Fotos: Alf Buddecke, Manfred Brinkmann
Zur Person
Von Juli 2005 bis Januar 2011 war ich als Auslandsdienstlehrkraft (ADLK) am Berufsbildungszentrum (BBZ) der Deutschen Schule Villa Ballester – Instituto Ballester- tätig. Ich unterrichtete ausschließlich in den drei Ausbildungsberufen Kaufmann / Kauffrau im Groß- und Außenhandel, Industriekaufmann / -kauffrau und Kaufmann / Kauffrau für Bürokommunikation die Fächer „spezielle und allgemeine Betriebswirtschaftslehre“ sowie „Rechnungswesen und Controlling“. Zu meinen Aufgaben gehörte auch die Organisation eines jährlich stattfindenden Schüleraustausches mit einem Berufsbildungszentrum in Santiago de Chile. Von 2008 – 2011 übernahm ich die Funktion als Studien- und Berufsberaters am Instituto Ballester. Es war mein zweiter Auslandsaufenthalt. In den Jahren 1994 bis 1998 war ich am ICAFT, dem Berufsbildungszentrum des Colegio Andino in Bogotá, Kolumbien tätig. Damals als sogenannte „in Deutschland frei angeworbene Lehrkraft“ und über das Zentrum für intentionale Migration (CIM) vermittelt.
Kurzinformation zur Schule
Die deutsche Schule Villa Ballester feierte 2012 ihr neunzigjähriges Bestehen und ist seit 2005 eine sogenannte Auslandsschule mit verstärktem Deutschanteil, die seit 2003 als höchsten Schulabschluss das gemischtsprachige Internationale Baccalaureate (GIB) vergibt. Davor war sie als Begegnungsschule eingestuft, obwohl auch zu diesem Zeitpunkt kein deutscher Schulabschluss vergeben wurde. Mitten in einem eher mittelständisch geprägten Umfeld liegt der mit viel Beton und wenig Grün umgebene Gebäudekomplex in einem Stadtviertel, das in erster Linie von deutschen Auswanderern mit einer handwerklichen Ausbildung geprägt wurde. Von den knapp 1.500 Schülern (incl. Vorschule und Kindergarten) sind 40 Auszubildende im berufsbildenden Bereich (BBZ) zu finden. Zwei der insgesamt 10 vermittelten Lehrkräfte (insgesamt 8 ADLK/BPLK) unterrichteten dort ehemalige Absolventen deutscher Auslandsschulen aus Buenos Aires, den Schulen aus dem Inland Argentiniens, die das deutsche Sprachdiplom anbieten, der DS Montevideo (Uruguay) sowie inzwischen auch Schüler aus Paraguay in den drei bereits erwähnten Ausbildungsberufen. Neben dem erfolgreichen Abschluss der in Deutschland anerkannten dualen Berufsausbildung kann seit über zehn Jahren auch die deutsche Fachhochschulreife als Komplement erworben werden. Somit haben die Schüler die Möglichkeit bei erfolgreichem Abschluss einen direkten Zugang zu einer Hochschule in Deutschland zu erwerben. Das frühere Angebot zum Erwerb eines nationalen Abschlusses („Técnico en…“ – zusätzlich mit der Anfertigung einer sogenannten Tésis verbunden) wurde aufgrund der geringen Nachfrage eingestellt.
Chancen in deutschen Unternehmen
Die Ausbildungszeit ist auf zwei Jahre beschränkt und mit vielen Zusatzqualifikationen verbunden (u. a. Sprachzertifikate) was die Absolventen zu begehrten Mitarbeitern in den großen deutschen Ausbildungsfirmen macht. Nicht selten wurde Ihnen dabei eine bessere Bezahlung angeboten, als den Absolventen der örtlichen Universitäten. Da aber der akademische Titel einzig und allein Wertmaßstab gesellschaftlicher Anerkennung ist, besuchten viele Auszubildenden im Anschluss (und sogar parallel zu ihrer Ausbildung) Abendvorlesungen bei anerkannten Universitäten. Die in der Theorie und Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten während der Ausbildung wurden von verschiedenen Universitäten in Buenos Aires auf einige wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge mit bis zur Hälfte der Studienzeit angerechnet. Auch deutsche Universitäten buhlen seit einigen Jahren verstärkt - unter erheblichem sachlichem und personellem Aufwand und unterstützt durch stattliche Programme - um die Gunst der Absolventen Deutscher Auslandsschulen. Zusammen mit Schule, Botschaft, BBZ, DAAD und dem Auswärtigen Amt konnte 2010 in diesem Zusammenhang eine Bildungsmesse (Edu Alemania) organisiert werden, die den rund 700 Schülerinnen und Schülern Deutscher Schulen aus Argentinien, Uruguay und Paraguay eine Fülle von Informationen über Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Argentinien, aber vor allem in Deutschland bot. Für die meisten von Ihnen ist allerdings nach Abschluss Schule der Besuch eines Studienkollegs zum Erwerb der Hochschulreife nötig. Die Absolventen des GIB erwerben den uneingeschränkten Zugang zu Hochschulen in der ganzen Welt und sind ähnlich stark umworben. Als Studien- und Berufsberater habe ich allerdings feststellen müssen, dass nur sehr wenige (auch der leistungsstarken) Absolventen bereit waren, den Sprung über den Teich zu wagen – und sei es nur für ein Jahr. Eine Fülle von attraktiven Unterstützungsmaßnahmen - auch in finanzieller Hinsicht - änderte daran nichts.
Schulort und Gastland
Buenos Aires ist nach wie vor ein attraktiver Standort – wenn nicht der attraktivste Standort in ganz Süd- und Mittelamerika. Als wir dort im Juli 2005 ankamen, fühlten wir uns allerdings so gar nicht in Südamerika. Alles war doch sehr (süd-) europäisch geprägt und auch das Klima im – zugegebenermaßen kurzen - Winter erinnert einen eher an heimische Regionen. Nur das viele Grün, die Zierorangen an den Bäumen die hohe Luftfeuchtigkeit und die fast immer scheinende Sonne ließen vermuten, dass man sich auf dem 35. Breitengrad Süd befindet. Buenos Aires mit seinen über 14 Mill. Einwohnern (inklusive der sich nicht mehr sichtbar abgrenzenden Außenbezirke) ist eine pulsierende Metropole, die niemals schläft – was nicht zuletzt der Lebensweise der Argentinier geschuldet ist, die nachweislich den wenigsten Schlaf auf diesem Kontinent benötigen(?). Der Porteño (Hafenbewohner) – so werden die Bewohner der Metropole genannt - ist eine besondere Spezies Mensch und verkörpert oftmals den arroganten und sehr von sich überzeugten Argentinier, der in den restlichen Ländern Südamerikas und sogar im eigenen Inland wenig beliebt ist. Die schwierige Identitätsfindung – sicher auch die Folge der starken Zuwanderung aus Europa - führt oftmals bei den Hauptstädtern zu der Ansicht, man verkörpere eigentlich den besseren Europäer – auf jeden Fall fällt das Bekennen zum restlichen Kontinent nicht immer überzeugend aus. Die extrem zentralistische Ausrichtung des Staates auf die Hauptstadt führt dazu, dass man sich im Inland häufig als Anhängsel fühlt und die finanzielle Abhängigkeit von der Regierung in Buenos Aires die Provinzen zu Bittstellern degradiert. Dort findet man allerdings einen ganz anderen Typ Argentinier – freundlich, offen, höflich und unglaublich hilfsbereit.
Sicherheit ist ständiges Thema
Zu Beginn unseres Aufenthaltes waren die Auswirkungen des Zusammenbruchs von 2001 noch zu spüren, aber auch schon die rasante wirtschaftliche Erholung mit chinesisch anmu-tenden Wachstumsraten, die allerdings häufig nur in den oberen Schichten spürbar war. Die zunächst –für uns Europäer- niedrigen Lebenshaltungskosten schnellten innerhalb weniger Jahre auf das Preisniveau von Berlin. Eine teilweise absurde Diskrepanz bestand und besteht auch noch zwischen den Mieten in den bevorzugten Wohnlagen, die als einigermaßen sicher gelten und den Standarddienstleistungen des öffentlichen Lebens. In Zahlen heißt das z. B., dass eine Taxifahrt ins Zentrum 3-4 Euro (25 km) kostete, während für die Monatskaltmiete eines Hauses schon mal gut 1.500,00 € aufgewendet werden mussten. Die der starken Einflussnahme der Regierung unterliegende statistische Behörde INDEC veröffentlichte jahrelang viel zu niedrige offizielle Inflationsraten zwischen 6-8 %, die von unabhängigen Wirtschaftsinstituten jedes Mal auf ca. 25 – 30 % korrigiert wurden und für den Verbraucher beim Kauf von Dingen des täglichen Bedarfs eher nachzuvollziehen sind. Die Sicherheit war und ist ein ständiges Thema in der Öffentlichkeit. Der Reichtum in Argentinien ist leider sehr ungleich verteilt. Es gibt wenig wohlhabende und viele arme Menschen. Die einstige stabile Mittelschicht ist nahezu verschwunden und die Elendsviertel -oft in unmittelbarer Nähe zu den teuren Wohnvierteln- wachsen explosionsartig an. In den sogenannten „Villas Miserias“ kurz „Villas“ genannten Elendsvierteln herrscht oftmals bittere Armut und Gewalt.
Häufig geht nur Barzahlung
In nicht wenigen Fällen traut sich nicht mal die Polizei dort hinein, sodass das Recht oft in die eigenen Hände genommen wird. Durch einen persönlichen Kontakt konnten wir uns an einem Projekt beteiligen, dass von dem ehemaligen ARD-Korrespondenten Gottfried Stein und seiner Frau Renate ins Leben gerufen und unter anderem auch von der deutschen Botschaft unterstützt wird. Es funktioniert nach dem deutschen Vorbild der Mütter- und Familienzentren in der Villa José Leon Suarez im Stadtteil San Martin und bietet den Müttern und Kindern eine Schutzzone und die Chance zu verschiedenen kreativen Aktivitäten. Das Wohnen in sogenannten „Conjuntos cerrados“ (geschlossenen und oftmals künstlich angelegten Einfamilienhaus-Siedlungen) garantiert keine größere Sicherheit. Alarmanlage und Bewachung durch Sicherheitsunternehmen, die ihr schlechtbezahltes Personal an den Straßenkreuzungen in winzigen Blechcontainern hausen lassen, sind in den besseren Wohnlagen der Standard. Mangelndes Vertrauen prägt auch den Umgang mit finanziellen Transaktionen. Überweisungen, Daueraufträge sind nur mit der Einrichtung eines lokalen Kontos möglich, aber immer noch sehr umständlich. Häufig bleibt nur die Barzahlung, ob für Telefon, Internet, Kabelfernsehen, Sicherheit, Gas/Wasser/Elektrik und die Miete – alles muss per Bankautomat „gezogen“ und übergeben werden – auch natürlich um Steuern zu „sparen“. Handwerker haben selten eine Ausbildung genossen und arbeiten oftmals mit kurzfristigen Lösungen.