regelungen zu Arbeitsverträgen mit studentischen Hilfskräften. Entsprechend der Forderung der GEW stellt der Gesetzentwurf der Bundesregierung zwar auf der einen Seite klar, dass Arbeitsverträge mit studentischen Hilfskräften künftig nicht mehr auf die Höchstbefristungsdauer für die befristete Beschäftigung von sechs Jahren vor der Promotion angerechnet werden. Auf der anderen Seite sieht die Bundesregierung neu eine Höchstbefristungsdauer für studentische Hilfskräfte von vier Jahren vor. Der von Ministerin Wanka im Juli vorgelegte Gesetzentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung war noch von sechs Jahren ausgegangen. Der Bundesrat schlägt nun vor, die Höchstdauer wieder auf sechs Jahre anzuheben – eine richtige Forderung. In vielen Fällen mögen vier Jahre ein ausreichender Beschäftigungsrahmen sein. Da aufgrund der unzureichenden Ausbildungsförderung immer mehr Studierende auf kontinuierliche Erwerbstätigkeit während ihres Studiums angewiesen sind und gerne auch Beschäftigungsmöglichkeiten als studentische Hilfskraft nutzen, könnte die Begrenzung auf vier Jahre dazu führen, dass gerade in der Studienabschlussphase ein wichtiger Baustein der Studienfinanzierung wegbricht.


Schließlich schlägt der Bundesrat in zweierlei Hinsicht eine Veränderung der Anrechnung von Beschäftigungszeiten auf die Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren vor und sechs Jahren nach der Promotion (in der Medizin neun Jahren) vor. Zum einen sollen Drittmittelverträge nur noch auf die gesamte Höchstbefristungsdauer von zwölf (in der Medizin fünfzehn) Jahren angerechnet werden, nicht mehr gesondert auf die maximal sechs Jahre vor der Promotion. Konkretes Beispiel: Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet drei Jahre in einem Drittmittelprojekt, dann wechselt sie auf einen sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag zur Promotionsförderung. Ihr Arbeitsvertrag könnte noch volle sechs Jahre befristet werden, nach der Promotion wäre aber nur noch eine befristete Beschäftigung im Umfang von drei Jahren möglich. Damit möchte der Bundesrat dem Umstand Rechnung tragen, dass im Rahmen von Drittmittelprojekten häufig keine Promotionsmöglichkeit besteht.


Weiter bittet der Bundesrat Parlament und Regierung um Prüfung, ob befristete Teilzeitbeschäftigungsverhältnisse nur teilweise auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet werden sollen. Auch dazu ein Beispiel: Eine Doktorandin ist auf einer halben Stelle beschäftigt. Ihre Beschäftigungsdauer wird nach den Vorgaben des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes wie die ihres vollzeitbeschäftigten Kollegen zu 100 Prozent auf die Höchstbefristungsdauer angerechnet. Nach sechs Jahren ist ihre Befristungszeit vor der Promotion ausgeschöpft. Der Bundesrat möchte prüfen lassen, ob in diesem Fall eine geringere Anrechnung erfolgen soll, die teilzeitbeschäftigte Kollegin also neun oder sogar zwölf Jahre bis zur Promotion befristet beschäftigt werden kann. Die Länderkammer bezieht sich dabei auf die EU-Richtlinie über Teilzeitarbeit, die sich gegen die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten richtet, sowie auf die Gleichstellung von Frauen und Männern, da Frauen häufiger Teilzeitverträge haben als Männer.


Diese beiden Vorschläge des Bundesrats verdienen eine sorgfältige Prüfung, die GEW wird sie in ihren Gremien und mit den bei ihr engagierten Promovierenden und Postdocs diskutieren. Viele Kolleginnen und Kollegen erfahren es als Benachteiligung, wenn sie anstelle eines Zeitvertrags gar keinen Arbeitsvertrag mehr bekommen, andere, wenn sie anstelle eines ihnen eigentlich zustehenden Dauervertrags wieder nur mit einen Kurzzeitvertrag abgespeist werden. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf halben Stellen vor der Promotion zwölf statt sechs, nach Promotion weitere zwölf statt sechs, in der Medizin achtzehn statt neun Jahre, insgesamt also 24 bis 30 Jahre befristet beschäftigt werden könnten, wären wir nicht mehr weit entfernt von einer Zeitvertragskarriere vom Studienabschluss bis zur Rente – mit der GEW-Vision vom Traumjob Wissenschaft hätte das wohl wenig zu tun.


GEW-Vize Keller: „Wasser auf die Mühlen der Kampagne für den Traumjob Wissenschaft“


Der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW sieht in der Stellungnahme des Bundesrats „Wasser auf die Mühlen der GEW-Kampagne für den Traumjob Wissenschaft“. „Was 2010 mit dem Templiner Manifest begann, steht jetzt vor dem Durchbruch. Wenn wir jetzt nicht nachlassen, sondern noch nachlegen, können wir eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durchsetzen, die für Dauerstellen für Daueraufgaben sowie für Mindeststandards für Zeitverträge sorgt. Bereits der Gesetzentwurf der Bundesregierung ging in die richtige Richtung, enthielt aber noch zu viele Schlupflöcher für findige Arbeitgeber, das Befristungsunwesen doch fortzusetzen. Der Bundesrat sorgt jetzt dafür, dass der Regierungsentwurf im Bundestag offen diskutiert wird. Ob tatsächlich so verbessert wird, dass wir am Ende eine substanzielle Reform des Zeitvertragsrechts haben, ist offen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich jetzt im Herbst zu Wort melden und auf substanzielle Verbesserungen drängen“, sagte Keller mit Blick auf die Aktionswoche Traumjob Wissenschaft, zu der die GEW für den 2. bis 6. November 2015 bundesweit aufruft. Auch Studierende seien gut beraten, die Aktionswoche solidarisch zu unterstützen, so Keller. „Nicht nur im Interesse einer guten Qualität von Studium und Lehre, die von stabilen Beschäftigungsbedingungen abhängt, sondern auch, um die drohende Begrenzung der Beschäftigungszeiten für studentische Hilfskräfte abzuwehren. Lasst uns gemeinsam für gute Studien- und Arbeitsbedingungen eintreten“, appellierte Keller.


Voraussichtlich am 5. oder 6. November 2015, also mitten in der Aktionswoche, wird der Bundestag in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregierung und die Änderungsvorschläge des Bundesrats beraten. Bereits für den 11. November ist eine öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung geplant, zu der auch wieder Andreas Keller als Sachverständiger eingeladen werden soll. Die Verabschiedung der Novelle ist bis Ende des Jahres vorgesehen.