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Berufsverbote: „Die alte Wut bleibt“

Früher Berufsverbot, heute Altersarmut: Der Radikalenerlass von 1972 hat viele linksorientierte Lehrkräfte aus dem Beruf gedrängt. Eine Initiative sammelt Spenden für Betroffene.

Foto: Pixabay / CC0

Meist ist Reinhard Gebhardt viel zu beschäftigt, um über alte Zeiten zu grübeln. Doch manchmal kommt alles wieder hoch: „Das ganze Unrecht.“ Und: „Die alte Wut bleibt“, sagt Gebhardt. Der 68-Jährige lebt in einer winzigen Einzimmerwohnung in Mannheim. Mit seiner mickrigen Rente von 652 Euro kommt er kaum über die Runden. Dabei wollte er in den 1970er-Jahren Grundschullehrer werden. Dann hätte er heute locker 1.000 Euro mehr im Monat. Aber daraus wurde nichts. Gebhardt gehörte der 68er-Bewegung an, war beim Kommunistischen Bund Westdeutschland aktiv. Das Oberschulamt zweifelte an seiner Verfassungstreue – und ließ ihn nach dem ersten Staatsexamen nicht zum Referendariat zu. Der Rentner hat ausgerechnet, dass ihm dadurch im Laufe der Jahre rund 950.000 Euro an Gehalt entgangen sind.

„Mein Fehler war, dass ich juristisch nichts dagegen getan habe.“

Der Radikalenerlass von 1972 hat viele linke Aktivisten aus ihrer beruflichen Laufbahn gedrängt. Die Initiative „Weg mit den Berufsverboten“ fordert eine Rehabilitierung und Entschädigung. Viele Kolleginnen und Kollegen seien jetzt von Altersarmut bedroht, heißt es in einer Erklärung. Deshalb hat die Initiative beschlossen, Spenden als Soforthilfe zu sammeln. Der Neue Heinrich-Heine-Fonds unterstützt auch Gebhardt mit 100 Euro pro Monat. Das ist nicht viel. „Aber es hilft mir sehr“, sagt der Rentner. So kann er mal ein Buch für seine Kinder zum Geburtstag kaufen oder einen Ausflug machen. Und mehr noch: „Es ist ein richtig schönes Zeichen, dass wir zusammenhalten.“ Gebhardt zeigt auf die Fotos von weißhaarigen Männern – alle in den 1970er-Jahren vom Berufsverbot betroffen. „Viele haben es durch Klagen in den Schuldienst geschafft“, sagt er. „Mein Fehler war, dass ich juristisch nichts dagegen getan habe.“

Altnazis in der Landesregierung

Gebhardt ist Jahrgang 1948, ein Nachkriegskind aus wohlhabender Familie: Der Junge spielt Tennis, fährt in Urlaub. Dann kommt die Zeit der Proteste gegen den Vietnamkrieg, Malcom X wird ermordet, Benno Ohnesorg erschossen. Gebhardt ist mittendrin in der 68er-Bewegung. Nach dem Abi studiert er in Heidelberg auf Lehramt, will Deutsch und Werken unterrichten. Doch das Oberschulamt lädt ihn 1974 zum Verhör, um seine Verfassungstreue zu überprüfen. Gebhardt schüttelt den Kopf. All die Altnazis in der damaligen Landesregierung, darunter die CDU-Politiker Hans Filbinger und Karl Schiess, beide früher NSDAP-Mitglied – und er soll sich rechtfertigen? „Ich spreche Ihnen das Recht ab, mich zu verhören“, erwidert er. Die Absage erfolgt prompt. Das Amt erklärt, die Ziele seiner politischen Aktivitäten seien mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung „unvereinbar“.

Daraufhin arbeitet Gebhardt in einer Druckerei, später in einem Metallbetrieb, viele Jahre als Betriebsrat. Als die Firma pleitegeht, heuert er als Lkw-Fahrer an. 2001 startet er den Versuch, sein Referendariat nachzuholen, mit Unterstützung engagierter Lehrkräfte und der GEW. „Doch es hat nicht geklappt. Das Studium war zu lange her.“ Bis zur Rente fährt er Lkw. Der 68-Jährige ist immer noch politisch aktiv, bei der Linkspartei, beim Bündnis gegen Abschiebung und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Er geht regelmäßig auf Demos, gegen Rassismus und Krieg. Andere Aktivisten haben sich damals im Verhör von ihren politischen Forderungen distanziert – und wurden im öffentlichen Dienst eingestellt. Würde er es rückblickend anders machen? „Nein“, sagt Gebhard. „Ich stehe voll dazu.“

Reinhard Gebhardt (Foto: Kathrin Hedtke)