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Dialog

Nebenbei fit

Gesundheitliche Beschwerden schränken Ältere heute weniger ein als früher. Doch um lange fit zu bleiben, kommt es auf Prävention an. Individuell und gesellschaftlich.

Bis zum Jahr 2040 werden in Deutschland etwa 23 Millionen Menschen älter als 65 sein. Wie gesund sie ihr Alter verbringen, hängt auch davon ab, was Ältere dafür tun. (Foto: Pixabay / CC0)

Karen Ehlers hat die Worte ihrer Oberstufenleiterin bis heute im Ohr: „Wie schaffst du es nur, neben der Schule jeden Tag drei Stunden zu deinem Pferd zu gehen?“ Doch für Ehlers, bis Ende 2023 Oberstudienrätin an einer Stadtteilschule in Hamburg Eimsbüttel, war es genau andersherum: „Ich habe die Schule nur durch mein Pferd geschafft.“ Zum Pferd gehen hieß, einmal am Tag eine Auszeit zu nehmen. An der frischen Luft sein, in einen völlig anderen Rhythmus eintauchen, Energie tanken. „Das hat mir geholfen, im Schulalltag gesund zu bleiben“, sagt Ehlers heute. Auch, dass sie gelernt hat, sich Schulfrust bei Familie und Freunden von der Seele zu reden. Küchentisch statt Supervision nennt sie das. Als eine neue Leitung die Arbeitskultur in ihrer Schule auf den Kopf stellte, ihr neue Hierarchien und ein enges Regelwerk im Alltag die Luft abschnürten, erkannte sie vielleicht auch deshalb schnell genug: Ich muss aufhören, sonst werde ich krank.

Seit einem Jahr ist Ehlers im Ruhestand. Sie verbringt noch mehr Zeit mit ihrem Pferd, fährt viel Fahrrad, kocht mehr als früher, viel Gemüse, wenig Fleisch. Engagiert sich in der Kirche, bei den Omas gegen Rechts, bei den GEW-Seniorinnen und -Senioren. „All das hält mich fit.“

„Wie Menschen ihre Gesundheit selbst einschätzen, sagt gut voraus, wie sich ihre Gesundheit tatsächlich entwickelt.“ (Oliver Huxhold)

Die ehemalige Lehrerin hat gute Aussichten, gesund alt zu werden. „Wie Menschen ihre Gesundheit selbst einschätzen, sagt gut voraus, wie sich ihre Gesundheit tatsächlich entwickelt“, so Oliver Huxhold, Forscher beim Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) in Berlin. Das zeigen die Daten des Deutschen Alterssurveys, die das DZA seit 2002 erhebt. Interessant dabei: Das Verständnis, was Gesundheit ist, verändert sich seit Jahren. „Zählt für die älteren Kohorten vor allem die Abwesenheit von Krankheiten, ist für die jüngeren das subjektive Wohlbefinden wichtiger.“ Damit nähert sich das Gesundheitsverständnis der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an: Gesundheit als Zustand allgemeinen Wohlbefindens. Habe ich Freude im Leben, fühle ich mich wohl in meiner Haut? Diese Kriterien sind für die subjektive Einschätzung selbst dann maßgeblich, wenn Menschen eine physiologische Erkrankung haben, von Arthrose bis Diabetes. Huxhold: „Vermutlich, weil sich die Betroffenen dann mit anderen Erkrankten vergleichen: Da geht es mir ja noch gut.“

Wichtig: die Pflege sozialer Beziehungen

Nach einer Längsschnittstudie des Robert-Koch-Instituts von 2023, „Gesundheit 65+“, schätzen 52 Prozent aller Befragten ihre Gesundheit als gut oder sehr gut ein, bei 78,5 Prozent ist die Lebenszufriedenheit hoch oder sehr hoch. Auch die „funktionale Gesundheit“, wie es die Forschenden nennen, hat sich verbessert. Zwar haben laut DZA 57 Prozent der Menschen zwischen 70 und 85 zwei oder mehrere Erkrankungen, Gelenk- oder Herz-Kreislauf-Beschwerden, Tumore. 25 Prozent sogar mehr als fünf. Huxhold: „Doch die Erkrankungen werden besser behandelt und schränken die Menschen im Alltag weniger ein.“

Bis zum Jahr 2040 werden in Deutschland etwa 23 Millionen Menschen älter als 65 sein. Wie gesund sie ihr Alter verbringen, hängt auch davon ab, was Ältere dafür tun. Dazu gehören regelmäßige medizinische Check-ups, eine Ernährung mit weniger Kalorien, aber mehr Nährstoffen und Proteinen, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Regelmäßiges Cardio- und Muskeltraining, um die Kontrolle über den Bewegungsapparat zu erhalten und das Demenzrisiko zu reduzieren. Dieser Effekt entstehe vermutlich unter anderem dadurch, so Huxhold, dass Bewegung die Durchblutung im Gehirn fördert und Neuronenbahnen stimuliert.

Ebenso wichtig: die Pflege sozialer Beziehungen. „Einsamkeit bedeutet Stress, macht daher anfälliger für Entzündungen, schwächt das Immunsystem, hemmt den Schlaf, kurbelt Zigaretten- und Alkoholkonsum an und führt meist zu weniger Bewegung, weil die Menschen seltener rausgehen“, sagt Huxhold. Sein Rat: Kontakt suchen über Seniorenbüros, Nachbarschaft oder Organisationen wie das Kompetenznetzwerk Einsamkeit.

Angelika Neiss, 76, Lehrerin für Sonderpädagogik, Lübeck, heute Berlin

Nach meiner Pensionierung 2013 bin ich sofort nach Berlin gezogen. Seit dem Mauerfall 1989 wollte ich in dieser Stadt mit ihrem Multi-Kulti-Flair und dieser unglaublichen Fülle von Angeboten leben. Heute wohne ich in Friedrichshain und meine Söhne besuchen mich oft.

Lust auf Zukunft habe ich rundherum. Endlich kann ich Dinge tun, für die vorher keine Zeit war. Ich habe Zeichenunterricht genommen, mich in Bildhauerei ausprobiert. Diesen Sommer habe ich Tiere, Köpfe, abstrakte Figuren auf meinem Balkon geformt; es sieht dort immer noch aus wie auf einer Baustelle. Das Hobby würde ich gern ausbauen, zu dritt suchen wir gerade ein Atelier. Dafür habe ich künftig wieder mehr Zeit, denn der unbegleitete geflüchtete Jugendliche, um den ich mich seit 2016 kümmere, ist mittlerweile erwachsen, hat eine Stelle als IT-Servicetechniker und gerade geheiratet. Geflüchtete aus der Ukraine begleite ich aber heute noch, übe Deutsch mit ihnen, helfe bei der Auswahl von Kita und Schule, bei Verwaltungssachen. Und da sind noch meine Gesprächskreise zu Europa. Vor einiger Zeit hat sich über private Kontakte eine Runde zusammengetan. Ehemalige Europaabgeordnete sind dabei, SPD-Leute, Kolleginnen und Kollegen aus der Gewerkschaft. Anregende, linke Runden, mit kleinen Impulsvorträgen und offenen Debatten sind entstanden. Die Europäische Union ist eine Errungenschaft – wir müssen unbedingt kritisch darüber diskutieren und sie erhalten.

Auch im Kiez will ich mich weiter engagieren. Ich habe mich gegen Mietwucher und für eine Kiezküche eingesetzt. Mal kommt etwas voran, mal scheitert das Engagement der Bürgerinnen und Bürger. Hauptsache dranbleiben. Ach ja: Lust habe ich auf neue Reisen, und ich genieße die Zeit mit meinem ersten Enkelkind. Aber Reisen und Enkel wollen ja alle, oder?“ 

Bewegung in den Alltag einbauen

Claudia Vonstein nickt. „Lebensstil und soziale Integration sind wichtige Faktoren für gesundes Älterwerden“, betont die Referentin bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Sie ermutigt: „Es ist nie zu spät, etwas zu ändern.“ Doch oft fehle es schlicht an Wissen. Beispiel Bewegung: 2,5 Stunden mäßig anstrengende Aktivität in der Woche empfiehlt die WHO. Das schafft gerade mal ein Drittel der Frauen und die Hälfte der Männer, die älter als 65 Jahre sind.

Auyen Müller kennt das. Immer wieder nimmt sich die Berlinerin vor: Ab jetzt bewege ich mich mehr. Gerade seitdem das Knie beim Treppe runtergehen zwickt, wird sie daran erinnert: Gesundheit kommt nicht von selbst. „Aber ich bin vielleicht ein bisschen nachlässig.“ Andererseits hat die ehemalige Erzieherin ein gutes Gefühl dafür, wann sie aufpassen muss. Nach einem Bandscheibenvorfall vor 25 Jahren lernte sie rückenschonende Bewegungen. Kinder nicht so oft hochnehmen, gerade bleiben beim Bücken. „Das hat gut geklappt.“ In der Zeit hat sie sich angewöhnt, Rad zu fahren und spazieren zu gehen. „Auch dass ich in 47 Jahren Kita mit den Kleinen immer in Bewegung war, hat sicher geholfen, gesund zu bleiben.“

Tatsächlich ist die Aktivität nebenher ein wichtiger Faktor. Wer Bewegungsslots überall in seinen Alltag einbaut, ist auf dem richtigen Weg, so BZgA-Gesundheitsexpertin Vonstein. Eine Bus-, Tram- oder U-Bahnstation früher aussteigen und zu Fuß gehen, Treppe statt Lift nehmen, beim Zähneputzen mal auf einem Bein stehen für die Balance. „Das verhindert Stürze.“ Die BZgA hat daher ein Programm für das Alltagstraining zusammengestellt.

„Letztlich fußt gesundes Altern auf einem Mix von Bewegung, gesunder Ernährung und Teilhabe.“ (Sarah Forberger)

Sarah Forberger, Forscherin am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen, rät dabei zu einem „ganzheitlichen Blick“: „Es ist unfair, jemandem im Alter von 65 Jahren zu sagen: Du musst jetzt dein Leben ändern, neues Essen, mehr Bewegung, bessere Sozialbeziehungen“, so Forberger. „Wir sollten Altern endlich als Teil des Lebenszyklus betrachten, eingebettet in andere Phasen der Biografie.“ Welche Gewohnheiten hat ein Mensch in Kita, Schule, Arbeitsleben entwickelt, woran lässt sich anknüpfen, woran nicht?

„Letztlich fußt gesundes Altern auf einem Mix von Bewegung, gesunder Ernährung und Teilhabe“, sagt Forberger. „Und dabei kommt es nicht nur auf das individuelle Verhalten an, sondern auch auf die gesellschaftlich verankerte Prävention.“ Zum Beispiel durch Aktivitätsanreize im öffentlichen Raum wie Bouleflächen, Fitnesspfade oder Wege mit ausreichend Pausenbänken.

Ex-Erzieherin Müller hat sich vorgenommen, künftig Bewegungsübungen in ihren Alltag einzubauen. Sie hat noch so viel vor. Freunde treffen, Wochenendreisen, Engagement in der GEW. Ein reicher Alltag. „Den möchte ich so lange wie möglich gesund genießen.“ 

Selbstoptimierung? Nein, darum geht es bei gesundem Altern nicht. Sondern um ein Zusammenspiel von individueller Gesundheitspflege und kluger Präventionspolitik der öffentlichen Hand. Doch immer noch setzt Deutschland mehr auf die Behandlung von Krankheiten statt darauf, diese zu verhindern. Immerhin steigen die Ausgaben für die betriebliche Gesundheitsförderung und individuelle Präventionskurse etwa seit einigen Jahren wieder (laut des aktuellen Präventionsberichts waren es 2022 rund 538 Millionen Euro).

Nach Einschätzung von Fachleuten müsste jedoch weit mehr getan werden. Gerade wenn es darum geht, breite Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Denn nach wie vor ist Gesundheit auch eine Frage des Geschlechts und des sozioökonomischen Status. Bildung, Einkommen, Wohnsituation, Möglichkeiten der sozialen Teilhabe entscheiden mit darüber, wie alt man wird; genau wie Art und Ausmaß der Belastungen, denen man im Berufsleben ausgesetzt war. Hinzu kommt die innere Haltung: Welche Angebote sprechen mich an, was glaube ich, in Anspruch nehmen zu können?

Um alle zu erreichen, kommt es daher auf Kommunen, Krankenkassen, Vereine und Projekte der öffentlichen Hand an. Diese sollten sich untereinander vernetzen und Angebote schaffen, die Ältere in unterschiedlichen Lebenslagen, Stadtteilen und mit unterschiedlichen Bedürfnissen erreichen. Damit gesundes Altwerden kein hohles Versprechen bleibt. 

Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik