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„10 Jahre Integrationskursverordnung“ – Tagung von GEW, DVV und BBB am 17. Juni 2015

Rund 110 Personen aus Politik, Trägerverbänden und deren Einrichtungen, Wissenschaft und Gewerkschaft haben an der erstmals von der GEW, dem Deutschen Volkshochschulverband (DVV) und dem Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB) gemeinsam veranstalteten Fachtagung „10 Jahre Integrationskurse – Bilanz und Perspektive“ teilgenommen. Kurz nach der Ausschreibung war die Tagung bereits „ausgebucht“ gewesen. Während der von Ursula Martens-Berkenbrink, Josef Mikschl und Ansgar Klinger im Haus des DGB Berlin-Brandenburg moderierten Veranstaltung machten vor und im Veranstaltungsgebäude Angehörige der Berliner VHS-Dozentinnenvertretung mit einer großen Versammlung, Plakaten, Flugblättern und Postkarten anschaulich auf die desolate Lage der Integrationskurslehrkräfte aufmerksam.

Nach der Begrüßung durch die Vorsitzenden der Verbände, Marlis Tepe (GEW), Prof. Rita Süssmuth (DVV) und Thiemo Fojkar (BBB), plädierte die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Aydan Özoguz, für eine umfassende integrative Politik, eine Differenzierung in der Sprachförderung sowie eine angemessene Wertschätzung der Arbeit der Lehrkräfte.

Der zuständige Ministerialdirigent aus dem Bundesministerium des Innern, Dr. Thomas Herzog, beschrieb die Genese der Integrationskursverordnung und die auf dem jüngsten „Flüchtlingsgipfel“ von der Politik beschlossenen Maßnahmen. Eine Rechtsänderung hält Herzog in Gänze für nicht notwendig und verwies auf den bislang nicht bekannten Anstieg der Teilnehmer/innenzahlen der Integrationskurse, in deren Folge die Auslastung und die Planungssicherheit der Träger gestiegen sein müssten. Dies dürfte eine Basis für eine bessere Bezahlung der Lehrkräfte bilden – eine Argumentation, die im Laufe der Tagung mehrfach begründet zurückgewiesen wurde.

In seinem wissenschaftlichen Hauptvortrag stellte der Sprachwissenschaftler Professor Christoph Schroeder (Institut für Germanistik der Universität Potsdam) eine Reihe kritischer Fragen an das Kurssystem. Wird die bestehende Differenzierung der Kurse den veränderten Zuwanderungsgruppen gerecht? Sind zentrale Steuerung und bürokratischer Aufwand kompatibel mit einem variablen Kurssystem? Fördern Sanktionen und ordnungspolitische Ziele das Lernen? Wie lassen sich die Bedeutung und Qualitätssicherung der Kurse mit der unangemessenen Vergütung der Lehrkräfte vereinbaren? Die relativ niedrigen Bestehensquoten der B1-Prüfungen und die unklare Datenlage zum Erfolg des Deutscherwerbs unabhängig vom Bildungshintergrund der Teilnehmer/innen machten eine externe Evaluation der Kurse dringend erforderlich.

Wenn auch die Integrationskurse in der anschließenden Diskussion unterschiedlich bewertet wurden, so fand Prof. Schroeders Forderung nach einer externen Evaluation allgemeine Zustimmung.

Nach der Mittagpause erwartete die Tagungsteilnehmenden ein beeindruckender Auftritt des afghanischen Rappers El Sam. In seiner Muttersprache Dari erzählen dessen Songs von den Schrecken des Krieges und Terrors in Afghanistan, dem Leid und der Verzweiflung der Familien und den niederdrückenden Bedingungen von Flucht und Migration. Der Moderator verwies auf eine Rezension der "taz", in der El Sam und mit ihm der Flüchtling als Held, als der Odysseus der Moderne gewürdigt worden sei. El Sam machte dies für das Publikum intensiv spürbar. Mit lang anhaltendem Beifall dankte ihm das Publikum dafür, dass er mit seinen Songs den Teilnehmenden neuen Mut und Motivation für ihre Arbeit schenkte.

Anschließend konnten die „Akteure“ eine Bilanz zu den Integrationskursen aus ihrer Sicht formulieren, wobei alle Akteure den Anspruch der Kursleiter/innen auf eine deutlich bessere Bezahlung sowie die Anerkennung ihrer qualitativ hochwertigen Arbeit betonten.

Kursleitende angemessen bezahlen

Die Kursleiterinnen der Berliner VHS, Beate Strenge und Sabine Heurs, schilderten anschaulich – untermauert mit Plakaten und Schildern -  ihren Berufsalltag in den Integrationskursen und stellten diesem die unzureichende Vergütung gegenüber. Obwohl in Berlin schon wesentlich mehr bezahlt wird als im Rest der Republik, zeigten sie auf, dass auch 31,50 Euro noch nicht zu angemessenem Einkommen führe, insbesondere, wenn die spätere Rente - ca. 600 Euro - einberechnet werde. Insofern sind die Forderungen in Berlin weitergehend, im Rahmen des DAZ Netzwerkes wird aber die Forderung nach mindestens 30,00 Euro unterstützt, was für viele Integrationskurslehrkräfte schon ein deutlicher Fortschritt ist. Auch auf bezahlten Urlaub haben alle, die als arbeitnehmerähnlich gelten, einen rechtlichen Anspruch, der sofort umgesetzt werden kann und muss.

Der Geschäftsführer des BBB, Walter Würfel, zeigte die Bereitschaft auf, Kursleitende angemessen und entsprechend ihrer Qualifikation zu bezahlen, verwies aber auf die unzureichende Finanzierung durch das Bundesamt. Als freie Träger, die nicht vom Staat finanziert werden, müssten die Unternehmen Einnahmen erzielen, um ihre Kosten zu decken, als gemeinnützige Einrichtungen investierten sie Überschüsse wieder. Das Argument, mehr Teilnehmende erhöhten die Einnahmen der Einrichtungen, so dass diese ein höheres Honorar zahlen könnten, wies er zurück: Mehr Teilnehmer/innen bedeuteten deutlich mehr Beratung und mehr Verwaltung, die nicht ausgeglichen würden. Von dieser Veranstaltung müssten Signale ausgehen, die zu Aktionen führten! Dem Bündnis von Trägern und Kursleitenden sowie der GEW maß er eine große Bedeutung bei.

Für den DVV erläuterte Daniel Dejanovic, stellvertretender Leiter der VHS Frankfurt/Main, die Situation. Die Besonderheit der Integrationskurse, sowohl von den vorgeschriebenen Voraussetzungen der Kursleiterqualifikation als auch von der Sache -  600 Unterrichtseinheiten sind zu bewerkstelligen – her, erfordere eine hauptberufliche Tätigkeit. Dies sei anders als in einem klassischen Sprachkurs. Er forderte, dass sich die Volkshochschulen in dieser Hinsicht weiter entwickeln müssten. Zudem schloss er die Anstellung von Lehrkräften nicht aus. Auch er betonte die Notwendigkeit einer deutlich besseren Finanzierung durch den Bund.

Aus Sicht der Arbeitnehmer/innenvertretung wies Ansgar Klinger, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der GEW, Überlegungen zurück, das in der Integrationskursverordnung vorgeschriebene hohe Niveau der Kursleitenden (Akademischer Abschluss + Daz/DaF-Zusatzqualifikation) zu reduzieren, um das Reservoir infrage kommender Lehrkräfte zu erhöhen. Ähnlich wie bei Leiharbeit und Werkverträgen sei bei den Honorarverträgen die Bereitschaft der Arbeitenden unterdurchschnittlich, sich zu organisieren und gemeinsam Verbesserungen der prekären Lage zu erzielen, weshalb es umso wichtiger sei, sich in der Gewerkschaft zu organisieren. Darüber hinaus stelle sich die am Ende zu bejahende Frage, ob die Situation eine andere wäre, wenn nicht mehr als 80 Prozent der etwa 24.000 zugelassenen Integrationskurslehrkräfte Frauen, sondern Männer wären. Das zentrale Problem im Bereich der Integrationskurse, sagte Klinger, sei die Unterfinanzierung - dies gelte im Übrigen für die gesamte öffentlich finanzierte Weiterbildung.

An der anschließende Gesprächsrunde mit Abgeordneten aus dem Innenausschuss des Bundestages nahmen für die SPD Rüdiger Veit, für die Fraktion der LINKEN Sevim Dagdelen und für die Fraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN Volker Beck teil. Von der Fraktion der CDU/CSU hatte kein/e Abgeordnete/r die Einladung angenommen. Alle anwesenden Fraktionsvertreter äußerten Verständnis für die Forderungen der Lehrkräfte, legten sich allerdings nicht auf einen bestimmten Umfang der benötigten Gelder fest. Auch die Notwendigkeit, die Integrationskurse für Flüchtlinge zu öffnen, wurde von allen geteilt.

Dagdelen verwies darauf, dass  ihre Fraktion sich  für die Forderungen der Lehrkräfte schon frühzeitig und wiederholt eingesetzt habe. Die von Professor Schroeder während des Vortrags formulierte Anregung, eine externe Evaluation durchzuführen und die Kurse auch inhaltlich stärker zu differenzieren, fand Zustimmung, konnte jedoch aus Zeitmangel nicht mehr ausgiebig erörtert werden. Da sich die CDU/CSU nicht vertreten ließ, wurden Gegenpositionen nicht ernsthaft vorgebracht und diskutiert. Dem Appell Becks, gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Thematik  in der Öffentlichkeit stärker ankomme, schlossen sich alle an. Die Moderatoren gaben den Politkern auf den Weg, in ihren Fraktionen und im Deutschen Bundestag die notwendigen Verbesserungen für die Lehrkräfte mit Nachdruck auf die Tagesordnung zu setzen.

Bundesregierung soll Integrationskurse anpassen

Anschließend stellten für die Veranstalter Ansgar Klinger (GEW) und Thiemo Fojkar (BBB) die Genese und den zentralen Inhalt des gemeinsamen Positionspapiers „10 Jahre Integrationskurse – Ein Erfolgssystem ist dringend reformbedürftig“ vor, bevor Ulrich Aengenvoort (DVV) die nächsten politischen Schritte des gebildeten Bündnisses zur gebotenen Verbesserung der Integrationskurse beschrieb.

In dem gemeinsamen Positionspapier wird die Bundesregierung aufgefordert, die Integrationskurse zehn Jahre nach ihrer Einführung mit einer grundlegenden Reform den veränderten gesellschaftlichen Erfordernissen anzupassen. Reformbedarf sieht das Bündnis insbesondere in drei Bereichen:

-       Der Integrationskurs muss geöffnet werden für Asylsuchende und Geduldete. Denn für echte Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsmarkt müssen Einwanderer schnellstmöglich die Landessprache erlernen.

-       Die Lehrkräfte müssen leistungsgerecht bezahlt und sozial abgesichert werden, entsprechend den hohen Anforderungen an ihre Qualifikationen und Leistungen.

-       Die Träger brauchen mehr Planungssicherheit und müssen bürokratisch entlastet werden, um Zuwanderern einen orts- und zeitnahen Zugang zu einem zuverlässigen und differenzierten Angebot zu ermöglichen.

Für die Reform werden zusätzliche Mittel benötigt, die sich im Vergleich zu ihrem hohen Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft vergleichsweise bescheiden ausmachen.

Nahezu das gesamte Spektrum der Integrationskursträgerlandschaft – auch das ist einmalig – hat sich dem Bündnis angeschlossen hat: die Bundesarbeitsgemeinschaft Arbeit e.V., Arbeit und Leben, die Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit, die Katholische Erwachsenenbildung Deutschland, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, die deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung, das DAZ Netzwerk und der Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit.

Ansgar Klinger, Ursula Martens-Berkenbrink,  Josef Mikschl          

Fotos: Kay Herschelmann