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„Heimat“ in rechter Musik

Neue Worte, alte Werte

Der Politologe Timo Büchner hat ein Buch über den „Heimat“-Begriff in rechter Musik geschrieben. Und ist dabei auf erschreckende Kontinuitäten gestoßen.

Es gibt die Heimat, an der alle teilhaben können, und es gibt die, die sich über Ausschließungen definiert. (Foto: Jürgen Amendt)
  • E&W: Herr Büchner, gibt es einen nicht-toxischen Heimatbegriff, oder ist „Heimat“ per se ein reaktionäres Konzept?

Timo Büchner: Weder den Begriff noch das Konzept „Heimat“ empfinde ich per se als reaktionär oder völkisch. Man muss unterscheiden zwischen einem inklusiven und einem exklusiven Erzählstrang. Beim inklusiven ist der Heimatbegriff nicht abhängig von der Herkunft oder der Religion einer Person. Beim exklusiven wird genau diese Abhängigkeit hergestellt. Das gilt auch für die Musik, in der sich diese beiden Erzählstränge ebenfalls gut wiederfinden lassen. Es gibt die Heimat, an der alle teilhaben können, und es gibt die, die sich über Ausschließungen definiert.

  • E&W: Sie schreiben, dass ein Denken, nach dem Heimat und Identitätssuche ein Grundbedürfnis des Menschen sei, sämtliche rechten Musikstile durchziehe – was ist an diesem Denken falsch?

Büchner: Ich würde nie bestreiten, dass Menschen ein Bedürfnis nach Wohlbefinden, nach Zugehörigkeit, nach so etwas wie Heimat haben, die sie selbst möglicherweise gar nicht so nennen. Ich bestreite aber, dass dieses Gefühl zwangsläufig an eine Nation gekoppelt ist. Genau das behauptet aber die Rechte: dass Heimat zwangsläufig national gedacht werden muss.

  • E&W: Der AfD-Politiker Björn Höcke benutzt auffallend oft das Wort „Heimat“. „Nation“ oder gar „Rasse“ finden sich in seinen Reden hingegen selten. Das dürfte kein Zufall sein, oder?

Büchner: Mit Sicherheit nicht. Das Praktische am Heimatbegriff ist ja, dass man ihn unterschiedlich aufladen kann, sodass er sowohl ein bürgerlich-konservatives als auch ein Neonazi-Spektrum ansprechen kann. Das macht den Begriff so attraktiv.

  • E&W: Sie sprechen von einem „vermeintlich unpolitischen“, einem „neurechten“ und einem „extrem rechten“ Spektrum in der Musik. Was meinen Sie damit?

Büchner: Das extrem rechte Spektrum bezieht sich positiv auf den Nationalsozialismus, die Neue Rechte distanziert sich – teilweise aus strategischen Gründen – von ihm. Sie umfasst zum Beispiel die „Identitäre Bewegung“, die rechtsintellektuelle Zeitschrift „Sezession“ oder das „Institut für Staatspolitik“ von Götz Kubitschek. Das vermeintlich unpolitische Spektrum mache ich an der Deutschrock-Band Frei.Wild fest, die sich selbst auch als unpolitisch bezeichnet. Wer sich mit den Texten befasst, merkt, dass das eine Marketingstrategie ist.

  • E&W: Viele Frei.Wild-Fans reagieren empört, wenn man ihrer Lieblingsband eine Nähe zu rechtem Gedankengut attestiert. Wie begründen Sie Ihr Urteil?

Büchner: Durch die Geschichte der Band ziehen sich zahlreiche Lieder, die zweifelsohne völkisch-nationalistisch sind. Das bekannteste heißt „Wahre Werte“. Zudem sind zahlreiche Lieder von einem stark ausgeprägten Freund-Feind-Denken geprägt, das sich explizit gegen die kritische Presse richtet und in kruden Verschwörungsmythen mündet.

  • E&W: Täuscht der Eindruck, dass es um die klassischen Neonazi-Bands ruhiger geworden ist?

Büchner: Die Szene stagniert. Mit rund 300 Leuten rechne ich aber auch Ende September wieder, wenn in Ostritz das neonazistische „Schild-und-Schwert“-Festival stattfindet.

  • E&W: Ein großer Teil Ihres Buches ist neurechten Rappern wie Chris Ares oder Komplott gewidmet. Was ist das Neue an ihnen, und wie definieren die beiden „Heimat“?

Büchner: Es gibt zahlreiche inhaltliche Parallelen zum Rechtsrock – was den Rassismus oder den strukturellen Antisemitismus anbetrifft. Vom Nationalsozialismus und vom Rassebegriff distanzieren sie sich aber, stattdessen arbeiten sie mit Begrifflichkeiten wie Kultur oder Identität, die von neurechten Vordenkern wie Alain de Benoist eingeführt wurden. Da spielt natürlich auch der Heimatbegriff eine ganz zen-trale Rolle.

  • E&W: Das heißt, die jungen Rapper schließen auch strategisch an die Neue Rechte an, die ja betont, dass ihre Ideologie erst eine kulturelle Hegemonie erreichen muss, ehe sich das in der Politik widerspiegelt.

Büchner: Man ist in der Neuen Rechten überzeugt, dass der vorpolitische Raum wichtig ist, dass man deshalb Metapolitik betreiben müsse. Und ein Werkzeug ist da eben die Musik. Ares betont auch immer wieder, dass er Musik als Propagandaform nutzen will, um junge Leute zu ködern.

  • E&W: Im Lied „Widerstand“ beschreibt Ares die Deutschen als von Zuwanderung und „Gutmenschentum“ bedrohtes Volk. Allerdings deutlich subtiler als das klassische Nazibands tun würden. Ist es dadurch auch gefährlicher?

Büchner: Gefährlich ist beides, auf unterschiedliche Art und Weise. NS-Bands wie Tonstörung rufen völlig unverschlüsselt zu Gewalt auf. Ares ist auf andere Art gefährlich, weil er viel codiert und dadurch anschlussfähiger ist. Doch auch er hat verschlüsselte Aufrufe zur Gewalt in seinen Texten.

  • E&W: Sie stellen Hip-Hop als migrantisch geprägte Musik dar, die von den Rechten missbraucht wird. Das ist aber ein Musikstil, in dem Homophobie, Frauenverachtung und Materialismus Themen sind. Ist rechtes Denken da nicht anschlussfähig?

Büchner: Rap ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, auch was Homophobie und Sexismus angeht – was es natürlich nicht weniger problematisch macht. Ursprünglich war Rap aber definitiv antirassistisch. Ares grenzt sich auch genau deshalb komplett vom klassischen Rap ab, er hat sein Label „Neuer Deutscher Standard“ genannt, weil er etwas gänzlich Neues etablieren will. Er schafft es allerdings auch, ein migrantisches Milieu anzusprechen mit der Argumentation, Nationalismus sei doch etwas ganz Natürliches.

  • E&W: Frei.Wild haben sich mit sehr deutlichen Worten von Gruppierungen wie Pegida distanziert und gelten vielen Menschen dennoch als Paradebeispiel einer rechten Band. Die Aufregung über den Rapper Farid Bang („Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“) war vergleichsweise gering. Geht die Öffentlichkeit mit Rockmusik kritischer um als mit vermeintlich moderner Musik?

Büchner: Das glaube ich nicht. Bei Frei.Wild gibt es ja auch seit Jahren keinerlei Aufschrei mehr, sie haben den Echo gewonnen und sind mit jeder neuen Veröffentlichung wieder auf Platz 1 der Albumcharts. Ich finde, dass die Debatte um Frei.Wild und um die Verschwörungsmythen, die in der rechten Musikszene ventiliert werden, weitergehen muss. Das alles ist hochgefährlich, öffentlich aber offenbar kein Thema mehr.

Timo Büchner: Der Begriff „Heimat“ in rechter Musik. Analysen, Hintergründe, Zusammenhänge. Frankfurt, Wochenschau-Verlag, 2020

Timo Büchner (Foto: privat)