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"Berlin Rebel High School": Auffangbecken für Outcasts

Der Kinofilm "Berlin Rebel High School" erzählt von Jugendlichen, die das Schulsystem rausgekickt hat oder die sich selbst herauskatapultiert haben. In Berlin-Kreuzberg haben sie einen Ort gefunden, der sie auffängt.

Vielleicht ist es eine der intensivsten Sequenzen in diesem Film: Alex und Marvin fahren in "Berlin Rebel High School" (D, 2016, R: Alexander Kleider) zusammen in ihre Heimatorte und besuchen ihre früheren Schulen. Jene Schulen, an denen sie gescheitert sind. Genauer: die letzte einer ganzen Latte von Schulen. Alex hat es hier nur ein paar Stunden ausgehalten. Es reichte, dass ätzende Mitschüler den sanften Jungen mit den blonden langen Locken kurzerhand "Wolfgang Petry" nannten. Ausgerechnet so, wie den verhassten Sänger, dessen Musik zu Hause immer lief. Also ging er einfach vom Schulhof und kam nie wieder. Abitur? Das war wohl gelaufen.

Ähnlich ging es auch Marvin, der sich auf seinem alten Schulhof vor allem an die Demütigung erinnert, vom Schulleiter angebrüllt zu werden, nachdem er auf den Boden gespuckt hatte. Oder Lena, das mal rot, mal blau, mal grün gefärbte Punk-Mädel aus Eggesin, das rechtsextreme Mitschüler in der 9. Klasse von der Schule mobbten. Oder Hanil aus Aachen, der als Teenager zu viel kiffte und schwänzte und deshalb von der Schule flog. Sie alle haben sich längst von der Idee verabschiedet, sich irgendwann noch einmal mit dem System Schule zu versöhnen oder gar das Abitur zu schaffen.

Drei Buchstaben: SFE

Doch dann hörten sie von diesen sagenumwobenen drei Buchstaben: SFE. Schule für Erwachsenenbildung in Berlin-Kreuzberg. SFE, das könnte auch heißen: "Shangrila" (ein paradiesisch fiktiver Ort - Anm. d. Red.) für am Ellenbogensystem Gescheiterte. Die in den 1970er Jahren im Windschatten der Studentenbewegung von rebellierenden Schülerinnen und Schülern selbst gegründete Schule ist zum Auffangbecken für die Outcasts des bundesdeutschen Schulsystems geworden. Die vollkommen unabhängige Einrichtung nimmt jede und jeden, der oder die bereit und in der Lage ist, das Schulgeld von zurzeit 160 Euro im Monat zu zahlen. Hier landen jene, die überall sonst aneckten, gemobbt wurden, sich komplett unverstanden fühlten und einfach nicht zu Potte kamen. Junge Menschen, die mit hierarchischen Systemen Probleme haben, besonders sensibel sind, nicht mit dem "Schwarm" schwimmen wollen oder können.

Die SFE akzeptiert sie alle. Ein Shangrila ist sie dabei aber gerade nicht. Denn nach der anfänglichen Euphorie und Begeisterung über eine hierarchiefreie Schule, die kumplige Kommunikation, die Straflosigkeit, folgt - das haben Verwaltung und Lehrkräfte längst als Muster erkannt - zwangsläufig eine Phase der Ernüchterung: Dann nämlich, wenn die freiheitsliebenden Möchtegern-Abiturienten merken, dass sie auch im hedonistischen Kreuzberg letztendlich tun müssen, was auf alle Abiturienten zukommt: sich auf den Hintern setzen und arbeiten, lernen, büffeln. Diejenigen, die nach dieser Erkenntnis noch am Ball bleiben, reüssieren häufig. Allein Deutschlehrer Klaus Trappmann, trotz des lausigen Stundenlohns von derzeit 12,50 Euro seit Jahrzehnten an der SFE, hat schließlich schon mehr als 2 500 Schülerinnen und Schüler erfolgreich zum Abitur gebracht.

Keine Zaubertricks

Woran das liegt? Schwer zu sagen. Auch nachdem man "Berlin Rebel High School" gesehen hat. Regisseur Alexander Kleider, selbst ein erfolgreicher Absolvent der SFE, zeigt in diesem Dokumentarfilm über seine ehemalige Schule Szenen aus dem Unterricht, die keine besondere pädagogische Methode erkennen lassen, keine geheimnisvolle Didaktik, keine Zaubertricks. Unverhüllt offenbart sich hier zunächst vor allem, woran viele dieser Jugendlichen schon so lange scheitern - an sich selbst. Etwa, wenn der Darmstädter Florian, der mit beinahe aggressiver Verve "natürlich ein Einser-Abi" anstrebt, nach den Sommerferien einfach nicht zurück in die Disziplin findet und entweder gar nicht oder zu spät zum Unterricht kommt. Oder wenn Hanil immer wieder darauf zurückkommt, "dass ich immer noch ab und zu faul bin".

Die Lehrerinnen und Lehrer der SFE tun gar nichts Besonderes. Sie setzen keine geheimnisvollen Hebel an. Sie nutzen keine ausgefuchsten didaktischen Verfahren. Deutlich wird allerdings, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler ernst nehmen, auch indem sie diese daran erinnern, dass mit dauerndem Schwänzen das Abitur nicht zu schaffen sei. Aber vor allem, indem sie ein Gespräch auf Augenhöhe suchen und es ganz bewusst vermeiden, herablassend oder gar demütigend zu kommunizieren. Lehrkräfte, die ihren Schützlingen eben klar machen, dass sie an sie glauben, dass diese innere Stärken haben, die es freizulegen gilt. Viel mehr sei gar nicht nötig, so vermittelt es der Film, um verunsicherte junge Menschen so zu stärken, dass dieses Vertrauen in sich selbst sie zum Abitur tragen kann.

Klappt natürlich nicht immer. Weder schaffen es alle Jugendlichen, sich tatsächlich auf den Hosenboden zu setzen noch geht die einfache Rechnung immer auf, dass ein Schüler nur an sich glauben muss, und - schwupps - hat er das Abi in der Tasche. Da scheitert Alex, der vor allem Angst vor Mathe hatte, ausgerechnet an der mündlichen Kunst-Prüfung. Und der ein bisschen angeberische Florian bleibt auch ein gutes Stück zurück hinter seinem erklärten Ziel, ein Einser-Abi zu machen. Da holt die eiskalte Realität die teilweise noch sehr verträumten jungen Frauen und Männer dann wieder ein.

"Berlin Rebel High School" ist eben kein Hollywood-Movie, sondern ein deutscher Dokumentarfilm, der zeigt, dass das Leben auch im nonkonformen Kreuzberg kein Ponyhof ist. Aber er weist auf eindringliche und sensible Weise darauf hin, dass jeder Mensch, der bereit ist, an sich zu arbeiten, eine zweite, dritte und vierte Chance verdient hat. Und dass viele, die im Schulsystem absacken, keineswegs am Lernstoff scheitern. Die Gründe für ihr Versagen sind vielfältig: komplizierte Familienverhältnisse, persönliche Schwierigkeiten, Unreife, Pubertätsprobleme.

Der Film macht deutlich, dass das staatliche Schulsystem häufig nicht in der Lage zu sein scheint, adäquat auf jene zu reagieren, die nicht im Mainstream schwimmen. Es lässt die Gestrandeten oft einfach zurück. Als könne die Gesellschaft auf sie verzichten. Als bräuchte sie nicht gerade den Beitrag der gegen den Strich Gebürsteten. Wie zum Beispiel diesen Film des einst gescheiterten Alexander Kleider. Vielleicht stößt der ja eine Debatte an, die etwas auf den Weg bringt? Mehr solche Schulen wie die SFE oder besser noch: Ein verändertes Schulsystem, das sich besser auf jene Heranwachsenden einstellen kann, die eben ein bisschen anders ticken. Anders zu ticken, kann schließlich ziemlich nützlich sein.