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Ausweg: Steuern erhöhen

Die Kommunen klagen über große Finanzierungslücken und wachsende Schuldenberge. Steuersenkungsprogramme des Bundes bescheren ihnen zusätzliche Einbußen. Was tun? Der E&W-Beitrag zur Finanzlage der Kommunen zeigt, warum diese in der Tarifrunde trotz guter Konjunktur und sprudelnder Steuerquellen ein hartleibiger Gegner sein werden. Doch die vielfach unzureichende Kassenlage ist politisch verursacht und gewollt. Die hieraus erwachsenden Probleme dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.

Was kann ein Lehrer, der es zum Schulrat und schließlich zum Schulamtsdirektor gebracht hat, noch werden? Beispielsweise Oberbürgermeister von Offenbach am Main, wie Horst Schneider. Der SPD-Politiker hatte einst Deutsch und Sozialkunde studiert. Für die Funktion an der Spitze der Stadtverwaltung sind aber vor allem auch seine Rechenkünste gefragt. Schließlich befindet sich Offenbach „in einer miserablen finanziellen Lage“, wie Schneider Anfang des Jahres zum Start in seine zweite Amtszeit freimütig bekannte.

Die mit rund 120 000 Einwohnern fünftgrößte Kommune Hessens steht beispielhaft für die Situation in zahlreichen deutschen Städten und Gemeinden. Vielerorts klaffen in den Haushalten große Finanzierungslücken, die Schuldenberge wachsen. Doch in den allermeisten Fällen ist dies nicht Folge fehlender Disziplin bei den Ausgaben. Die wesentliche Ursache besteht da-rin, dass die Politik in Bund und Ländern den Kommunen immer mehr Aufgaben aufhalst, ohne ihnen entsprechende Einnahmen zuzubilligen. Stattdessen bescheren ihnen Berliner Steuersenkungsprogramme zusätzliche Einbußen.

Offenbach steckt schon seit Jahren in der Klemme. Die einstige Industrie- und Arbeiterstadt im Osten Frankfurts wurde durch die wirtschaftlichen und sozialen Umbrüche der vergangenen Jahrzehnte besonders gebeutelt. Großbetriebe aus den Branchen Chemie oder Metall machten dicht, tausende Arbeitsplätze gingen verloren. Die Folge: Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer schrumpften, während die Transferleistungen an bedürftige Menschen stiegen. Und nicht zuletzt geht die Integration der Ausländer und eingebürgerten Migranten, die zusammen mehr als 40 Prozent der Einwohner stellen, ins Geld.

An Sparanstrengungen in der Verwaltung mangelt es nicht. „Wir haben die niedrigsten Personalkosten pro Einwohner unter den hessischen Kommunen und die niedrigsten Sachkosten gemessen an der Bevölkerungsgröße“, sagt der Oberbürgermeister. Gleichwohl kommt die Stadt auf keinen grünen Zweig. Mehr als 600 Millionen Euro Schulden sind bereits aufgelaufen. Demnächst dürften sie, auch wegen des kostspieligen Umbaus der Städtischen Klinik, auf eine Milliarde steigen. Für dieses Jahr wird mit einem Defizit von 86 Millionen Euro gerechnet, bei Ausgaben von 385 Millionen. „Rund 97 Prozent der Gelder aus dem Stadtsäckel fließen in Pflichtleistungen, die der Gesetzgeber in Bund und Land der Art und Höhe nach festgelegt hat“, betont Kämmerer Michael Beseler. Schneiders Fazit lautet denn auch: „Offenbach kann sich nicht weiter aus seiner Strukturkrise heraussparen – wir müssen in einer Generationenaufgabe aus der Krise herauswachsen.“

Ähnlich mies oder noch schlechter geht es Kommunen wie Oberhausen, Magdeburg oder Wuppertal. Die Stadt mit der berühmten Schwebebahn steht mit 1,6 Milliarden Euro in der Kreide. „Dabei kann man uns nicht vorwerfen, dass wir nicht eisern gespart haben“, sagt Kämmerer Johannes Slawig. Schulen und Bäder wurden geschlossen, das Schauspielhaus musste den Betrieb einstellen.

So trübe sieht es aber keineswegs überall aus. Gemeinden, die sich auf zahlungskräftige Betriebe und Einwohner stützen können, kommen ohne größere Probleme über die Runden. Düsseldorf und Dresden etwa konnten durch den allerdings höchst umstrittenen Verkauf von Vermögenswerten wie Energiebeteiligungen oder Wohnungen ihre Schulden weitgehend abbauen. Insgesamt hat sich die Kassenlage im Zuge des Konjunkturaufschwungs zuletzt erheblich günstiger entwickelt als zunächst befürchtet. Im vergangenen Jahr dürfte das Defizit aller Kommunen bei drei Milliarden Euro gelegen haben. 2010 waren noch 7,7 Milliarden „Miese“ verbucht worden. Der kräftig geschrumpfte Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben ist vor allem auf stärkere Zuflüsse aus der Gewerbe- und Einkommensteuer zurückzuführen.

Doch von Entwarnung kann keine Rede sein. „Die Finanzlage vieler Städte ist immer noch sehr angespannt“, meint der Präsident des Deutschen Städtetags, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD). Sein Hauptgeschäftsführer Stephan Articus stellt fest: „Die Schere zwischen armen und reichen Städten geht weiter auf.“ Der Grad der Schieflage lässt sich an der Entwicklung der Kassenkredite ablesen. Ihr Volumen kletterte im vergangenen Jahr auf die Rekordhöhe von mehr als 44 Milliarden Euro. Eigentlich sollen diese Bankdarlehen nur helfen, kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Vor allem strukturschwache Kommunen nutzen sie inzwischen jedoch notgedrungen als ständiges Finanzierungsinstrument.

Keine verlässlichen Einnahmen

Nicht zuletzt die Explosion der Kassenkredite weist auf das grundlegende Problem hin: Den Kommunen mangelt es an ausreichenden, verlässlichen Einnahmequellen. Sie sind schlicht „unterfinanziert“ und „dem Spiel von Bund und Ländern ausgesetzt“, sagt Kai Eicker-Wolf, Wirtschaftsexperte beim DGB Hessen. Durch die diversen Steuersenkungen seit 1998 seien allen Gebietskörperschaften allein im vergangenen Jahr rund 50 Milliarden Euro Einnahmen entgangen.

Diese politischen Entscheidungen trafen die Kommunen besonders hart. Denn gleichzeitig sahen sich die Kämmerer einem dramatischen Anstieg der Sozialausgaben gegenüber. Mit rund 45 Milliarden Euro lagen sie zuletzt um mehr als 70 Prozent über dem Niveau des Jahres 2000. Demgegenüber nahmen die Personal- und Sachausgaben nur mäßig zu, zumal in vielen Städten und Gemeinden bereits seit langem der Rotstift regiert. Er traf vor allem auch die Investitionen in die Infrastruktur wie etwa Schulen. Sie erreichten 2011 noch nicht einmal das ohnehin schon niedrige Volumen von 2001. Dieses Bremsmanöver ist fatal. Denn die Kommunen stehen für rund 60 Prozent aller öffentlichen Investitionen, die wiederum entscheidende Voraussetzungen für das Wirtschaftswachstum sind.

Was tun? Einige Bundesländer haben inzwischen sogenannte Entschuldungsfonds eingerichtet. Sie sollen mit Geldspritzen helfen, die ärmsten Kommunen vor dem Kollaps zu bewahren. Nordrhein-Westfalen will dafür insgesamt 5,8 Milliarden Euro locker machen. Im Gegenzug müssen die Empfänger einen „klaren Sanierungskurs einschlagen“. In Rheinland-Pfalz gibt es wegen des Fonds schon mächtig Ärger: Er soll zum Teil aus dem kommunalen Finanzausgleich gespeist werden, geht also auf Kosten der weniger armen Kommunen.

Diktat der Schuldenbremse

Die Fonds mögen die Probleme lindern, lösen können sie sie nicht. Für Achim Truger, den Finanzexperten des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), führt denn auch kein Weg an Steuererhöhungen vorbei: „Der Staat braucht zusätzliche Einnahmen.“ Wenn nichts geschehe, müssten die Länder unter dem Diktat der Schuldenbremse ihre Ausgaben bis 2020 um 13 bis 14 Prozent kappen. Dabei könnten sie versucht sein, die Last der Anpassung teilweise auf die Kommunen zu schieben. Eicker-Wolf spricht sich unter anderem dafür aus, die den Ländern zustehende Vermögensteuer wiederzubeleben. Zudem solle die Gewerbesteuer durch den Einbezug von Freiberuflern und Selbständigen „verstetigt“ werden.

Auch bei den Sozialausgaben ist Handeln erforderlich. Zwar springt der Bund jetzt bei der Grundsicherung im Alter ein und entlastet damit die Kommunen. Roland Schäfer, dem Präsidenten des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, reicht dies aber nicht: „Wir müssen eine neue Art der Finanzierung der Sozialausgaben finden.“ Das wäre wohl ganz im Sinne von Oberbürgermeister Schneider und seinen Kollegen.

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