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Initiative Bildung weiter denken

Auf dem Weg zum modernen Berufsschulzentrum

Wie soll die berufsbildende Schule der Zukunft aussehen? Die GEW fordert, spezielle Leitlinien auszuarbeiten. Einige Schulen haben sich bereits auf den Weg gemacht.

Die Theodor-Litt-Schule (TLS) in Gießen: Große, offene Räume, mobile Raumteiler, Einzel- und Gruppentische entsprechen neuen Lernkonzepten. Foto: Christoph Boeckheler

Frontalunterricht? Das war einmal. Heute gehe er von Tisch zu Tisch und helfe beim Aufgabenlösen. „Man lernt die Schüler besser kennen“, findet Berufsschullehrer Tobias Schmidt. Es entstünden auch „andere Gespräche“. Der 36-Jährige unterrichtet an einer Schule, die neue Lernkonzepte nutzt – und dazu die passende Architektur geschaffen hat: der Theodor-Litt-Schule (TLS) im hessischen Gießen, einer städtischen berufsbildenden Schule (BBS) vor allem für technische Fächer.

Besuch in den Elektrolaboren. Wo einst vier Klassenzimmer waren, befindet sich heute ein großer, offener Raum. Materialschränke, mobile Raumteiler, Einzeltische, mal zum Vierertisch zusammengeschoben, mal zum Sechsertisch. „Hier arbeiten die Schüler an ihren Lernaufgaben, jeder in seinem Tempo“, erklärt Schmidt. Bis zu 36 Schülerinnen und Schüler, verteilt auf sechs Lerngruppen, können den Raum gleichzeitig nutzen. Zwei Lehrkräfte stehen ihnen zur Seite.

Der 21-jährige Selami steckt gerade fest. „Ich verstehe nicht, wie die Schaltung aufgebaut ist“, seufzt der angehende Elektroniker für Gebäudetechnik. Lehrer Moritz Wissemann fragt nach: „Was macht denn dieses Bauteil?“, und erklärt dann: Das Bauteil unterbricht bei Überlastung den Stromkreis und sorgt dafür, dass der Motor abgeschaltet wird. „Ihr habt noch 30 Minuten“, informiert Wissemann die Lerngruppe.

An der TLS lernen 2.380 junge Menschen, davon 1.700 in Teilzeit. Die Schule wurde in den 1960er-Jahren erbaut. 2008 begannen Sanierung und Umbau des Hauptgebäudes – für 19 Millionen Euro – „bei laufendem Betrieb“, erinnert sich Schulleiter Michael Brumhard. Seit 2016 werden die neuen Räume genutzt. Die TLS habe sich grundlegend gewandelt, „von der hässlichen Schule zum modernen Berufsschulzentrum“, sagt Brumhard. Neben herkömmlichen Klassenzimmern gibt es offene Lernbereiche, ein Selbstlernzentrum, ein geräumiges Lehrerzimmer samt Küchenzeile sowie Aufenthaltsbereiche. „Wir wollten eine Atmosphäre herstellen, in der sich Schüler und Lehrer wohlfühlen“, fasst der Schulleiter zusammen.

 

„Pädagogische Wandlungen“

Schulen erlebten „pädagogische Wandlungsprozesse“, daraus folgten „neue und erweiterte Ansprüche an Schulgebäude und Raumstrukturen“. Das betont Dieter Staudt, ehemaliger Schulleiter, Architekt und Mitglied der Fachgruppe Berufliche Schulen der GEW Hessen. Doch wie sollen Architektur und Raumgestaltung aussehen? In einer Ideenskizze für die GEW verweist Staudt auf die „Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland“ von 2013, erstellt von den Montag-Stiftungen, dem Bund Deutscher Architekten und dem Verband Bildung und Erziehung.

Einige der hier aufgelisteten Empfehlungen ließen sich zwar auf berufsbildende Schulen übertragen, sagt Staudt. Doch gebe es für BBS „spezifische Anforderungen“. Dazu zähle der „hohe Anteil an berufsbezogenem Unterricht“, der auch in Werkstätten, Fachräumen und Laboren stattfindet. Das werfe Fragen auf: Soll das Fachraumkonzept Theorie und Praxis integrieren oder räumlich voneinander trennen? Können Bereiche von mehreren Berufsfeldern gemeinsam genutzt werden?

Zudem gebe es an den BBS viele Schulformen mit jeweils eigenen Zielen, Abschlüssen und Klassengrößen – von der Berufsvorbereitung bis zum Beruflichen Gymnasium. „Die Altersspanne der Schülerinnen und Schüler erstreckt sich von 15 bis etwa 40 Jahren“, sagt Staudt. Auch daraus folgten Fragen: Können Lernräume von mehreren Schulformen genutzt werden? Hat die enorme Altersspreizung Auswirkungen auf Raumbedarf und Einrichtung?  Lassen sich Räume mit teuren Einrichtungen auch von außerschulischen Institutionen nutzen?

„Wir brauchen einheitliche, berufspädagogisch durchdachte Vorgaben, damit nicht jede Kommune das Rad beim Um- oder Neubau einer berufsbildenden Schule neu erfinden muss.“ (Ansgar Klinger)

Ansgar Klinger, im Vorstand der GEW für berufliche Bildung verantwortlich, sieht die Notwendigkeit, Leitlinien speziell für BBS voranzutreiben. „Wir brauchen einheitliche, berufspädagogisch durchdachte Vorgaben, damit nicht jede Kommune das Rad beim Um- oder Neubau einer berufsbildenden Schule neu erfinden muss“, betont Klinger. Vorsichtige Zustimmung kommt von den Verbänden, die Schulträger – also Städte und Kreise – vertreten. Leitlinien für BBS seien zwar „sinnvoll“, sagt Jörg Freese vom Deutschen Landkreistag. Allerdings dürfe es sich lediglich um „Empfehlungen“ handeln, nicht um verbindliche Standards.

Viele Städte hätten „keine fertigen Konzepte in der Schublade“, erklärt Klaus Hebborn, Beigeordneter des Deutschen Städtetags (DST). Auch etliche Bundesländer besäßen keine oder veraltete Richtlinien für den Bau von allgemein- und berufsbildenden Schulen. Der DST habe der Kultusministerkonferenz deshalb vorgeschlagen, ein gemeinsames Projekt „Zukunft des Schulbaus“ zu realisieren.

An der Theodor-Litt-Schule stößt die offene Raumgestaltung nicht nur auf Zustimmung. Beispiel Elektrolabore: „Das find‘ ich scheiße, wenn gleichzeitig eine andere Klasse da ist“, sagt Fabian. „Dann hört man das und kann sich nicht konzentrieren.“ Einen Vorteil sieht er allerdings darin, „dass man die Tische so stellen kann, wie man will“. Auch sei der Raum nun „freundlicher, moderner“.

„Die offenen Lernzentren werden noch nicht so bespielt, wie wir das erwartet haben.“ (Michael Brumhard)

Hauptgebäude, zweites Obergeschoss. Auf dem Stundenplan der beiden Lerngruppen der Berufsvorbereitung steht „Verbindliche Lernzeit“, betreut von zwei Pädagogen. Die Schülerinnen und Schüler entscheiden selbst: Mache ich Mathe? Oder Englisch? Oder recherchiere ich im Internet, welcher Beruf zu mir passt? Diese Freiheiten zu nutzen, „daran müssen sie sich peu à peu herantasten“, erklärt Heidrun Ortwein-Ruhl, Lehrerin für Englisch und Politik/Wirtschaft. Am Ende wüssten die jungen Leute selbst, „was sie brauchen, um zum Schulabschluss zu kommen“, sagt die 62-Jährige. „Wir sind dann nur noch Moderatoren, leisten Hilfestellung.“ Für Lehrkräfte sei das „ein entspanntes Arbeiten“.

Nicht alle sehen das so. „Dieses Konzept weicht Hierarchien auf“, gibt Schulleiter Brumhard zu bedenken. Manche Kolleginnen und Kollegen hätten Probleme mit dem Rollenwechsel. Folge, sagt Brumhard: „Die offenen Lernzentren werden noch nicht so bespielt, wie wir das erwartet haben.“