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„Absolutistische Fürsten" im Bildungswesen

Die Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Angela Merkel (CDU) haben dafür gesorgt, dass der Einfluss gemeinnütziger Stiftungen enorm zugenommen hat. Deren Gelder kommen zwar maroden Schulen zugute, doch es gibt auch Kritik.

Im Gebäude der Lübecker Konzernzentrale sitzt auch die Possehl-Stiftung: ein wichtiger Partner bei der Schulsanierung in der Region Lübeck – mit viel Einfluss. Foto: Matthias Holland-Letz

Bundesweit spielen gemeinnützige Stiftungen an Schulen eine stetig wachsende Rolle. Die Robert-Bosch-Stiftung gründete im Frühjahr 2015 die Deutsche Schulakademie, die sich etwa um die Fortbildung von SchuleiterInnen kümmert. Die Bertelsmann Stiftung gibt Studien in Auftrag,  organisiert Konferenzen – und beeinflusst so den bildungspolitischen Diskurs. Die Stiftung des Tchibo-Erben Joachim Herz stellt kostenlose Unterrichtsmaterialien ins Netz.

Jede siebte Stiftung, also rund 3 000, engagiere sich im Bildungswesen, berichtet Katrin Kowark vom Bundesverband Deutscher Stiftungen. „Das Engagement von Stiftungen gerade im Bereich Bildung ist bemerkenswert und hilfreich“, lobt Olaf Scholz (SPD), Hamburgs Erster Bürgermeister. Stiftungen seien unabhängig, vom Markt ebenso wie von der Politik, schreibt Martin Spiewak in der "Zeit".

Mangelnde Transparenz

Doch ihr wachsender Einfluss stößt auch auf Kritik. Denn allein die Stifter, zumeist Wohlhabende und Unternehmen, entscheiden, wer von den Stiftungsmitteln profitiert. „Anstatt schnöde Steuern zu zahlen, können die Reichen als Hausherr in der eigenen Stiftung wie absolutistische Fürsten selbst bestimmen, wem sie Gutes tun und wem sie es verweigern“, sagt der Journalist und Buchautor Christian Rickens. Entsprechend vertreten gemeinnützige Stiftungen mitunter eigene Interessen.

Die GEW kritisierte bereits vor Jahren: Die Bertelsmann Stiftung verfolge mit Projekten à la „Selbstständige Schule“ und der Entwicklung von „SEIS“, einem Instrument zur Selbstevaluation von Schulen, das Ziel, an Schulen Managementkonzepte privater Unternehmen durchzusetzen. Stiftungen sind zudem oft wenig transparent. Kein Gesetz zwingt sie offenzulegen, wie groß ihr Vermögen ist, wie hoch ihre Einnahmen sind und wie viel sie für welche Zwecke ausgeben.

Stiftungsboom seit 1999

1991 gab es bundesweit rund 8 000 gemeinnützige Stiftungen, heute liegt die Zahl bei über 21 000, die Schätzungen zufolge ein Vermögen von 100 Milliarden Euro besitzen. Ein politisch gewollter Aufschwung. Die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder gab vor, die „Zivilgesellschaft“ stärken zu wollen. 2000 verabschiedete Rot-Grün das „Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen“. Die Große Koalition unter Merkel legte 2007 mit dem „Gesetz zur weiteren Förderung des bürgerschaftlichen Engagements“ nach. Noch nie genossen Stifter und Stiftungen so viele Steuervorteile wie heute. Gleichzeitig sorgten Schröder und Merkel dafür, dass der Fiskus Großunternehmen und Reiche entlastete.

Länder und Kommunen ächzen derweil seit Jahren unter einer Schuldenlast: Ende 2015 standen die Bundesländer mit 617 Milliarden Euro in der Kreide. Die Kommunen hatten 145 Milliarden Euro Schulden. Hinzu kommen derzeit Mehrausgaben, um geflüchtete Menschen zu versorgen und unterzubringen. PolitikerInnen, Lehrkräfte, Schulleitungen und Eltern sehen daher kaum Alternativen, wenn Stiftungen ihre Hilfe anbieten.

Stiftungen fördern nur Heimatregionen

Stiftungen finden sich allerdings selten dort, wo die Not am größten ist. Sie entstehen vor allem in den wohlhabenden Regionen, zumeist in den Großstädten der alten Bundesländer. Hessen meldet 31 Stiftungen pro 100 000 Einwohner, in Bayern sind es 30, im Stadtstaat Hamburg gar 78. In Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es lediglich 13 Stiftungen pro 100 000 Einwohner. In Brandenburg sind es sogar nur acht.

Viele Stiftungen, vor allem kleinere und mittlere, fördern nahezu ausschließlich ihre Heimatregion. So hat die Possehl-Stiftung laut Satzung den Zweck, allein in Lübeck Wohltaten zu verteilen. Die Stiftung des SAP-Milliardärs Dietmar Hopp, mit Sitz nahe Heidelberg, fördert lediglich die Region Rhein-Neckar. Wer dort nicht zuhause ist, hat Pech gehabt.

Die komplette Reportage von Matthias Holland-Letzt, der unter anderem an Lübecker Schulen und der dortigen Possehl-Stiftung recherchierte, können Sie in der Juniausgabe der "E&W" lesen.