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Eckpunktepapier

Nationaler Bildungsrat ohne Gewerkschaften?

Nur schleppend kommen die Bund-Länder-Verhandlungen über einen Nationalen Bildungsrat voran. Mitte Oktober steht ein neuer Anlauf an. Doch ein Eckpunktepapier dafür enthält noch zu viele Leerstellen.

Foto: Pixabay / CC0

Eigentlich möchten die Länder-Kultusminister gar keinen Nationalen Bildungsrat. Sie sind sich offenbar selbst genug. Denn als Union und SPD auf Bundesebene im Koalitionsvertrag die Einsetzung eines neuen Nationalen Bildungsrates festschrieben, reagierten die Kultusminister äußerst verschnupft: „Wir sind doch der Nationale Bildungsrat“, hieß es selbstbewusst bei der Jubiläumsfeier zum 70-jährigen Bestehen der Kultusministerkonferenz (KMK) Anfang 2018 in Berlin – allen real existierenden Problemen im deutschen Bildungsföderalismus zum Trotz.

Doch einigen Kultusministern wurde schnell bewusst, dass kompletter Widerstand gegen den Wunsch der Berliner Koalitionäre nach Schaffung eines Nationalen Bildungsrates (NBR) analog zum Wissenschaftsrat (WR) zwecklos ist – hatte man doch zugleich auch die Milliarden im Blick, die die neue Bundesregierung für die digitale Ausstattung der Schulen, zusätzliche Studienplätze im Rahmen eines zu verstetigenden Hochschulpaktes sowie die Forschungsorganisationen in dieser Wahlperiode aufwenden will. Und schließlich hatten auch die Länder-Regierungschefs dem Koalitionsvertrag zugestimmt.

In einem einjährigen mühsamen Tauziehen hat sich inzwischen eine Verhandlungsgruppe mit Vertretern aus KMK und Bundesbildungsministerium auf den Entwurf eines Arbeitspapiers mit insgesamt 33 Eckpunkten verständigt. Als „Zieldimensionen“ werden darin für die Arbeit des künftigen Nationalen Bildungsrates „Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit“ genannt. „Aufgaben sind die Erarbeitung übergreifender, praktikabler Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Bildungssystems sowie die Entwicklung mittel- und längerfristiger Strategien für gesamtstaatlich relevante Bildungsthemen“, heißt es in dem Papier – ohne dass konkrete inhaltliche Projekte genannt werden.

Der Bildungsrat solle „eine unabhängige, interdisziplinäre, längerfristige, systemische Perspektive entlang der gesamten Bildungsbiografie“ entwickeln und sich nicht auf schulische Themen beschränken. Seine Empfehlungen sollen „Überlegungen zu finanziellen und quantitativen Folgen und deren Verwirklichung“ enthalten. Doch einschränkend heißt es zugleich: „Als beratendes Organ trifft der NBR keine bildungspolitischen Entscheidungen.“ Und: „Weder Bund noch Länder können überstimmt werden.“

Zweikammersystem

Neu ist die Idee eines Bildungsrates wahrlich nicht. Die GEW wie auch andere Expertinnen und Experten haben wiederholt die Einsetzung eines neuen, unabhängigen Bildungsrates gefordert. Umso ärgerlicher empfindet es die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe, dass bei der aktuellen Konzeption des Gremiums die Sozialpartner, also auch die Gewerkschaften, institutionell völlig außen vor bleiben sollen. In dem Entwurf des Bund-Länder-Eckpunktepapier heißt es dazu nur äußerst vage: „Interessengruppen/Verbände und Zivilgesellschaft können über geeignete Beteiligungsformate (Hearings, Foren) in die Arbeit des NBR eingebunden werden.“

Einen Deutschen Bildungsrat mit unabhängigen Wissenschaftlern hatte es in der alten Bundesrepublik bereits zwischen 1966 und 1975 gegeben. Im Auftrag von Bund und Ländern entwarf er in jenen Jahren Bedarfs- und Entwicklungspläne für das Bildungswesen und machte zahlreiche, zum Teil erst viele Jahrzehnte später aufgegriffene Reformvorschläge. So plädierte er bereits Anfang der 1970er-Jahre für den Ausbau von Ganztagsschulen und frühkindlicher Bildung, für Gesamtschulen und für die pädagogische Förderung und Integration behinderter Kinder – eingebettet in einen „Strukturplan für das Bildungswesen“. Doch leider blieben alle seine Empfehlungen unverbindlich. Letztendlich scheiterte der Deutsche Bildungsrat an unzureichender Einbeziehung von Politik wie staatlicher Bildungsverwaltung, am Widerstand der Finanzminister wie auch an dem in jenen Jahren voll entbrannten ideologischen Grabenkrieg um die Gesamtschule versus dreigliedriges Schulsystem.

Bund wie Länder möchten bei Neugründung eines Nationalen Bildungsrates zumindest aus einigen Fehlern der Vergangenheit lernen. Dabei haben sie sich bei seiner Struktur am Wissenschaftsrat orientiert, der nunmehr seit über 60 Jahren halbwegs erfolgreich Bundes- wie Landesregierungen in der Hochschul- und Forschungspolitik berät. Wie beim Wissenschaftsrat soll es beim neuen Bildungsrat ein Zweikammersystem geben: Auf der einen Seite agiert eine Bildungskommission mit unabhängigen Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen, die von den Wissenschaftsorganisationen vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt werden. Hinzu sollen „Berufspraktiker“ und „Personen des öffentlichen Lebens“ kommen, benannt von einer „Bund-Länder-Findungskommission“ – was kein leichtes Unterfangen sein wird und noch viele Fragen aufwirft.

Länder spielen auf Zeit

Auf der anderen Seite gibt es eine Verwaltungskommission mit Vertretern aus Politik und den Ministerien von Bund und Ländern wie der Kommunen. Beide Kommissionen bilden zusammen die Vollversammlung des Nationalen Bildungsrates. Nur diese darf mit Zweidrittelmehrheit Empfehlungen verabschieden. „Öffentliche Stellungnahmen der einzelnen Kommissionen unabhängig voneinander sind unzulässig“, heißt es in dem Entwurf des Eckpunktepapiers. Ernüchternd muss man allerdings auch festhalten: So manche in dem hochgelobten Zweikammersystem des Wissenschaftsrates gemeinsam von Wissenschaftlern wie Bildungspolitikern einvernehmlich verabschiedeten und gut gemeinten Empfehlungen wurden in der praktischen Politik nicht umgesetzt. Empfehlung bleibt leider oft nur Empfehlung. Und in der Regel haben die Finanzminister das letzte Wort.

In zentralen Fragen lässt das Eckpunktepapier zudem noch viele Leerstellen offen. Entscheidend wird sein, welches Stimmgewicht der Bund und welches die Länder in der Verwaltungskommission bekommen. Überaus arrogant wollten die Länder den Bund in ihrem ersten Vorschlag mit nur drei Stimmen abspeisen, aber sich selbst 16 Stimmen sichern – obwohl der Bund doch für die Umsetzung einiger Reformvorschläge in Milliardenhöhe in die Pflicht genommen werden soll. Aktuell im Gespräch ist nunmehr ein Kompromissvorschlag des Bundesbildungsministeriums, das einen Stimmenschlüssel von 14 (Bund) zu 16 (Länder) zu drei (Kommunen) vorsieht – was allerdings die Bundestagsfraktionen von Union wie SPD wenig erfreut.

Einige Unions-Kultusminister hoffen immer noch auf ein vorzeitiges Ende der Großen Koalition, möglichst vor Jahresfrist. Denn dann würde das von ihnen ungeliebte Projekt Nationaler Bildungsrat der Diskontinuität verfallen. Was in dieser Legislaturperiode vom Bundestag nicht mehr verabschiedet wird, müsste von einer künftigen Regierungskoalition neu auf den Weg gebracht werden. Die Länder gewönnen zwar Zeit, aber damit wäre kein Bildungsproblem gelöst.